Bericht von der Front "Ich habe ihn erschossen"

Kabul (RP). Die Bundeswehr ist nicht erst seit vergangener Woche in Afghanistan in heftige Kämpfe verwickelt. Ein deutscher Hauptfeldwebel berichtet im Militärmagazin "Loyal" über ein weiteres blutiges Gefecht mit den Taliban in Kundus.

Tödliche Angriffe auf die Bundeswehr
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Foto: ddp

"Sie haben ihn im direkten Duell ausgeschaltet?" Antwort: "Ich habe ihn erschossen. Er oder ich, darum ging es in diesem Fall." Hauptfeldwebel Daniel Seibert (30) aus Stolberg im Harz berichtet in "Loyal", dem sicherheitspolitischen Magazin des Reservistenverbandes, wie er in Kundus gegen die Taliban kämpfen musste.

Dieses Gefecht am 4. Juni 2009 verlief nach gleichem Muster wie der jüngste Angriff am 2. April, bei dem drei Fallschirmjäger aus Niedersachsen starben: Ein Spähtrupp mit drei gepanzerten "Fennek"-Aufklärungsfahrzeugen gerät auf der Suche nach Minen-Fallen in einen Hinterhalt der Taliban. Selbstmordattentäter greifen an, Panzerfaust- und Gewehrschützen feuern auf die deutschen Fahrzeuge. Seibert und seine Soldaten sollen die Kameraden retten.

"Die sind überall"

Der Hauptfeldwebel: "Das Gefecht fand nahe der Ortschaft Basoz statt, aus dem uns die Aufklärer entgegenkamen. Der Spähtruppführer stieg aus dem ,Fennek' aus. Noch heute sehe ich ihn vor mir: Helm auf dem Kopf, Gewehr und Handgranate in der Hand, und er schreit: ,Die sind überall!'"

Seiberts gepanzerte Fahrzeuge sind ebenfalls schnell eingekeilt zwischen Wohnhäusern mit landestypischen Mauern und parallel zur Straße verlaufenden tiefen Gräben. Der Unteroffizier muss seine Soldaten aussteigen lassen — aus den Transportern heraus können sie nicht schießen.

Nur die MG-Schützen bleiben weitgehend ungedeckt in den offenen Luken hinter ihren Waffen stehen. "Wir hatten keine andere Wahl, denn wir steckten fest. Die Taliban griffen geradezu fanatisch an, liefen feuernd auf uns zu." Zehn Kämpfer seien direkt auf die Fahrzeuge zugerannt und von den MG-Schützen niedergeschossen worden.

Seibert brüllt seinen Männern Befehle zu, weist sie auf neue Ziele hin, als plötzlich vier Taliban in 25 Meter Entfernung von der Seite angreifen. "Einer von ihnen blieb stehen und richtete einen Feuerstoß auf mich und den Spähtruppführer, mit dem ich gerade das Vorgehen absprach.

Dem Kameraden wurde der Trageriemen von der Waffe und ein Stück Schuhsohle weggeschossen, mir flogen die Geschosse um die Ohren." Der Hauptfeldwebel ergänzt nüchtern: "Mein Gegenfeuer hat dann dafür gesorgt, dass der Mann auf niemanden mehr eine Waffe richten wird."

"Ein sauber geführter Angriff"

Den Grenadieren gelingt es, die Taliban ohne eigene Verluste zurückzuschlagen. Seibert zollt ihnen Respekt: "Das war ein sauber geführter infanteristischer Angriff., Die wussten genau, was sie machten, die waren gut ausgebildet." Über die feindlichen Verluste schweigt sich der Soldat aus: "Die Zahl der Ausfälle des Feindes unterliegt der Geheimhaltung. Er hatte eine Menge Tote zu beklagen, das kann ich sagen."

Die Taliban nähmen ihre Toten mit — vermutlich, um ihre Opferzahlen zu verschleiern. "Da liegt keine Patronenhülse mehr. Einschusslöcher in den Mauern werden zugeschmiert, ein Acker, dessen Getreide gebrannt hat, wird umgepflügt, Bäume mit Einsplitterungen werden abgesägt. Sie wollten unseren Spähtrupp vernichten. Das ist ihnen nicht gelungen."

Daniel Seibert erhielt am 22. Januar für seinen Einsatz von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg das neue Ehrenkreuz für Tapferkeit.

Weniger glimpflich endete die Afghanistan-Mission für den Hauptgefreiten Michael Ebersoldt (24) aus dem pfälzischen Zweibrücken: Er wurde bei einem Selbstmordanschlag am 6. August 2008 bei Kundus schwer verwundet, sein Kamerad Patrick Sauer starb. Auch ihr Schicksal wird in "Loyal" geschildert.

"Er traut sich nicht zu schießen"

"Ebersoldt und Sauer stehen an der vorderen Absperrung. Ein Motorrad rast heran, eines dieser chinesischen, die es in Afghanistan tausendfach gibt. ,Wieso fährt der so schnell?', fragt sich Ebersoldt. Er schaut nach Anzeichen für einen Sprengstoffgürtel, er ist gewarnt."

Doch er traut sich nicht zu schießen — es könnte ein harmloser Zivilist sein. Sekunden später ist es zu spät: "Er sieht das Lächeln, das nun, auf Höhe der Soldaten angelangt, das Gesicht des Motorradfahrers überzieht." Dann windet sich der Soldat vor Schmerz, sieht Leichenteile, Blut und seinen eigenen verdrehten linken Fuß.

Seibert und Ebersoldt verbindet die Enttäuschung über die mangelnde Anerkennung in der Heimat. Die Bundesbürger respektierten den lebensgefährlichen Einsatz der Soldaten in Afghanistan nicht. Der Hauptfeldwebel: "Wir halten unseren Kopf hin für dieses Land, und dafür wollen wir nicht auch noch missfällig angeschaut oder angepöbelt werden. Ich glaube, da spreche ich im Namen aller Soldaten, die mit mir in Kundus waren."

(RP)
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