Gesundheit Warum Impfangst in Afrika kein Thema ist

Mopti · In Deutschland erinnert sich kaum jemand an die durch Impfung verhinderten tödlichen Krankheiten. In Ländern wie Mali sehr wohl.

 Mütter warten in einem Gesundheitszentrum der Stadt Mopti in Zentral-Mali, um ihre Kleinkinder impfen zu lassen.

Mütter warten in einem Gesundheitszentrum der Stadt Mopti in Zentral-Mali, um ihre Kleinkinder impfen zu lassen.

Foto: dpa/Jürgen Bätz

 (dpa) Fatmata Traoré wartet seit gut vier Stunden bei über 30 Grad im Schatten auf eine Impfung für ihre Zwillinge. Mit Dutzenden anderen Müttern und Kleinkindern sitzt sie im staubigen Hof eines Gesundheitszentrums in der Stadt Mopti in Mali. Sie wartet gerne: „Früher sind hier viele Kinder gestorben. Das ist jetzt nicht mehr so.“ Wann immer es eine Epidemie gegeben habe, hätten viele Mütter ihre eigenen Kinder begraben müssen, erklärt die Frau, die Ende 30 ist.

„Jetzt sind alle Kinder geimpft“, erklärt sie stolz, während die Zwillinge Hawa und Fatmata in für Westafrika typischen farbenfrohen Kleidchen auf ihrem Schoß sitzen. Selbst wenn sich eines ihrer sieben Kinder mal verletze und blute, habe sie inzwischen keine Angst mehr, weil alle gegen Tetanus geimpft seien. Die Kinder hätten immer Angst vor der Spritze. „Aber zur Belohnung kaufe ich ihnen immer Kekse.“

Impfungen verhindern der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge jährlich zwei bis drei Millionen Todesfälle. Doch in Deutschland und anderen reichen Ländern wird die Skepsis gegenüber Impfungen immer lauter vorgetragen. Die WHO zählt die mangelnde Impfbereitschaft daher bereits zu den größten Gesundheitsrisiken der Welt. Die Fallzahlen vermeidbarer Krankheiten wie Masern steigen rasant.

Bei der Akzeptanz von Impfungen könnte Deutschland wohl etwas von ärmeren Staaten wie Mali lernen. Dort nehmen die Menschen Vakzinen als Segen wahr, als Lebensretter. In Mali erinnern sich die meisten Menschen noch an Fälle, in denen Kinder an vermeidbaren Krankheiten wie Masern, Pocken oder Tetanus gestorben sind. „Hier hat deswegen keiner Angst vor Impfungen“, erklärt die Ärztin Anne Kodio, die das Gesundheitszentrum in Mopti leitet. Die vom Staat und vom UN-Kinderhilfswerk Unicef bereitgestellten Impfungen sind für die Menschen ein begehrter Luxus.

Der Erfolg von Impfungen gehört zu den großen Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit. Vor 30 Jahren etwa starben jährlich knapp 800.000 Neugeborene an Tetanus, inzwischen sind es der WHO zufolge dank der Impfung nur noch 34.000 Babys. Gleiches gilt für die Masern-Impfung: Seit ihrer Einführung in den 1960er und 1970er Jahren in der westlichen Welt und seit 2000 in Entwicklungsländern ist die Zahl der Erkrankungen drastisch gesunken. Noch 1980 starben der WHO zufolge rund 2,6 Millionen Menschen an der Viruskrankheit, 2016 waren es noch knapp 110.000.

In Europa sollten Masern bis 2020 ausgerottet werden, doch das Ziel musste kassiert werden. Die Zahl der Masernerkrankungen in der Region vervielfachte sich von 5273 im Jahr 2016 auf 23.927 im Folgejahr. Die Rückkehr vermeidbarer Krankheiten in Europa sei ein Weckruf und verlange rasches Handeln, fordert die WHO.

Die vor allem in reichen Ländern zunehmende Impfmüdigkeit hat Experten zufolge verschiedene Gründe: Manchmal sind Eltern einfach nachlässig oder vergessen vorgesehene Impfungen. Andere zweifeln am Sinn der Impfungen, weil sie die von ihnen verhinderten Krankheiten zu Lebzeiten selbst nie gesehen haben. Eine dritte Gruppe wiederum wehrt sich gegen Impfungen, weil sie ohne solide wissenschaftliche Belege Nebenwirkungen befürchten oder deren Wirksamkeit anzweifeln.

