Obamas erste wichtige Rede nach der Wahl "Ich bin offen für Kompromisse"

Washington · Am Ende seiner Rede zieht Barack Obama einen Kugelschreiber aus der Sakkotasche und hält das Schreibgerät solange hoch, bis auch der letzte Fotograf seine Bilder im Kasten hat. "Ich bin bereit, ein Gesetz zu unterschreiben, auf der Stelle", sagt der Präsident.

Obama hält die erste politische Rede nach der Wiederwahl
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Sofort könnten sich Demokraten und Republikaner darauf einigen, dass die Mittelschicht ab Januar keine höheren Steuern zahlt. Dazu brauche man kein Drama, auf diese Weise verschwinde ein großes Stück wirtschaftlicher Verunsicherung. Der erhobene Kuli als begleitende Geste soll einprägsam unterstreichen, was Obama schon zu Beginn seiner Zehn-Minuten-Rede erklärt hatte: "Das amerikanische Volk hat für Action gestimmt, nicht für politische Spielchen".

Es ist, im Kronleuchterglanz des East Room, sein erstes wichtiges Statement seit der Wahlnacht, der erste Zug einer Schachpartie, die sich noch über Wochen hinziehen kann. Spätestens am 31. Dezember muss das Duell beendet sein, soll die US-Wirtschaft nicht über die Fiskalklippe, eine Mischung aus Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, in eine zweite Rezession stürzen. Durch Sparen allein könne man den Weg zum Wohlstand nicht ebnen, wiederholt Obama ein Leitmotiv seiner Wahlkampfauftritte. Vielmehr müsse man niedrigere Ausgaben mit höheren Einnahmen verbinden, müssten die reichsten Amerikaner "ein wenig mehr" an Steuern zahlen.

Kompromissbereiter Obama

Im Mittelpunkt aber steht der versöhnliche Ton, der Brückenbau ans Ufer der Opposition. "Ich bin nicht verheiratet mit jedem Detail meines Plans. Ich bin offen für Kompromisse. Ich bin offen für neue Ideen." Damit setzt sich Obama ab von forschen Parteifreunden, die verlangen, mit dem Kredit des gewonnenen Votums einen selbstbewussteren, härteren Kurs zu fahren.

Der New Yorker Senator Chuck Schumer, einer der Einflussreichsten im Parlament, sprach mit sichtlicher Freude am polemischen Wort von der Rumpelstilzchen-Welt jener Republikaner, die noch immer glaubten, niedrigere Steuern führten irgendwie zu höheren Steuereinnahmen. "Sie werden sich vielleicht erinnern, Rumpelstilzchen war diese Märchenfigur, die Stroh zu Gold gesponnen hat."

Mitch McConnell, Südstaatler aus Kentucky und Anführer der Konservativen im US-Senat, setzte einen groben Keil auf Schumers groben Klotz, indem er dem Weißen Haus zum x-ten Mal sorgloses Schuldenmachen vorwarf. "Was die Wähler nicht abgesegnet haben, sind die Fehler und Exzesse der ersten Amtszeit des Präsidenten."

Und täglich grüßt das Murmeltier

Die Hahnenkämpfe erinnern an Groundhog Day, an die Filmkomödie, in der täglich das Murmeltier grüßt, weil ein Fernsehwettermann in einer Zeitschleife festsitzt und immer wieder denselben Tag durchleben muss, vom Anspringen des Radioweckers bis zum stets von Neuem heraufziehenden Schneesturm. Es klingt, als sollten die Schlachten des sommerlichen Schuldenpokers 2011 noch einmal geschlagen werden.

Nach einer Serie geheimer Treffen waren Obama und John Boehner, der Speaker, der Sprecher des Repräsentantenhauses, seinerzeit drauf und dran, ein Kompromisspaket zu schnüren. Die Ausgaben des Bundes sollten um 2,4 Billionen Dollar sinken, vor allem durch Abstriche bei der Rente und Medicare, dem Gesundheitsprogramm für Senioren. Im Gegenzug sollte das Schließen von Steuerschlupflöchern 800 Milliarden mehr in die Kasse spülen. Der Deal scheiterte, weil sowohl rechte Republikaner als auch linke Demokraten nachkarteten und die Tea Party dem blamierten Speaker den Teppich unter den Füßen wegzog.

Tea Party verliert an Schwung

Die Ausgangsposition hat sich nicht verändert: Die Linke will Sozialprogrammen den Rotstift ersparen, die Rechte vergleicht höhere Abgaben mit tödlichem Gift. Am Pokertisch sitzen dieselben Spieler wie damals, Obama und Boehner. Was sich gleichwohl gewandelt hat, ist das politische Klima. Im Prinzip bleibt es zwar bei der alten Kräftebalance — ein republikanisch dominiertes Abgeordnetenhaus kann die demokratisch beherrschte Exekutive blockieren -, doch manche Nuancen sind neu.

Die Tea Party hat an Schwung eingebüßt, bei Senatsduellen in Missouri und Indiana etwa mussten ihre Kandidaten derbe Schlappen einstecken. Konnten die rechten Rebellen vor Jahresfrist alte Hasen vom Schlage Boehners noch vor sich hertreiben, so scheint das Establishment der Grand Old Party allmählich wieder Oberwasser zu gewinnen. Und damit wird zumindest der Ton konzilianter.

"Ich bin die vernünftigste, pflichtbewussteste Person hier in Washington", beteuerte Boehner in einem Fernsehinterview, geradezu rührend darum bemüht, den Pragmatiker herauszukehren. "Der Präsident weiß es. Er weiß, dass er und ich kooperieren können. Die Wahl ist vorbei, jetzt heißt es, an die Arbeit zu gehen."

(RP/felt/das)
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