Prinzip "Versuch und Irrtum" Irak: Angst bestimmt Alltag

Düsseldorf (rpo). Selbstmordattentate, Bomben, Hasspredigten - kaum ein Tag vergeht im Irak ohne Gewalt. Im Ausland nimmt das allerdings kaum noch jemand wahr. Meist erhalten nur spektakuläre Entführungen - wie die der Care-Direktorin Margaret Hassan - große Aufmerksamkeit. Dabei sind es vor allem irakische Familien, die täglich vom Kidnapping betroffen sind und für die trotz Kriegsende kein normales Leben möglich ist.

Niemand verlässt in Bagdad freiwillig sein Haus. Der Grund sind bewaffnete Banden, die sich über die Lösegelder finanzieren. Sie tauchen irgendwo auf, reißen die Menschen aus ihren Autos und verschleppen sie. Jeden kann es treffen, besonders aber wehrlose Kinder. "Meine irakischen Freunde haben Angst, ihre Kindern zur Schule zu schicken, wann immer es möglich ist, begleiten sie sie", erzählt Irak-Experte Henner Fürtig vom Deutschen Orient Institut.

Die irakische Polizei steht der Kriminalität machtlos gegenüber. Es gibt zu wenige Polizisten und die Terroristen sorgen dafür, dass es so bleibt. Polizeistationen gehören zu den bevorzugten Zielen der Bombenattentäter. Der Anschlag auf die unbewaffneten Rekruten vom 24. Oktober dürfte ebenfalls das Ziel verfolgt haben, Sicherheit und Stabilität solange wie möglich zu verhindern.

Lage eskaliert weiter

Das die Lage dermaßen eskaliert ist, hat viele Ursachen. Fürtig kritisiert vor allem das planlose Vorgehen: "Die Pläne für den Wiederaufbau waren vollkommen unzureichend. Die Amerikaner verfahren seit dem Krieg nach dem Prinzip 'Versuch und Irrtum'." Die so entstandene Situation aus Frustration und Angst schafft den Nährboden für Terroristen wie Abu Mussab el Sarkawi und Populisten wie Muktada el Sadr, dessen Mahdi-Miliz de facto die Macht in dem Bagdader Vorort Sadr City übernommen hat.

Die Stärke el Sadrs speist sich neben der Unterstützung durch den Iran vor allem aus der Schwäche, Arroganz und Unkenntnis der Amerikaner und dem mangelnden Rückhalt der von ihnen unterstützten Übergangsregierung in der Bevölkerung. Der nahezu machtlose Präsidenten Ghazi al Jawar ist ein Technokrat und gehört beispielsweise zum al Schammar-Stamm, der durch Heirat ans Herrscherhaus Saudi Arabiens gebunden ist. Premierminister Alawi war vor seinem Wechsel in den Widerstand lange ein hoher Funktionär der Baath-Partei Saddam Husseins.

Hinzu kommt, das viele Versprechen nicht eingehalten wurden. Noch immer gibt es nicht rund um die Uhr Strom, die Wasserversorgung funktioniert erst seit kurzem. Die gegenwärtige Übergangsregierung stößt denn auch auf wenig Zustimmung in der Bevölkerung. Nach einer am 22. Oktober 2004 veröffentlichten Umfrage des US-Instituts IRI vertraten nur 36,9 Prozent die Ansicht, die Bagdader Regierung vertrete die Interessen des Volkes. 45,3 Prozent glauben, dass ihr Land derzeit auf dem falschen Weg sei, 41,9 Prozent hingegen halten die gegenwärtige politische Richtung für gut.

Die meisten Iraker wünschen sich angesichts des Chaos im Land einfach nur Stabilität. Viele Hoffnungen fokussieren sich derzeit auf die für Januar geplanten Wahlen: 85 Prozent der Iraker gaben in der Umfrage vom 22. Oktober an, an den Wahlen teilnehmen zu wollen. "Wenn dann das Heft des Handelns Stück für Stück an die Iraker übergeben wird, besteht zumindest eine Chance auf Ruhe und Stabilität," sagt Fürtig.

Drei Dinge nennt er, die eine Hoffnung auf Frieden nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen lassen: die Übergangsverfassung, die Teilsouveränität und die provisorische Nationalversammlung. Sie alle sein trotz der Kämpfe und des Terrors durchgestzt worden. In der von dem Mitarbeiter der Hilfsorganisation Help, Frank McAreavey, angeregten Stationierung von UNO-Truppen sieht der Experte vom Deutschen Orient Institut hingegen Momentan keine wirkliche Lösung: "Auf Grund der jahrelangen Sanktionen würden die UN-Truppen im Irak nur unwesentlich besser bewertet werden als die US-Truppen."

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