Neuer britischer Premierminister Für Sunak schlägt die Stunde der Wahrheit

London · Rishi Sunak ist neuer Vorsitzender der Konservativen Partei. Damit wird er auch der neue Premierminister des Vereinigten Königreichs werden – der dritte in drei Monaten.

Rishi Sunak​: Das ist der neue britische Premierminister
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Britischer Premierminister - das ist Rishi Sunak

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Foto: AP/Kin Cheung

Das Drama der Regierungskrise in London steuerte am Montag auf seinen Höhepunkt zu. Nachdem Premierministerin Liz Truss am Donnerstag vom Vorsitz der Konservativen Partei zurückgetreten war, hatte bei den Torys die Suche nach einem neuen Anführer begonnen, der automatisch zum Regierungschef wird. Bewerben konnte sich, wer mindestens 100 Nominierungen von konservativen Abgeordneten erhalten hatte. Überraschend hatte Ex-Premier Boris Johnson am Sonntagabend verkündet, dass er doch nicht antreten werde. Somit wurde das Rennen zum Zweikampf zwischen dem ehemaligen Finanzminister Rishi Sunak und der Fraktionschefin Penny Mordaunt.

Noch am Montagmorgen hatten die Unterstützer von Penny Mordaunt versichert, dass sie die nötigen Nominierungen beisammen habe und auf jeden Fall antreten werde. Dann wurde immer deutlicher, dass ihr der Wind ins Gesicht wehte. Immer mehr Abgeordnete erklärten sich für Sunak. Gleichzeitig verlor Mordaunt an Rückhalt, und ehemalige Mitstreiter legten ihr nahe, auf ihre Kandidatur zu verzichten. Zwei Minuten vor der Frist von 15 Uhr, bis zu der die Nominierungen beim zuständigen 1922-Komittee eingehen musste, veröffentlichte Penny Mordaunt eine Nachricht auf Twitter: Im Interesse der Partei trete sie von ihrer Bewerbung zurück. „Ich kann hiermit bestätigen“, sagte Sir Graham Brady, Vorsitzender des Komitees, „dass wir nur eine gültige Nominierung empfangen haben und Rishi Sunak damit formgerecht zum Vorsitzenden der Konservativen Partei gewählt worden ist.“ Premierminister ist er damit aber noch nicht. Das muss warten, bis er von König Charles – wahrscheinlich am Dienstag – dazu ernannt worden ist.

Damit ist Rishi Sunak, der Mann, dessen Rücktritt als Finanzminister vor dreieinhalb Monaten den Sturz von Johnson einleitete und eine Kette von Ereignissen ausgelöst hatte, ganz oben angekommen. Er darf sich jetzt voll rehabilitiert sehen. Noch Anfang September unterlag er gegen Liz Truss bei der Kampagne um den Parteivorsitz. Aber während ebendieser Kampagne hatte er das Chaos vorausgesagt, dass die Steuer- und Wirtschaftspläne von Truss anrichten würden. Als Sunak noch als Finanzminister amtierte, hatte er sich beharrlich gegen Steuersenkungen gesperrt. Während der Kampagne argumentierte er gegen die fiskalische Verantwortungslosigkeit der Truss‘schen Pläne und bezeichnete sie als „ökonomische Märchenerzählungen“. Als Truss ins Amt kam, wurden seine Warnungen bestätigt durch die katastrophalen Konsequenzen, die ihre Haushaltspläne am Markt auslösten: Zinsen für Staatsanleihen stiegen rapide, während das Pfund gegenüber dem Dollar in den Keller stürzte. „Steuersenkungen auf Pump funktionieren einfach nicht“, meinte Kabinettsminister Grant Chapps am Montag, „Rishi Sunak hatte völlig recht, als er sagte, was passieren würde, wenn wir diesen Weg gehen. Und deswegen ist er jetzt die richtige Person, das Land zu führen.“

Mit dem Abgang von Truss und der Ankunft von Sunak haben sich, wie erste Reaktionen zeigten, die Märkte wieder beruhigt. Denn Sunak tritt an mit dem Versprechen eines „fiskalischen Konservatismus“, der Stabilität in die Staatsfinanzen bringen soll. Allerdings sind die Herausforderungen groß. Im Haushalt klafft ein Loch von rund 40 Milliarden Pfund, das nun gestopft werden muss. Soll das durch Steuererhöhungen und Ausgabeneinschnitte geschehen? Soll eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen eingeführt werden oder will man die Sozialhilfe kürzen? Schwierige Entscheidungen erwarten den neuen Premier.

Sunak verspricht, die Partei einigen zu wollen. In einem Seitenhieb gegen Boris Johnson hatte er allerdings erklärt: „Es wird Integrität, Kompetenz und Rechenschaft auf jeder Ebene meiner Regierung geben.“ Damit verwies er implizit auf die chaotischen Verhältnisse unter Boris Johnson. Die verbotenen Partys, die zu Corona-Zeiten in der Downing Street gefeiert wurden, das Missmanagement von innerparteilichen Querelen und die Inkompetenz und fehlende Integrität von Boris Johnson selbst hatten maßgeblich zu seinem Fenstersturz beigetragen, als Anfang Juli der Rücktritt von Sunak einen Massenexodus von mehr als 60 Regierungsmitgliedern ausgelöst hatte. Johnson hat immer noch eine beachtliche Hausmacht innerhalb der Fraktion, die Sunak das Regieren schwer machen könnte. Sir Christopher Chope zum Beispiel sieht Sunak als einen Usurpator ohne Mandat, während dagegen Johnson 2019 einen Erdrutschsieg errungen habe. „Die Partei“, warnte Chope, „ist unregierbar im Unterhaus, und deswegen werden wir dauernd Rebellionen haben.“

Auch die Oppositionsparteien protestieren, dass Sunak kein Mandat habe und fordern vorgezogene Neuwahlen. Der Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP) Ian Blackford hatte am Montag einen Brief an den Labour-Chef Keir Starmer geschrieben, in dem er ihn aufforderte, ein Misstrauensvotum im Parlament einzubringen. „Wir können nicht einfach beiseitestehen“, schrieb Blackford, „wenn die Torys versuchen, uns ihren dritten Premierminister innerhalb von drei Monaten aufzuzwingen. Jetzt ist die Zeit zu handeln.“ Starmer selbst hatte wiederholt Neuwahlen gefordert. Allerdings wird nicht erwartet, dass er kurzfristig eine Vertrauensabstimmung verlangt.

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