Streit über US-Militärpräsenz Comeback-Chance für den IS?

Beirut · Wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte: Extremisten nutzen die Spannungen zwischen den USA, dem Irak und dem Iran für blutige Demonstrationen von Stärke.

 Sind diese Zeiten vorbei? Archivfoto eines Konvois von Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat.

Sind diese Zeiten vorbei? Archivfoto eines Konvois von Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat.

Foto: dpa/Uncredited

Im vergangenen Jahr schien die IS-Terrormiliz weitgehend besiegt: Den größten Teil ihres Territoriums in Syrien und im Irak hatte sie verloren, ihr Gründer war bei einem US-Angriff getötet worden und ihre Propaganda in den sozialen Medien wurde massiv zurückgedrängt. Doch die Spannungen zwischen den USA und dem Iran und der daraus resultierende Streit über die US-Militärpräsenz in der Region könnten der extremistischen Gruppe zu einem Comeback verhelfen.

Die US-Truppen im Irak setzten ihre Angriffe gegen den IS wegen der Spannungen für zehn Tage aus. Vom Iran unterstützte Milizen, die lange gegen die Terrormiliz gekämpft hatten, richten ihre Aufmerksamkeit mittlerweile darauf, die US-Soldaten aus dem Nahen Osten zu vertreiben.

Derweil verstärken IS-Schläfergruppen ihre Angriffe im Irak und in Syrien. Aktivisten und Bewohner sehen einen Zusammenhang mit der Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani am 3. Januar bei einem Drohnenangriff am Flughafen von Bagdad.

US-Behörden sehen dagegen keinen Zusammenhang mit der Zunahme der IS-Aktivitäten. „Sie haben daraus keinen Vorteil geschlagen, soweit wir das sehen können“, sagt James Jeffrey, Gesandter des US-Außenministeriums für den internationalen Kampf gegen die IS-Terrormiliz.

Auch ein Sprecher der von den USA unterstützten kurdischen Kämpfer in Syrien erklärt, die Angriffe hätten schon zugenommen, seit die Türkei mit ihrer militärischen Operation gegen die Kurden in Nordsyrien begonnen habe. Aber zumindest eine Atempause haben die Islamisten nach dem Tod Soleimanis und eines ranghohen irakischen Milizenführers bei dem US-Angriff wohl doch erhalten. Iran und die USA standen deswegen zeitweise an der Schwelle zu einem offenen Krieg.

Das irakische Parlament forderte am 5. Januar den Abzug der 5200 US-Soldaten aus dem Land, die seit 2014 einheimische Sicherheitskräfte ausbilden und im Kampf gegen die Terrormiliz unterstützen. Die US-geführte Koalition stellte daraufhin ihre Operationen gegen den IS zeitweise ein und konzentrierte sich zunächst auf ihren eigenen Schutz.

„Diese Spannungen helfen dem IS sicher, weil alle, die gegen sie kämpfen, mit anderen Dingen beschäftigt sind“, warnt Abdullah Suleiman Ali, ein syrischer Wissenschaftler mit dem Schwerpunkt auf Dschihad-Gruppen. So könne sich der IS neu ausrichten und sein neuer Führer Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraischi sich in seiner Position festigen. Al-Kuraischi wurde nach dem Tod des langjährigen IS-Führers Abu Bakr al-Bagdadi bei einem US-Angriff im Oktober zum Kopf der Terrormiliz ernannt.

Im Januar gab es mehrere tödliche Angriffe auf irakische Soldaten und Sicherheitskräfte. Aber auch Zivilisten und Dutzende kurdische Kämpfer verloren bei IS-Aktionen in den vergangenen Monaten ihr Leben.

Der schwerste Vorfall ereignete sich nach einem Viehdiebstahl durch IS-Kämpfer am 14. Januar im Osten Syriens. Als Regierungssoldaten den Vorfall aufklären sollten, wurden sie vom IS angegriffen und gerieten auf dem Rückweg zu ihrer Basis in einen Hinterhalt. Elf Soldaten und zwei Schäfer wurden getötet. Der IS brüstete sich später mit den Fotos von Leichen, einem zerstörten Panzerfahrzeug und einem umgekippten Lkw, die nach Darstellung der Extremisten nach dem Überfall entstanden.

Mit den Angriffen erweitere der IS seinen Einfluss und sende an seine Unterstützer die Botschaft, dass er immer noch stark sei, sagt Omar Abu Laila, ein Aktivist aus Dair as-Saur, der mittlerweile in Europa lebt. Einige Zivilisten würden ihr Haus nach Sonnenuntergang nicht mehr verlassen, weil sie Angst vor der Terrormiliz hätten.

Auch an der Wiederherstellung seiner starken Präsenz in den sozialen Medien und im Internet arbeitet der IS. Das war zu seinen Hochzeiten ein Schlüsselfaktor, um Geld aus dem Ausland zu bekommen und neue Kämpfer zu rekrutieren. Mit brutalen Videos von Hinrichtungen, Amputationen oder Verbrennungen hatten die Extremisten über Jahre Angst verbreitet und Macht demonstriert.

In den vergangenen Wochen schlossen europäische Behörden, die von Europol koordiniert wurden, Tausende von IS-Propaganda-Plattformen und Kommunikationskanälen. Das führte dazu, dass die Nachrichtenagentur des IS und andere Kanäle nicht mehr auf den Messenger-Dienst Telegram zugreifen konnten, über den die Gruppe seit 2015 überwiegend kommuniziert hatte.

„Die Europol-Aktion vom November hatte massiven Einfluss auf die IS-Unterstützernetzwerke bei Telegram“, sagt Amarnath Amarasingam, Terrorismus-Forscher an der Queen's University von Ontario in Kanada.

Seitdem hätten die Extremisten sich auf andere Messenger verlegt, darunter das russische TamTam, den Hoop Messenger aus Kanada oder den BCM Messenger. Über gehackte Accounts hätten sie zudem versucht, wieder auf Twitter unterzukommen.

Bislang hätten diese Versuche aber nicht sonderlich viel Erfolg gehabt. Der Fahndungsdruck der internationalen Behörden sei dafür zu hoch. „Mit nichts kommen sie (der IS) an die Präsenz heran, die sie von 2015 an auf Telegram hatten“, sagt Amarasingam.

(pen/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort