Sozialistische Staatswirtschaft am Ende In Kuba leben glückliche Kapitalisten

Havanna · Auf der Karibikinsel werden weiter die alten kommunistischen Parolen gepredigt, doch die sozialistische Staatswirtschaft ist längst am Ende. In ihrer Not gestatten die Machthaber immer mehr Privatwirtschaft – auch, um Hunderttausende Kubaner zu beschäftigen, die entlassen werden mussten. In rund 200 Berufen dürfen sie sich heute selbständig machen.

 Morbider Charme in Havannas Altstadt: Die Staatswirtschaft ist schon lange am Ende.

Morbider Charme in Havannas Altstadt: Die Staatswirtschaft ist schon lange am Ende.

Foto: Christoph Goettert

Auf der Karibikinsel werden weiter die alten kommunistischen Parolen gepredigt, doch die sozialistische Staatswirtschaft ist längst am Ende. In ihrer Not gestatten die Machthaber immer mehr Privatwirtschaft — auch, um Hunderttausende Kubaner zu beschäftigen, die entlassen werden mussten. In rund 200 Berufen dürfen sie sich heute selbständig machen.

Havanna In dem kleinen Friseurladen von Julio herrscht Hochbetrieb. Der 46-Jährige hat schon in aller Frühe angefangen, um in seinem kleinen Zimmer in der Altstadt von Havanna all die Kunden zu bedienen, die sich für heute angesagt haben. Julio rasiert, schneidet und kämmt, was das Zeug hält, doch die Schlange der Wartenden wird nur langsam kürzer. "Ich mache das jetzt seit ein paar Monaten", ruft Julio. "Wissen Sie", sagt er mit einem Augenzwinkern, "das ist legal, aber trotzdem gibt es Leute, die sind neidisch auf mich." Und deswegen will er sich auch lieber nicht fotografieren lassen.

"Weil ich geschickt mit den Händen bin"

Julio gehört zu den wenigen Kubanern, die den Sprung in die Selbstständigkeit geschafft haben. Früher hat er in einer Zigarrenfabrik gearbeitet, aber von den 110 Mitarbeitern sind 25 gekündigt worden. Sie alle standen plötzlich auf der Straße. "Niemand wusste so recht, wie es jetzt weitergehen soll", erinnert sich der Mann. Seine Hände sind von der Arbeit in der Fabrik gezeichnet, jetzt verhelfen sie ihm zu einem neuen Start. "Ich bin Friseur geworden, weil ich sehr geschickt mit den Händen bin. Ich habe schon früher in meiner Familie die Haare geschnitten."

Julios kleines kapitalistisches Reich ist jetzt ein paar Quadratmeter groß. Das Wohnzimmer dient tagsüber als Friseursalon, abends werden die beiden Friseurstühle an die Seite geschoben. Überraschenderweise verfügt Julio über erstklassiges Handwerkszeug aus den USA und sogar aus Deutschland. Eine Scherentasche ist dabei, die soll angeblich aus München sein, sagt Julio stolz. Wie er das organisieren konnte, behält er aber für sich. Bilder an der Wand zeigen Familienangehörige, die in Miami leben. Sie könnten nicht ganz unbeteiligt gewesen sein.

"Ich bin nun mein eigener Chef"

Mit dem kleinen Friseurbetrieb hält sich Julio nun über Wasser. "Ich bin nun mein eigener Chef, habe mehr Verantwortung und habe auch ein kleines Einkommen, das reicht, um über die Runden zu bekommen. Ich bin sehr glücklich, dass es so gekommen ist", sagt er. Seine Kundschaft stammt aus allen Teilen der kubanischen Gesellschaft. Es kommen Prostituierte, die sich für die Abendschicht schick machen wollen, aber auch Politkader, die den schlechten Service in staatlichen Geschäften leid sind. "Es hat sich herumgesprochen, dass ich niemanden wegschicke. Jeder kommt dran, auch wenn es mal etwas länger dauert." Julio hat sich ein kleines privates Reich geschaffen, in dem er Chef, Angestellter, Laufbursche und Buchhalter in einem ist. "Ich habe mir alles selbst beibringen müssen."

Julio ist ein Beispiel für den Wandel der kubanischen Wirtschaft. Im Prinzip ist das sozialistische Wirtschaftssystem gescheitert, das weiß auch Staatspräsident Raul Castro. General Castro gilt in der kommunistischen Partei als Reformer, bisweilen — so berichten Insider — sollen ihn Parteifreunde in seinem Tempo etwas bremsen. Rund 500 000 Staatsbedienstete sollten eigentlich schon längst aus den Betrieben entlassen worden sein, um die Kosten zu senken und den Haushalt zu entlasten. Doch die mächtigen Betriebsverwaltungen stellen sich quer und brauchen unendlich lange, bis sie die Beschlüsse umgesetzt haben.

"Freigesetze Kräfte"

Castro forderte immer wieder, dass seine Befehle endlich umgesetzt werden. Die Ungeduld, aber auch Hilflosigkeit von Kubas Staatsführung ist deutlich spürbar. Doch einen Hauruck-Abschied vom aktuellen System soll es nicht geben. Erst im Januar drückte ein Parteitag mächtig auf die Reformbremse. Die bislang "freigesetzten Kräfte" sollen das Recht erhalten, privatwirtschaftlich tätig zu werden. In fast 200 Berufen soll dies möglich sein. Das Friseurhandwerk gehört dazu. Aber nicht immer geht das Experiment so gut aus wie bei Julio. "Im Moment bin ich in meinem Viertel konkurrenzlos, aber das wird nicht lange so bleiben", sorgt sich der frischgebackene Unternehmer vor einem ganz neuen kubanischen Phänomen: dem Wettbewerb.

Wie freie Wirtschaft funktionieren kann, erlebt der hagere Mann nun seit ein paar Monaten täglich in seinem Wohnzimmer. Draußen vor der Tür herrscht dagegen die übliche Tristesse. Kubas Wirtschaft lebt derzeit vor allem vom Tourismus. Die Ausländer bringen vor allem die begehrten Trinkgelder mit nach Kuba. Von der für Ausländer verpflichtenden "Touristenwährung" lebt eine Vielzahl von Menschen. Wie schlecht es um die kubanische Wirtschaft bestellt ist, beweist auch die florierende Prostitution. Die Menge der allein reisenden Männer und Frauen, die auf der Suche nach einem (billigen) Abenteuer sind, ist nicht zu übersehen.

"Polizei greift durch"

Andere Kubaner versuchen sich als Straßenhändler, fast überall werden Ausländer mit dem immer gleichen Angebot konfrontiert: "Do you want cigars?" Auch häufen sich Berichte über Überfälle und Gewalttaten gegen Touristen. Nicht alle Kubaner wollen auf den versprochenen Aufschwung warten. Sie nehmen sich, was sie kriegen können. Die Polizei greift hart durch, denn überfallene Touristen ist das letzte, was Kuba derzeit gebrauchen kann.

"Die Aufgabe ist gigantisch, und uns bleibt nur noch wenig Zeit", sagte Präsident Raul Castro im vergangenen Jahr. Der Handel mit Immobilien und Autos, die Gastronomie — all das soll Schritt für Schritt übergehen in private Hände. Wie das alles funktionieren soll, weiß aber noch niemand so genau. Die Gruppe von acht Männern und Frauen, die seit dem Morgen in Julios Friseursalon bedient werden, diskutiert die aktuelle Lage. "Wir brauchen die Amerikaner nicht", sagt ein junger Student im roten Hemd und wirkt dabei außerordentlich entschlossen. Aber so richtig weiß niemand hier, welcher Weg tatsächlich aus der Krise führt.

Castro hat keine Wahl

Kubas Staatsführung steckt in der Klemme: Auf der einen Seite will sie ihre über Jahrzehnte gepredigten kommunistischen Ideale nicht verraten, andererseits braucht sie aber privatwirtschaftliche Initiativen, um die klaffenden Lücken der Mangelwirtschaft auszugleichen. Nun hoffen die Machthaber, dass die vor wenigen Wochen aus China und Singapur gelieferte Förderplattform "Skarabeo 9" vor der Küste erfolgreich nach Öl bohrt. Bislang hängt Kuba am Tropf von Venezuela. Dessen Präsident Hugo Chavez ist Kubas wichtigster Verbündeter und liefert den Treibstoff zu Sonderkonditionen.

Auf einen möglichen kubanischen Öl-Rausch will Friseur Julio jedenfalls nicht warten. Sein Friseursalon ist ein Beispiel dafür, dass freie Marktwirtschaft im Kleinen funktionieren kann. Aber genau darin steckt auch das Risiko für die Machthaber in Havanna. Wenn ausgerechnet die private Initiative funktioniert, die sie 50 Jahre lang verteufelt haben, dann fordern die Menschen wohl bald noch mehr wirtschaftliche Freiheiten.

Aber Präsident Raul Castro hat keine andere Wahl. Er kündigte bereits neue Wirtschaftsreformen an. Für wann, blieb allerdings offen. So bleibt Julio vorerst einer der wenigen glücklichen Kapitalisten auf Kuba.

(csi)
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