Massenproteste in der Ukraine Gewalt in Kiew eskaliert - auch Klitschko attackiert

Kiew · In Kiew versuchen Hunderte mit Holzknüppeln bewaffnete Oppositionelle das Parlamentsgebäude zu stürmen. Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko versuchte, die wütende Menge zu beruhigen - und scheiterte. Gegen ihn wurden Buhrufe laut.

Angriff auf Klitschko in der Ukraine
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Angriff auf Klitschko in der Ukraine

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Nach neuen Massenprotesten gegen die prorussische Führung in der Ukraine ist es am Sonntag in Kiew zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Polizei gekommen.

Eine Gruppe von mehreren hundert vermummten Menschen zeigte sich besonders radikal. Mit Holzknüppeln bewaffnet versuchten sie, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen und das Parlamentsgebäude zu stürmen.

Tränengas und Schlagstöcke

Polizisten gingen am Abend mit Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten gegen Steine und Rauchbomben werfende Demonstranten im Stadtzentrum vor. Rund 200. 000 Menschen waren gegen Mittag trotz Demonstrationsverbot bei Minusgraden auf die Straßen gegangen.

Gegen Ende der Kundgebungen warfen mehrere hundert zum Teil vermummte Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) Steine und Molotow-Cocktails auf die Sicherheitskräfte. Sie versuchten, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und Einsatzbusse umzustoßen. Offenbar wollten sie zum Parlament ziehen. Mindestens ein Fahrzeug wurde in Brand gesetzt. Die Beamten setzten Tränengas und Schlagstöcke ein.

Angriff auf Klitschko

Nach Angaben des Innenministeriums wurden mehr als 20 Polizisten verletzt. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP sah mindestens neun verletzte Demonstranten. Viele der EU-freundlichen Regierungsgegner trugen Karnevalsmasken sowie Töpfe, Siebe oder Kartons auf dem Kopf. Damit setzten sie sich über das jüngst verhängte Vermummungsverbot hinweg.

Der prowestliche Oppositionspolitiker und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko wurde angegriffen, als er versuchte, die wütende Menge zu beruhigen. Dabei wurde Klitschko mit einem Feuerlöscher besprüht. Stundenlang setzte er sich mit den Demonstranten auseinander und warnte vor ausufernder Gewalt.

Bilder zeigen brennenden Polizeibus

Die Demonstranten zündeten Feuerwerkskörper. Mindestens ein Polizeibus wurde beschädigt, Bilder zeigten, wie das Fahrzeug in Flammen aufging. Klitschko rief die jungen Demonstranten zur Ruhe und zu Verhandlungen mit der Polizei auf. Einige warfen Steine auf die Polizisten. Es gab erste unbestätigte Meldungen über mehrere Verletzte.

Zahlreiche Demonstranten hatten kurz zuvor auf einer Massenkundgebung auf den zentralen Unabhängigkeitsplatz ihren Unmut darüber gezeigt, dass die Opposition auch nach Wochen des Protestes keine Ergebnisse vorweisen könne. Bis zu 100 000 Menschen hatten gegen demokratische Rückschritte in der Ex-Sowjetrepublik demonstriert.

Insbesondere gegen Klitschko gab es Buhrufe bei der Kundgebung. Er steht in der Kritik, ohne Plan und unentschlossen zu handeln und die zersplitterte Opposition nicht einigen zu können. Der Boxer hatte sich immer wieder für einen friedlichen Machtwechsel in der Ex-Sowjetrepublik ausgesprochen. Nach Meinung von Beobachtern fordern aber vor allem jüngere Demonstranten rasche Veränderungen.

Demonstrationsverbot heizt die Wut an

Schon zu Beginn des Sonntags hatten proeuropäische Ukrainer gegen ein umstrittenes Demonstrationsverbot protestiert. Dutzende Menschen trugen bei Minustemperaturen Karnevalsmasken, Töpfe, Siebe oder Kartons auf dem Kopf, um die jüngst verschärften Sanktionen für vermummte Demonstranten lächerlich zu machen.

Präsident Viktor Janukowitsch hatte erst am Freitag ein Gesetzespaket unterzeichnet, welches das Demonstrationsrecht beschneidet und unter anderem Geldstrafen für Demonstranten vorsieht, die sich etwa mit Gesichtsmasken oder Helmen vermummen. Für den ungenehmigten Aufbau von Bühnen und Zelten auf öffentlichen Plätzen können 15 Tage Haft verhängt werden, bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen für die Blockade öffentlicher Gebäude. Auch die Strafen für "Verleumdungen im Internet" wurden verschärft.

Klitschko ruft Sicherheitskräfte zum Überlaufen auf

Außerdem hatte ein Gericht in Kiew am Mittwoch ohne Angaben von Gründen entschieden, dass im Zentrum von Kiew bis zum 8. März nicht mehr demonstriert werden dürfe. Ungeachtet des Verbots hatte die Opposition für Sonntag zu den Massenprotesten aufgerufen. Die Beschneidung des Demonstrationsrechts wurde im In- und Ausland heftig kritisiert.

Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko nannte die Gesetzesänderungen bei einer Rede am Sonntag erneut "illegal" und forderte die Sicherheitskräfte auf, sich der Protestbewegung anzuschließen. Arseni Jazenjuk, Chef der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, sprach dem Parlament jegliche Legitimität ab und verlangte die Gründung eines "Volksrats aus Politikern der Opposition". Eben jene bekamen am Sonntag aber auch den Unmut ihrer Anhänger zu spüren: Sie wurden mit Pfiffen bedacht, da die Protestbewegung angesichts fehlender Erfolge zuletzt erkennbare Lähmungserscheinungen zeigte.

Der Maidan genannte Unabhängigkeitsplatz in Kiew ist seit November die zentrale Anlaufstelle für die Oppositionsanhänger. Sie protestieren gegen die Entscheidung Janukowitschs, ein über Jahre ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen. Der Präsident handelte dabei offenbar auf Druck Russlands, das ihm anschließend einen Milliardenkredit und einen Preisnachlass bei Gaslieferungen gewährte.

(dpa/AFP)
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