Grandseigneur der Europapolitik Französischer Ex-Präsident Giscard d'Estaing gestorben

Paris · Er war ein langjähriger Freund von Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und ein überzeugter Europäer: Nun ist der frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing im Alter von 94 Jahren gestorben.

 Der damalige französische Präsident Valery Giscard d'Estaing (l) und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1977 in Bonn.

Der damalige französische Präsident Valery Giscard d'Estaing (l) und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1977 in Bonn.

Foto: dpa/Heinrich Sanden

Der frühere französische Präsident Valery Giscard d'Estaing ist tot. Der Politiker starb im Alter von 94 Jahren, wie das Präsidialamt am späten Mittwochabend bekanntgab. Demnach starb er in seinem Haus im Département Loir-et-Cher im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung. Er war erst kürzlich in einem Krankenhaus in Tours behandelt worden. Im Einklang mit D'Estaings Wünschen werde die Trauerfeier im engsten Familienkreis stattfinden, teilte das Büro mit.

Giscard d'Estaing galt in seiner Amtszeit von 1974 bis 1981 als Architekt der europäischen Integration und leitete einen Wandel in der französischen Gesellschaft ein. Er veranlasste Reformen wie die Absenkung des Wahlalters auf 18, liberalisierte die Abtreibung und das Scheidungsrecht. Das Fernsehen zeigte ihn beim Skifahren und auf dem Fußballplatz - Bilder, die die Franzosen von Giscards Vorgängern Georges Pompidou und Charles de Gaulle nicht kannten.

Mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt verband d’Estaing nicht nur die Amtszeit: Seine Wahl zum französischen Staatsoberhaupt im Mai 1974 erfolgte nur drei Tage nach der Wahl Schmidts zum Bundeskanzler. In der Außen- und Europapolitik vertraute Giscard auf seinen deutschen Partner Schmidt: Gemeinsam mit dem SPD-Politiker konzipierte der Franzose das Europäische Währungssystem EWS, das 1979 in Kraft trat. Mit dem Hamburger berief er 1975 auch das erste G6-Treffen auf Schloss Rambouillet bei Paris ein, aus dem ein Jahr später die G7 wurden.

Eine besondere Verbindung zu Deutschland hatte Giscard d'Estaing qua Geburt: Er kam am 2. Februar 1926 in Koblenz zur Welt - die Stadt am Rhein stand damals unter französischer Verwaltung. Der Sohn aus bürgerlichem Hause wuchs in Frankreich auf, absolvierte Elite-Kaderschmieden und machte dann politisch Karriere: Mit nur 29 Jahren wurde er Abgeordneter und mit 36 Jahren Frankreichs jüngster Wirtschafts- und Finanzminister.

1974 errang er seinen größten politischen Sieg: Als Kandidat der bürgerlich-liberalen Mitte setzte sich der intellektuell brillante Giscard d'Estaing bei den Präsidentschaftswahlen knapp gegen den Sozialisten François Mitterrand durch.

Aus heutiger Sicht erstaunen die Parallelen zu Präsident Emmanuel Macron: Wie Macron wurde Giscard jüngster Staatschef seiner Zeit. Wie Macron brachte er ehrgeizige Reformen auf den Weg, stieß dann aber auf massive innenpolitische Widerstände.

In Giscard d'Estaings Amtszeit fielen die Wirtschaftskrise nach den großen Ölschocks, Inflation und straffe Sparprogramme. Außerdem schlug ein Skandal um Diamanten hohe Wellen: Giscard hatte sie von dem zentralafrikanischen Diktator Bokassa geschenkt bekommen. Die Affäre beschädigte seinen Ruf massiv und trug zu seiner Niederlage gegen Mitterrand bei den Präsidentschaftswahlen 1981 bei.

Auch wenn Giscard mit Helmut Schmidt vieles gemein hatte - eine ähnliche Beliebtheit wie der Kette rauchende Ex-Kanzler erreichte der frühere Präsident nach dem Ende seiner politischen Karriere nie. Zwar wurde er 2001 Präsident des EU-Konvents für eine europäische Verfassung. Seine Landsleute trugen das Projekt dann aber 2005 bei einem Referendum zu Grabe.

Danach wurde es ruhig um Giscard d'Estaing. Nach Schmidts Tod 2015 reiste er zum Staatsakt nach Hamburg. Schmidt sei der "beste Kanzler" nach Konrad Adenauer gewesen und zugleich ein "herzlicher, treuer und ehrlicher Freund", bekundete der Franzose.

Giscard d'Estaing schrieb politische Bücher wie Liebesromane. Mit "Die Prinzessin und der Präsident" schürte der vierfache Vater sogar Spekulationen über eine frühere Affäre mit Lady Di. Dann jedoch gab er zu Protokoll, die Liebesgeschichte sei frei erfunden.

Kurz vor seinem Tod machte der Hochbetagte noch einmal Schlagzeilen. Eine WDR-Journalistin warf ihm vor, sie nach einem Interview unsittlich berührt zu haben. Er selbst wies dies als "grotesk" zurück.

(peng/Reuters/AFP/dpa)
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