Interview mit Israels Ex-Premier Olmert "Iranischer Angriff ist reale Gefahr"

Düsseldorf · Israels Ex-Premierminister Ehud Olmert fordert im Interview mit unserer Redaktion mehr internationalen Druck, um Teherans Atom-Programm zu stoppen. Gleichzeitig drängt er zu Verhandlungen mit den Palästinensern. Der entschlossene Umgang der Deutschen mit den Neonazi-Morden hat ihn beeindruckt.

 Ehud Olmert im Jahr 2008. Damals war er noch Ministerpräsident von Israel.

Ehud Olmert im Jahr 2008. Damals war er noch Ministerpräsident von Israel.

Foto: AFP

Herr Olmert, der Friedensprozess im Nahen Osten ist wieder einmal am toten Punkt. Hierzulande wird vor allem die Fortsetzung der israelischen Siedlungspolitik dafür verantwortlich gemacht - zu Recht?

Olmert Nein, das halte ich für eine völlige falsche Vorstellung. Der Siedlungsbau hat nicht die Bedeutung, die man ihm gerne andichtet. Der beste Beweis dafür ist, dass wir zu meiner Regierungszeit (2006-2009) um Haaresbreite einen Vertrag mit den Palästinensern erreicht hätten, und dies obwohl damals kontinuierlich Siedlungen gebaut wurden. Ich würde mich als israelischer Regierungschef darauf konzentrieren, zunächst ernsthaft und mit großer Kompromissbereitschaft mit den Palästinensern zu verhandeln. Wenn wir dann ein Abkommen haben, dürfen Sie davon ausgehen, dass die meisten israelischen Siedlungen im Westjordanland geräumt werden können. Daran besteht gar kein Zweifel.

Wie groß ist der politische Einfluss der Siedler heute?

Olmert Er ist sicher größer als zu meiner Zeit. Die derzeit amtierende Regierung wurde mit einem Programm gewählt, das ihnen entgegenkommt. Deswegen haben die Siedler heute mehr Gewicht in der israelischen Politik; das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.

Wie beurteilen Sie den jüngsten Vorstoß der Palästinenser, eine staatliche Anerkennung durch die Uno zu erreichen?

Olmert Gemessen an den Erwartungen der Palästinenserführung war das sicherlich ein Misserfolg. Dass die Palästinenser einen eigenen Staat haben sollen, wird ja auch von niemandem mehr bestritten - auch nicht von der aktuellen israelischen Regierung. Die Frage ist ja nur: wie? Und diese Frage lässt sich nur in Verhandlungen beantworten, nicht durch einseitige Vorstöße.

Verhandeln - auch mit der radikalislamischen Hamas?

Olmert Unser Ansprechpartner sind nicht die palästinensischen Fraktionen, es ist die gewählte Palästinenserführung unter Mahmud Abbas. Und im Übrigen gilt für Gespräche mit der Hamas das, was vor Jahren bereits der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac als Voraussetzungen definiert hat. Erstens: Die Hamas anerkennt offiziell alle bisher zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde getroffenen Vereinbarungen. Zweitens: Die Hamas anerkennt unmissverständlich das Existenzrecht Israels. Und drittens: Die Hamas verzichtet auf Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele.

Bedeutet der jüngste Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas nicht auch eine politische Öffnung?

Olmert Nein, dabei ging es allein um die Befreiung des israelischen Soldaten Gilad Schalit, der bereits fünf Jahre von der Hamas gefangen gehalten wurde. Das war ein ganz pragmatischer Deal. Nicht mehr und nicht weniger.

Empfinden die Israelis den "Arabischen Frühling" eher als Bedrohung oder eher als Chance?

Olmert Die Gefühle sind sehr gemischt. Es gibt große Sympathie für diesen offensichtlichen Wunsch unserer arabischen Nachbarvölker nach Demokratie. Und Leuten wie Gaddafi trauert auch in Israel wirklich niemand nach. Aber es gibt auch die große Sorge, dass diese Bewegung nun von Extremisten manipuliert werden könnte. Islamistische Bewegungen wie die Muslim-Brüder werden wohl an Einfluss gewinnen. Anti-israelische Stimmungen könnten zunehmen. Darüber sind wir natürlich nicht glücklich. Aber wir wissen auch, dass man eine solche Bewegung nicht stoppen kann. Wir können nur hoffen, dass aus dem "Arabischen Frühling" nicht ein bitterkalter Winter wird.

Was halten Sie von der Debatte über einen Präventivschlag gegen das iranische Atomprogramm?

Olmert Meine persönliche Erfahrung ist, dass solche Diskussionen überflüssig sind. Über Militäreinsätze schwafelt man nicht, man führt sie durch, wenn kein anderer Weg mehr bleibt. Und im Übrigen ist die Aussicht auf iranische Atomwaffen ja nicht nur eine Bedrohung für Israel, sie ist eine Herausforderung für die ganze Welt. Alle sind dafür verantwortlich, eine nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern, die die gesamte Region destabilisieren würde.

Die Gefahr eines atomaren Angriffs aus dem Iran halten Sie für real?

Olmert Ja, das ist sie. Die israelische Sorge ist aufrichtig und die Forderung nach internationalen Gegenmaßnahmen mehr als berechtigt.

Können die - soeben nochmals verschärften Sanktionen - den Iran zum Einlenken bewegen?

Olmert Das müssen wir abwarten. Bis dahin gilt, dass wir keine einzige Option ausschließen dürfen, um das iranische Atomprogramm zu stoppen.

Wie reagiert man in Israel auf die Serie von Neonazi-Morden in Deutschland?

Olmert Wir wissen, dass es seit dem Krieg immer Neonazis in Deutschland gegeben hat. Wir wissen aber auch, dass eine überwältigende Mehrheit der Deutschen diese Leute ablehnt und verabscheut. Und wir wissen, dass die Regierung gegen sie vorgeht. Gerade von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine gute Freundin ist, weiß ich, wie entschlossen sie dabei ist. Wir verfolgen diese Affäre sehr aufmerksam, und wir sind sehr beeindruckt davon, wie entschieden die Deutschen in diesen Tagen Stellung beziehen. Das ist wichtig für Israel. Noch viel wichtiger, so glaube ich, ist es aber für die Deutschen selbst.

Matthias Beermann führte das Interview.

(das)
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