„Die Impfgegner sind eine sehr kleine, aber eine sehr aktive Gruppe“, erklärt Sabine Wicker, Leiterin des betriebsärztlichen Dienstes der Uniklinik Frankfurt. Die allermeisten Deutschen seien Impfbefürworter, sagt Wicker. Sie ist auch Mitglied der Ständigen Impfkommission , die die Impfempfehlungen für die Bundesrepublik entwickelt. Aber sie räumt ein: „Ich bin seit über 20 Jahren Ärztin und es gibt kein Thema in Deutschland, das so emotional diskutiert wird.“ Das liege sicher auch daran, dass Impfungen als präventive Maßnahme bei sonst gesunden Menschen durchgeführt würden. „Wenn Menschen krank sind, gehen sie zum Arzt und akzeptieren Diagnosen und Therapien, weil sie gesund werden wollen“, so Wicker.

Vermeintliche Nebenwirkungen seien meist Probleme, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung aufträten, erklärt die Expertin. Doch absolute Sicherheit gibt es nicht. „Es gibt keine medikamentöse Behandlung ohne das Risiko von etwaigen Nebenwirkungen.“ Wicker nutzt das Beispiel Masern, um die Risikoabwägung zu erläutern: Bei einer Erkrankung bekomme statistisch etwa jeder 1000. Patient eine Enzephalitis, also eine Entzündung im Gehirn. Es drohen bleibende Schäden oder gar der Tod. Infolge der Impfung stehe das Risiko hingegen bei etwa eins zu einer Million. Wicker bilanziert: „Nicht zu impfen ist das deutlich größere Risiko.“

Bei den meisten Impfungen steht Deutschland gut da: Bei Untersuchungen zum Schulbeginn 2016 waren rund 95 Prozent der Kinder gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, wie das Robert Koch-Institut berichtet. Der Anteil der gegen Diphtherie, Tetanus und Polio (Kinderlähmung) geimpften Kinder ist jedoch seit 2006 zurückgegangen und liegt nun unter 95 Prozent. Diese Schwelle erachtet die WHO als Untergrenze, um die Bevölkerung vor neuen Epidemien zu schützen.

Während Impfskeptiker in Deutschland eher im Bildungsbürgertum zu finden sind, ist es in Mali genau umgekehrt: Überzeugungsarbeit müsse sie nur manchmal bei Eltern ohne Schulbildung leisten, um ihnen den Nutzen von Impfungen zu erklären, sagt Ärztin Kodio. Die vier Jahre alten Zwillinge von Fatmata Traoré bekommen heute nur eine Schluckimpfung Vitamin A, um ihr Immunsystem zu stärken. Jüngeren Kindern hingegen verabreichen die Mitarbeiter des Gesundheitszentrums eine Spritze der Fünffach-Impfung „Penta“, die gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Meningitis und Hepatitis B schützt. „Die Eltern hier sorgen sich um die Gesundheit ihrer Kinder“, erklärt Kodio.

Mali gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt und hat insgesamt noch viel aufzuholen: Unicef schätzt, dass nur rund 60 Prozent aller Kinder die wichtigsten Impfungen erhalten. Ein Grund dafür sind die von islamistischen Extremisten angeheizten Konflikte, die den Norden und das Zentrum des Landes erschüttern. Das zeigt sich auch im zentralen Mopti, wo rund 100.000 Menschen zumeist in flachen Lehmhäusern leben. In der Stadt am Ostufer des Flusses Niger werden fast alle Kinder geimpft, denn dort sorgen Militär und eine UN-Friedenstruppe – an der sich auch die Bundeswehr beteiligt – für Sicherheit. Aber westlich des Flusses haben Islamisten das Sagen, das Gesundheitswesen ist dort zum Erliegen gekommen.

In Mali scheitern Impfungen aber häufig auch an ganz banalen Gründen. Viele der Gesundheitszentren haben zum Beispiel keinen Strom. Unicef hat deswegen zur Aufbewahrung von Impfstoffen bereits knapp 1100 solarbetriebene Kühlschränke installiert. Die Impfkampagnen seit der Jahrtausendwende in Mali haben Experten zufolge Zehntausenden Kindern das Leben gerettet. Im Jahr 2000 starb dort jedes fünfte Kind noch vor dem fünften Geburtstag, inzwischen ist es der Weltbank zufolge nur noch jedes Zehnte. In Deutschland stirbt etwa jedes 300. Kind.

Für die etwa 65 Jahre alte Mamou Sylla ist diese Statistik nicht abstrakt: Vier ihrer sieben Kinder sind bei der Geburt oder als Kleinkinder gestorben. Eine ihrer Töchter litt zudem an Polio und ist seither behindert. „Ich bin keine Expertin, aber was ich erleben musste, also wegen Polio ein behindertes Kind zu haben, das hat mir genug beigebracht“, sagt sie. Die Frau sitzt vor ihrem Lehmhaus, im Hof laufen Ziegen, Hühner und ein Esel umher. Heute hilft Sylla bei jeder Impfkampagne mit. Sie sagt: „Ich will nicht, dass andere Mütter das Gleiche erleiden müssen.“

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