Großdemonstrationen in Hongkong Wieder trotzen Zehntausende den Warnungen aus Peking

Hongkong · Trotz aller Warnungen aus Peking sind am Samstag in Hongkong wieder Zehntausende Anhänger der Demokratiebewegung auf die Straße gegangen. An einem friedlichen Protestmarsch in der ehemaligen britischen Kolonie beteiligten sich nach Schätzungen mindestens 50.000 Menschen.

  Prodemokratische Demonstranten tragen Mundschutz während eines Protestmarschs in Hongkong.

Prodemokratische Demonstranten tragen Mundschutz während eines Protestmarschs in Hongkong.

Foto: dpa/Kin Cheung

Anschließend gab es kleinere Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die befürchteten Krawalle blieben zunächst jedoch aus.

Mit warnenden Kommentaren und Bildern von Truppenbewegungen nahe Hongkong hatte die chinesische Zentralregierung in den vergangenen Tagen eine massive Drohkulisse aufgebaut. International gibt es Sorgen, dass dies zur blutigen Niederschlagung der Proteste wie 1989 in Peking führen könnte. Als Sonderverwaltungszone genießt Hongkong bislang eine verhältnismäßig große Autonomie.

An diesem Sonntag will die Protestbewegung noch mehr Menschen auf die Straße bringen. Zu einer Kundgebung in der Innenstadt werden Hunderttausende erwartet. Die Demonstrationen dauern nun schon mehr als zweieinhalb Monate. Die Kritik richtete sich anfangs gegen die prochinesische Stadtregierung unter Regierungschefin Carrie Lam, inzwischen aber auch gegen Peking direkt. Aus der Menge wurden auch Rufe nach Unabhängigkeit laut.

An dem kilometerlangen Marsch beteiligten sich vor allem jüngere Leute. Der Großteil der Demonstranten war unter 30 Jahre alt. Viele waren schwarz gekleidet und hatten Atemschutzmasken im Gesicht - zum Schutz gegen Tränengas, aber auch, um nicht erkannt zu werden. In der Menge marschierten allerdings auch Familien mit Kinderwagen mit. Wieder waren auch Fahnen der USA und Taiwans zu sehen, was für China eine besondere Provokation ist.

Die 31-jährige Minnie Lee beteiligte sich an der Demonstration der Demokratiebefürworter im Stadtteil Kowloon. „Obwohl wir alle Angst haben, festgenommen zu werden, müssen wir weiter machen“, sagte sie. „Wofür wir kämpfen, ist Demokratie und unsere Rechte. Wir tun nichts Falsches. Wenn wir jetzt aufhören, wird es nur schlimmer werden.“

Bei der Versammlung der Regierungsanhänger sagten Redner auf einer Bühne, sie liebten sowohl Hongkong als auch China. Der 47-jährige Fahrer Leo Chen sagte, er sei gekommen, weil er Frieden in der Stadt wolle. „Früher halfen sich alle in Hongkong, es war sehr harmonisch“, sagte er. „Es jetzt so werden zu sehen, ich bin nicht glücklich.“

Tausender Lehrkräfte marschierten bei einer weiteren Demonstration zum Amtssitz der Regierungschefin Carrie Lam, um die Regierungskritiker zu unterstützen. Sie trugen Schilder, auf denen „schützt die nächste Generation“ stand, und Regenschirmen. „Wir wollen unsere Studenten, unsere Jugendlichen schützen, daher sind Lehrer bereit, heraus zu kommen und die Jugendlichen zu unterstützen und ihnen beizustehen, damit sie nicht alleine sind“, sagte Fung Wai-wah, Präsident der Lehrergewerkschaft PTU, die die Demonstration organisierte.

Hongkong: Polizei setzt Schlagstöcke und Pfefferspray gegen Demonstranten ein
15 Bilder

Polizei setzt Schlagstöcke und Pfefferspray gegen Demonstranten in Hongkong ein

15 Bilder
Foto: dpa/Vincent Yu

Aus Angst vor Krawallen blieben viele Geschäfte entlang der Route geschlossen. Der Marsch verlief jedoch friedlich. Anschließend zogen mehrere Hundert maskierte Demonstranten vor ein Polizeirevier. Von einer Überführung wurden Mülltonnen auf die Polizei geworfen. Die Situation eskalierte aber nicht. In einem Park versammelten sich auch Tausende Gegendemonstranten. Dort wurde die chinesische Flagge geschwungen und die Nationalhymne gesungen.

Von der Demonstration am Sonntag wird Aufschluss erwartet, wie groß der Rückhalt für die Protestbewegung in der Bevölkerung noch ist. Auf dem bisherigen Höhepunkt gingen in der 7,5-Millionen-Einwohner-Stadt etwa zwei Millionen Menschen auf die Straße. Inzwischen sind es deutlich weniger. Nun hoffen die Veranstalter vom Bündnis Civil Human Rights Front wieder auf Hunderttausende Teilnehmer.

Hongkong gehört seit dem Abzug der Briten 1997 zu China. Eigentlich hat es bis 2047 noch umfangreiche Sonderrechte wie Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit garantiert. Man nennt dies: „Ein Land, zwei Systeme“. Die Demonstranten werfen Regierungschefin Lam vor, solche Rechte immer weiter einzuschränken zu wollen. Auf einer der Kundgebungen forderten mehrere Redner den Westen auf, Hongkong im Kampf für demokratische Grundrechte nicht allein zu lassen.

Die Europäische Union mahnte beide Seiten zum Dialog und zu einem Ende der Gewalt. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte: „Es ist entscheidend, dass Zurückhaltung geübt, Gewalt abgelehnt, und dringende Schritte zur Deeskalation der Situation unternommen werden.“

Der deutsche China-Experte Tilman Spengler äußerte im Bayerischen Rundfunk die Erwartung, dass ein militärisches Eingreifen Pekings nicht unmittelbar bevorsteht. Spengler verwies auf die geplanten Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober. Es sei fraglich, ob sich Peking kurz zuvor Bilder von der Niederschlagung eines Protestes antun wolle.

(felt/dpa/ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort