Eskalation im Nahost-Konflikt Israel fliegt weiter Luftangriffe auf Gazastreifen

Gaza/Tel Aviv · Die israelische Luftwaffe hat am Freitagmorgen weiter massiv Ziele im Gazastreifen angegriffen. Der Nachrichtensender Al-Dschasira und der US-Sender CNN zeigten am frühen Morgen Live-Bilder von Gaza-Stadt und berichteten, die Bombardierung hätte an Intensität zugenommen. Die Hamas selbst sprach von rund 130 Angriffe gegen Gaza. Am Vormittag soll es wegen eines Besuchs des ägyptischen Regierungschefs eine Waffenruhe geben.

November 2012: Israel bombardiert den Gaza-Streifen
7 Bilder

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Innerhalb von 45 Minuten schlugen 85 Raketen in der Stadt ein. Ein Geschoss traf das Innenministerium der regierenden Hamas. Die Angriffe hätten unterirdischen Raketenstellungen gegolten, teilten die israelischen Streitkräfte mit. Augenzeugen berichteten von mehreren zerstörten Trainingsposten, die von militanten Palästinensern genutzt würden. Israels Armee teilte auf Anfrage mit, die Angriffe würden andauern. Aus dem Gazastreifen seien zudem in der Nacht mindestens elf Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert worden. Nach israelischen Medienberichten wurde offensichtlich niemand verletzt.

Es waren Rauchsäulen über Gaza-Stadt zu sehen. Korrespondenten des arabischen Nachrichtensenders Al-Arabija sprachen von massiven nächtlichen Luftangriffen.

Mehr als 420 Raketen von militanten Palästinensern seien in den vergangenen zwei Tagen in Israel aufgeschlagen, teilte laut "Jerusalem Post" das israelische Militär im Kurznachrichtendienst Twitter in der Nacht mit.

Bei einem israelischen Luftangriff auf den nördlichen Gazastreifen starben am Donnerstagabend nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan drei Palästinenser. Die Zahl der Todesopfer der israelischen Luftangriffe unter den Palästinensern habe sich damit auf 19 erhöht, hieß es unter Berufung auf das Gesundheitsministerium. In Israel kamen bei einem Raketenangriff drei Menschen ums Leben.

Waffenruhe angekündigt

Der ägyptische Ministerpräsident Hischam Kandil ist unterdessen im Gazastreifen eingetroffen. Das meldete der staatliche Rundfunk. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat sich zu einer Feuerpause während des Kandil-Besuchs bereiterklärt. "Israel wird die Angriffe heute einstellen, wenn zugleich auch das feindliche Feuer eingestellt wird", sagte ein ranghoher israelischer Beamte der dpa. Dies sei Ägypten mitgeteilt worden.

Nach palästinensischen Angaben hält sich Israel nicht an die Waffenruhe und hat angeblich den Norden der Region angegriffen. Bei dem Bombenangriff auf eine Gruppe von Zivilisten in der Region Nasila seien zwei Palästinenser getötet worden, hieß es am Freitagmorgen aus palästinensischen Sicherheitskreisen. Zuvor hatte Israel der radikalislamischen Hamas vorgeworfen, einen Waffenstillstand während des Kandil-Besuchs verletzt zu haben.

Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi hatte Kandil am Vortag gebeten, zu dem Solidaritätsbesuch in den Gazastreifen zu fahren. "Kandils Besuch unterstreicht Ägyptens Solidarität mit dem Volk von Gaza angesichts der israelischen Aggression", hatte Mursis Sprecher Jassir Ali gesagt.

Am Mittwoch hatte Mursi seinen Botschafter aus Israel abgezogen und eine Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen wegen der israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen gefordert.

Aufruf per Flugblätter

Die israelischen Streitkräfte erklärten unterdessen, über dem Gazastreifen seien am Donnerstag Flugblätter abgeworfen worden. Darin werde die Bevölkerung aufgefordert, sich von der radikal-islamischen Hamas und anderen Terrororganisationen fernzuhalten.

Erstmals seit dem Golfkrieg 1991, als der Irak Scud-Raketen auf Israel abschoss, heulten am Donnerstag die Luftalarm-Sirenen in Tel Aviv. Zugleich war eine dumpfe laute Explosion zu hören. Nach Medienberichten ging eine Gaza-Rakete im Mittelmeer nieder.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas brach seine Europareise ab und kehrte ins Westjordanland zurück. Die Vereinten Nationen und viele Regierungen weltweit warnten vor einer Verschärfung der Lage.

Steht die Bodenoffensive kurz bevor?

Israel begann mit der Mobilisierung seiner Reservisten, laut Militär könnten bis zu 30.000 Mann einberufen werden. Berichte über eine angeblich schon begonnene Bodenoffensive im Gazastreifen wurden aber von den Streitkräften und dem Außenministerium dementiert. Allerdings würden Soldaten in die Region verlegt, um für einen Einmarsch bereit zu stehen, sollte der Befehl kommen, sagte ein ranghoher Beamter in Tel Aviv.

Im Gazastreifen bekannten sich der bewaffnete Arm der dort herrschenden radikal-islamischen Hamas, die Kassam-Brigaden, und die militante Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad zum Raketenangriff auf Tel Aviv. Zwei Raketen vom iranischen Typ Fadschr-5 seien bei Rischon Lezion und in Jaffa eingeschlagen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation, deren Kommandeur am Vortag von Israel getötet worden war.

Einen Tag nach der gezielten Tötung des Hamas-Militärchefs durch Israel versammelten sich in Gaza Tausende Palästinenser, um Ahmed al-Dschabari das letzte Geleit zu geben. Der militärische Arm der Hamas im Gazastreifen bezeichnete dessen Tötung durch die israelische Luftwaffe als "Kriegserklärung" und kündigte blutige Rache an.

Die USA hoffen zur Entschärfung des Konflikts auf die ägyptische Regierung. "Wir bitten Ägypten, seinen Einfluss in der Region für eine Deeskalierung zu nutzen", sagte der amerikanische Außenamtssprecher Mark Toner in Washington. Er bekräftigte die US-Position, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas die Raketenangriffe auf Israel einstellen müsse.

Westerwelle äußert Verständnis für Israel

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat Verständnis für die militärische Reaktion Israels auf die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gezeigt. "Die Verantwortung für diese Zuspitzung trägt Hamas. Das ist eine Terrororganisation, die mit durch nichts zu rechtfertigenden Angriffen diese Eskalation bewirkt hat", sagte Westerwelle am Freitag im Deutschlandfunk. Zugleich warnte er vor einer weiteren Eskalation der Lage.

Deutschland sei wie Israel der Überzeugung, dass diese Raketenangriffe "nicht verantwortbar sind. Das muss Israel nicht hinnehmen." Israel habe "das Recht, sich zu verteidigen und hat auch das Recht, seine Bürger zu schützen".

Der Außenminister rief die militante Palästinenserorganisation auf, die Raketenangriffe "sofort" zu beenden. "Nur so wird ein Ende der Gewalt möglich sein", betonte Westerwelle. Er fügte hinzu, es müsse "alles getan werden, um eine weitere Eskalation zu verhindern und vor allem auch, zivile Opfer zu vermeiden".

Türkei: Israels Angriffe sind "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hat die israelischen Angriffe als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Mit Massakern und Attentaten lasse sich im Nahen Osten kein Friede erreichen, zitierten türkische Medien den Minister am Freitag. Israel warf er vor, den Gazastreifen in ein Gefängnis verwandelt zu haben. Davutoglu machte die Äußerungen bereits am Vorabend in Dschibuti, wo er an einer Konferenz der Organisation der Islamischen Kooperation (OIC) teilnahm.

Die neue Runde der Gewalt hatte am Samstag begonnen, als ein israelischer Jeep von einer Rakete aus dem Gazastreifen getroffen wurde. Dabei waren vier Soldaten zum Teil schwer verletzt worden.

(dpa/apd)
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