„Gezielte russische Geschichtsumdeutung“ Ukrainischer Botschafter boykottiert Gedenken mit Steinmeier

Berlin · Andrij Melnyk kritisiert, dass die Veranstaltung im Deutsch-Russischen Museum stattfindet. Was hinter den Vorwürfen steckt – und welche Folgen sie für die Beziehung zwischen Deutschland und Ukraine haben können.

 Andrij Melnyk ist Botschafter der Ukraine in Deutschland.

Andrij Melnyk ist Botschafter der Ukraine in Deutschland.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk boykottiert eine Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, weil sie im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst stattfindet. Dies sei „aus Sicht der Ukrainer ein Affront, sehr bedauernswert und befremdlich zugleich“, schreibt der Botschafter in einem Brief an den Museumsdirektor Jörg Morré, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und über den zuerst der „Tagesspiegel“ berichtete.

Der Botschafter kritisiert, dass die Dauerausstellung in dem Museum dem Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion (UdSSR) gewidmet ist und das Museum trotzdem nur Russland im Namen trägt – und nicht andere Sowjetrepubliken wie die Ukraine und Belarus, die im Zweiten Weltkrieg ebenfalls Millionen Opfer zu beklagen hatten. „Auf diese Weise wird de facto die UdSSR mit Russland gleichgesetzt, was eine Geschichtsverdrehung darstellt und vehement abzulehnen ist“, schreibt Melnyk. „Es ist wirklich brandgefährlich, vor allem für die künftige deutsch-ukrainische Aussöhnung, dass diese gezielte russische Geschichtsumdeutung nach wie vor in der Bundesrepublik ein breites politisches und gesellschaftliches Echo findet.“

Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst befindet sich in dem Gebäude, in dem die Oberbefehlshaber der Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die bedingungslose Kapitulation unterzeichneten. Damit endete der Zweite Weltkrieg in Europa.

Am 22. Juni jährt sich der deutsche Überfall auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Aus diesem Anlass eröffnet das Museum an diesem Freitag die Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“. Steinmeier will aus diesem Anlass die zentrale Gedenkrede zum Jahrestag halten. Der Bundestag hatte den Jahrestag bereits in der vergangenen Woche mit einer Debatte gewürdigt.

Historiker schätzen die Zahl der Weltkriegs-Opfer auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion auf etwa 27 Millionen. Die Ukraine hatte prozentual an ihrer Gesamtbevölkerung nach Belarus die höchsten Bevölkerungsverluste. Ukrainischen Angaben zufolge kamen zwischen acht und zehn Millionen damalige Bewohner des heutigen ukrainischen Staatsgebiets zwischen 1939 und 1945 ums Leben.

(jlu/dpa)
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