Antwort auf EU-Sanktionen Iran verhängt Sanktionen gegen Lammert, Roth und Kramp-Karrenbauer

Teheran/Brüssel/Berlin · Die Antwort folgte prompt: Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der neuen EU-Sanktionen gegen den Iran hat Teheran Gegensanktionen verhängt - darunter auch gegen mehrere hochrangige deutsche Politiker.

Demonstranten protestieren mit Fahnen gegen das iranische Regime (Archiv/Symbolbild).

Demonstranten protestieren mit Fahnen gegen das iranische Regime (Archiv/Symbolbild).

Foto: dpa/Paul Zinken

Auf einer auf der Website des Außenministeriums am Montagnachmittag veröffentlichten Liste standen unter anderem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Auch mehrere britische Politiker und Vertreter der Sicherheitskräfte, etwa der Chef des Verteidigungsstabes, Admiral Tony Radakin, sind darauf zu finden. Sie alle wurden mit einem Einreiseverbot in den Iran belegt und dürfen künftig auch an keinen offiziellen Treffen mit Vertretern der Islamischen Republik mehr teilnehmen.

Irans Außenamtssprecher Nasser Kanaani erklärte am Montag, dass eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irans“ im Zusammenhang mit den Protesten nicht unbeantwortet bleiben werde. „Teheran wird sich von Drohungen und politischem Druck nicht einschüchtern lassen“, sagte er laut Nachrichtenagentur Isna.

Kulturstaatsministerin Roth teilte mit, die neue Sanktionsliste habe einzig das Ziel, „von den eigentlichen Problemen im Iran, den berechtigten und zunehmend stärker werdenden Protesten gegen die korrupte, unterdrückende Herrschaft abzulenken und die massive Unzufriedenheit der Menschen mit dem Regime als Ergebnis der Arbeit von ausländischen Politikerinnen und Politikern darzustellen“. Damit solle auch von den Hinrichtungen von Demonstrierenden abgelenkt werden. Man sei weiter solidarisch mit den Protestierenden.

Die erneute Hinrichtung eines Demonstranten im Iran hatte zuvor in Europa für Entsetzen und Empörung gesorgt. Die Außenminister der EU-Staaten verurteilten am Montag geschlossen die Exekution des wegen „Kriegsführung gegen Gott“ angeklagten Madschid-Resa R. und forderten die sofortige Annullierung aller noch nicht vollstreckten Todesurteile. Zudem wurden weitere Sanktionen verhängt - einerseits wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen rund um die seit bald drei Monate andauernden Proteste im Iran, andererseits wegen der iranischen Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Die Menschenrechtssanktionen treffen nach Angaben von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auch Verantwortliche für die jüngsten Hinrichtungen im Zusammenhang mit den Protesten. „Wir haben mit dem Sanktionspaket insbesondere diejenigen in den Blick genommen, die für diese Hinrichtungen, die für diese Gewalt gegen unschuldige Menschen verantwortlich sind“, sagte die Grünen-Politikerin in Brüssel. Das seien insbesondere die Revolutionsgarden.

Die Hinrichtungen bezeichnete Baerbock als unglaubliche Verbrechen und als unverhohlenen Einschüchterungsversuch gegen Menschen, die ihre Meinung auf die Straße tragen. Sie seien ohne einen fairen Prozess erfolgt.

Kurz vor dem Beginn des Außenministertreffens war bekannt geworden, dass iranische Behörden im Zuge der systemkritischen Proteste einen zweiten Demonstranten hinrichten ließen. Madschid-Resa R. wurde nach Angaben der Justiz am Montag in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt. Der Mann soll während der Proteste im November zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einem Messer getötet haben.

Zuvor war am vergangenen Donnerstag bereits der Rap-Musiker Mohsen S. hingerichtet worden. Seine Exekution war die erste gewesen, die im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten seit Mitte September bekanntgeworden war. Mohsen S. soll ein Basidsch-Mitglied mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Straße blockiert haben.

Die Nachricht der Hinrichtung löste im Iran Empörung und Wut aus. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ oder „Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen“ waren Reaktionen der Systemgegner in sozialen Medien. Die regierungsnahe Tageszeitung „Resalat“ schrieb hingegen: „Begnadigung ist gut, aber im Islam ist Gerechtigkeit wichtiger“.

Auslöser der derzeitigen Proteste im Land war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.

Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden bisher mindestens 18 000 Teilnehmer von Demonstrationen festgenommen, mehr als 475 Demonstranten sollen bei den Protesten getötet worden sein. Demonstranten werden von der Staatsführung immer wieder als Terroristen oder Krawallmacher bezeichnet. Die Organisation Amnesty International veröffentlichte am Montag einen Bericht, demzufolge mindestens 44 Kinder und Jugendliche durch „rechtswidrige Gewalt“ der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien. Die Angaben können nicht unabhängig verifiziert werden.

Bereits Mitte Oktober und Mitte November hatte die EU erste Sanktionspakete wegen der Geschehnisse im Iran beschlossen. Sie richteten sich unter anderem gegen die iranische Sittenpolizei und den inneren Machtzirkel der Revolutionsgarden. Insbesondere wurden auch Mitglieder der Basidsch-Milizen sanktioniert, die von der EU für den Tod mehrerer Demonstranten verantwortlich gemacht werden.

Die „Basidschis“ sind freiwillige Milizen der iranischen Revolutionsgarden und werden unter anderem zur Unterdrückung von Protesten eingesetzt. Sie gelten als die treuesten Anhänger des Systems, von denen gesagt wird, sie seien bereit, ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Auch bei den jüngsten Protesten gingen die „Basidschis“ Augenzeugen zufolge äußerst brutal gegen die Demonstranten vor. Daher richten sich die Wut und Aggressionen der Demonstranten insbesondere gegen die Basidsch-Milizen.

Moderate Kreise im Land warnen vor einer weiteren Eskalation und fordern unter anderem Neuwahlen, um die politische Krise friedlich zu beenden. Für sie sind Präsident Ebrahim Raisi, seine Regierung sowie die Hardliner im Parlament und in der Justiz nicht mehr tragbar. Beobachtern zufolge rückt eine derartige Option nach der Hinrichtung des zweiten Demonstranten und der voraussichtlichen Vollstreckung weiterer Todesurteile allerdings in weite Ferne.

(felt/dpa)
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