176 Menschen waren an Bord Iran entschuldigt sich bei Ukraine für Flugzeugabschuss

Teheran · Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat sich in einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj offiziell bei der Ukraine für den versehentlichen Abschuss eines Passagierflugzeugs entschuldigt.

Flugzeug stürzt nahe Teheran ab - mindestens 170 Passagiere an Bord
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Flugzeug stürzt nahe Teheran ab - mindestens 170 Passagiere an Bord

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Foto: AP/Mohammad Nasiri

„Das Zugeben der "Raketenversion" als Ursache für die Katastrophe hat den Weg für die Fortsetzung der Ermittlungen ohne Verzögerungen und Behinderungen geöffnet“, sagte Selenskyj einer Mitteilung zufolge am Samstag. Kiew werde an Teheran eine offizielle Note unter anderem mit Kompensationsforderungen senden.

Ruhani versicherte, dass alle Schuldigen für den Fehler des iranischen Militärs zur Verantwortung gezogen würden und mit juristischen Konsequenzen rechnen müssten. „Wir werden in jeder Hinsicht unsere juristischen Verpflichtungen einhalten“, teilte das iranische Präsidialamt mit. Laut Selenskyj sollen die Toten bereits in der kommenden Woche in die Ukraine zurückgeführt werden. Teheran habe zugesichert, dies zu ermöglichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Eingeständnis des Irans am Nachmittag begrüßt, für den Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs mit 176 Todesopfern verantwortlich zu sein. Es sei gut, dass die Verantwortlichen damit bekannt seien, sagte die CDU-Politikerin nach einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin am Samstag in Moskau. „Es bleibt aber ein dramatisches Ereignis.“ Es seien unschuldige Menschen gestorben. Der Iran müsse nun schonungslos aufklären, forderte Merkel. Teheran müsse gemeinsam mit den Nationen, die Todesopfer zu beklagen hätten, Lösungen finden.

Zuvor hatten die iranischen Revolutionsgarden die Verantwortung für den Absturz des ukrainischen Passagierflugzeugs bei Teheran übernommen: Die Maschine sei mit einem Marschflugkörper verwechselt und mit einer Kurzstreckenrakete abgeschossen worden.

Der Luftwaffenchef der Revolutionsgarden, Amirali Hadschisadeh, äußerte sich im iranischen Staatsfernsehen zu der Verwechslung der Passagiermaschine mit 176 Menschen an Bord mit einem Marschflugkörper. Die iranischen Streitkräfte bedauerten den Vorfall. Zuvor hatte der Iran einen Abschuss der Maschine vehement bestritten und erklärt, eine technische Ursache habe zu der Katastrophe geführt.

Nach Angaben der Streitkräfte gab es an dem Unglückstag mehrere US-Drohungen, iranische Ziele anzugreifen. Daher habe im iranischen Militär „höchste Alarmbereitschaft“ geherrscht. Nachdem sich dann die ukrainische Maschine einer „strategisch wichtigen Militäranlage“ genähert habe, sei dies „versehentlich“ als eine Drohung eingestuft und die Maschine abgeschossen worden, hieß es in einer Presseerklärung.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Iran aufgefordert, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und Entschädigungen zu zahlen. „Der Morgen heute war nicht gut, aber zumindest brachte er die Wahrheit ans Licht“, schrieb Selenskyj am Samstagmorgen auf Facebook. Er erwarte ein volles Schuldeingeständnis und eine offizielle Entschuldigung über diplomatische Kanäle. Zudem sollten die Körper der Toten in ihre Heimatländer überstellt werden.

Der ukrainische Präsident betonte, dass er von Teheran eine „volle und offene Untersuchung“ erwarte. „Wir hoffen, dass die Ermittlungen ohne vorsätzliche Verzögerungen und Hindernisse fortgesetzt werden“, schrieb er. Die Experten aus der Ukraine sollten weiterhin vollen Zugang zu möglichem Beweismaterial erhalten.

Kurz vor dem Absturz am Mittwoch hatte der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak angegriffen. Kurze Zeit später war die ukrainische Maschine abgestürzt. Am Freitag hatten sich bereits mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada davon überzeugt gezeigt, dass es sich um einen wohl versehentlichen Abschuss durch den Iran handeln müsse. Unter den Absturzopfern waren unter anderem 57 Kanadier.

In der iranischen Pressemitteilung hieß es weiter, die für den Abschuss verantwortliche Person werde vor ein Militärgericht gestellt, es werde wegen des „unbeabsichtigten Abschusses“ juristisch vorgegangen. Außerdem müssten die Details des Vorfalls öffentlich erläutert werden. Die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Familien der Opfer und versprachen, dass solch ein „Fehler“ nicht mehr vorkommen werde.

Auch Präsident Hassan Ruhani bedauerte den Abschuss und versprach eine gründliche Untersuchung. „Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden“, teilte der Präsident mit. Solch ein Vorfall dürfe nie wieder passieren und die Familien der Opfer müssten entschädigt werden.

Die iranische Luftfahrtbehörde hatte in den letzten Tagen mehrmals betont, die Maschine sei wegen eines technischen Defekts abgestürzt. Ein Abschuss sei technisch und wissenschaftlich absurd, erklärte der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh. Die Untersuchungen würden bald erweisen, dass die Amerikaner mit solchen Gerüchten nur versuchten, das international angekratzte Image von Boeing nicht noch weiter zu beschädigen. Regierungssprecher Ali Rabiei hatte gesagt, die US-Regierung solle bei der technischen Aufklärung der Absturzursache mithelfen, statt Lügen zu verbreiten und „Psychospielchen“ zu betreiben.

Mehrere ausländische Expertenteams, auch eins von Boeing, wurden nach Teheran eingeladen, um zusammen mit iranischen und ukrainischen Experten die Blackboxen der Maschine zu untersuchen. Am Freitag hatten die Ermittlungen dann begonnen. Iranische und ukrainische Experten nahmen ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran auf. Seit dem Vorfall haben mehrere ausländische Fluggesellschaften, auch Lufthansa und die Austrian Airlines, ihre Flüge nach Teheran eingestellt.

Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA hatte nach dem Absturz von Flügen über den Iran abgeraten. Zuvor hatte die EASA bereits empfohlen, Flüge über den Irak zu vermeiden.

Indes standen die Zeichen im Konflikt zwischen den USA und dem Iran nach den gezielten Militärschlägen vorerst auf Entspannung. Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA den iranischen Top-General Ghassem Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten. Nach dem Angriff des Irans auf die von den USA genutzten Militärbasen im Irak hatten US-Präsident Donald Trump und Irans Präsident Hassan Ruhani angekündigt, den Konflikt zunächst auf politischer Ebene führen zu wollen.

Um den Iran-Konflikt wird es auch bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Samstag in Moskau gehen. Russland und Deutschland sind sich einig, möglichst das Atomabkommen mit dem Iran zu erhalten.

 Trümmerteile der Passagiermaschine nach dem Abschuss am Mittwoch.

Trümmerteile der Passagiermaschine nach dem Abschuss am Mittwoch.

Foto: AP/Foto: Ebrahim Noroozi/AP

Der Iran wollte am Samstag eigentlich entscheiden, wie das Land das Abkommen künftig umsetzen will. Eine dafür anberaumte Pressekonferenz der iranischen Atomorganisation wurde allerdings kurzfristig abgesagt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hält ein Scheitern für möglich. „Vielleicht können wir nicht verhindern, dass das Abkommen am Ende aufgelöst wird“, sagte Borrell am Freitag nach einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. Er stellte jedoch klar, dass die EU den Deal retten wolle.

(felt/jco/dpa)
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