Zerrissener Staat Iraks Politiker treiben das Land in den Zerfall

Bagdad · Politischer Stillstand im Irak lähmt das Land: Die großen politische Blöcke streiten sich seit Wochen darum, wer nächster Ministerpräsident wird. Das führt zu einer weiteren Destabilisierung der Region.

April 2014: Der Irak wählt ein neues Parlament
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Eins muss man Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki lassen: Der schiitische Politiker zeichnet sich durch einen großen Durchhaltewillen aus. Der Vormarsch der radikalen Islamisten und der seit Wochen schwelende Konflikt um seine Person vergrößern die Krise im Land von Tag zu Tag.

Immer lauter rufen die Kritiker nach seinem Rückzug, weil sie ihn für die desaströse Lage verantwortlich machen. Doch Al-Maliki weicht keinen Schritt zurück, sondern will sich für eine weitere Amtszeit wählen lassen. Der Streit zwischen den großen politischen Blöcken treibt das Land immer weiter in den Zerfall.

Bis zu diesem Donnerstag hätte Präsident Fuad Massum eigentlich einen Politiker mit der Bildung einer Regierung beauftragen müssen. Doch die Frist ist verstrichen, ohne dass sich die großen schiitischen Blöcke auf einen Kandidaten einigen konnten. Nach einer informellen Absprache der Parteien steht den Schiiten im Irak dieses Amt zu - so viel immerhin ist klar.

Al-Maliki nimmt für sich das Recht in Anspruch, eine Regierung zu bilden, weil seine Rechtsstaats-Allianz bei den Wahlen Ende April die meisten Stimmen gewonnen hatte. Doch nicht nur für kurdische und sunnitische, sondern auch für schiitische Politiker ist der Regierungschef untragbar geworden. Mit jeder neuen Erfolgsmeldung der Terrorgruppe Islamischer Staat wächst der Druck auf ihn. Erst am Wochenende nahmen die Extremisten weitere Gebiete im Nordirak ein.

Der Vormarsch der Terrorgruppe ist nur deshalb möglich, weil sich viele Sunniten mit den radikalen Milizen verbündet haben und Seite an Seite mit ihnen kämpfen. Dass es dazu gekommen ist, liegt an der Politik in Bagdad in den vergangenen Jahren. Seit seinem Amtsantritt 2006 grenzt Al-Malikis Regierung die Sunniten von der Macht aus. So hat er sie in die Arme der Extremisten getrieben.

Dass der Konflikt jedoch derart eskalieren konnte, ist nicht allein ihm anzulasten. Seitdem der frühere Diktator Saddam Hussein 1980 den Iran angriff, kennt das Land nichts anderes als Kriege, Sanktionen und Unterdrückung. Mehrere Generationen sind mit der Erfahrung aufgewachsen, dass allein das Recht des Stärkeren gilt und dieses mit Waffen durchgesetzt wird. Gewalt zur Beilegung von Konflikten ist in breiten Kreisen der Gesellschaft akzeptiert.

Fehlentscheidung der USA

Zudem rächen sich einmal mehr zwei grundlegende Entscheidungen nach dem Sturz Saddams durch das US-Militär. Im Mai 2003 befahl der damalige US-Zivilverwalter für den Irak, Paul Bremer, Saddams Armee komplett aufzulösen. Rund 400.000 Soldaten standen plötzlich ohne Einkommen da. Das Militär musste zudem völlig neu aufgebaut werden - darunter leidet ihre Schlagkraft bis heute.

Ähnliche Konsequenzen hatte die angeordnete "Entbaathisierung" des Landes. Alle Mitglieder von Saddams regierender Baath-Partei mussten damals ihre führende Posten in Staat und Verwaltung räumen, die meisten von ihnen Sunniten. Bis heute fehlt deren Expertise. Aus diesem Heer der Geschassten und Unzufriedenen rekrutiert sich jetzt die Unterstützung für die IS-Terroristen.

Al-Maliki und seine Mitstreiter trugen ihren Teil dazu bei, die konfessionelle Spaltung zu vergrößern. Unter Saddam herrschten die Sunniten, obwohl sie in der Minderheit sind. Nach Saddams Sturz übernahmen die Schiiten die Macht. Auf dem Papier ist der Irak zwar eine Demokratie - tatsächlich aber teilten die neuen schiitischen Eliten Macht und Pfründe unter sich auf, wie der britische Irak-Experte Toby Dodge in seinem Buch über das Land bemängelt.

Al-Maliki baute zudem einen Schattenstaat auf und vergrößerte seine Machtfülle so immer weiter. Kritiker werfen ihm vor, er regiere wie ein neuer autoritärer Herrscher. So kontrolliert er heute Armee, Polizei und weitere Sicherheitsapparate. An wichtigen Stellen sitzen seine Anhänger, die "Malikijun", auf die er sich verlassen kann - und die ihn dazu drängen dürften, sein Amt auf keinen Fall aufzugeben.

(dpa)
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