Gastbeitrag Afrika-Politik mit gesundem Egoismus

Düsseldorf · Donald Trump hat afrikanische Länder "Dreckslöcher" genannt. Das ist natürlich menschenverachtend. Trotzdem berührt der Satz wichtige Probleme: Im Umgang mit Afrika hilft weder Selbstbezichtigung noch Romantik.

 Das Gebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba in Äthopien (Symbolfoto).

Das Gebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba in Äthopien (Symbolfoto).

Foto: Michael Kappeler/dpa

Der amerikanische Präsident Donald Trump fragte bei einem Treffen mit Senatoren vor drei Wochen in Washington, warum die Vereinigten Staaten Menschen aus - wie er sagte - "Drecksloch-Ländern" ("shithole countries") aufnehmen sollten. Er meinte damit vor allem Einwanderer aus afrikanischen Ländern.

Wie jeder Politiker, der ernst genommen werden möchte, kann ich die unsägliche Wortwahl und die menschenverachtende Intention dahinter nur verurteilen. "Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren" - so beginnt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die zu lesen sich auch heute lohnt.

Ihr Artikel 2 handelt vom Verbot der Diskriminierung: Alle haben die gleichen Rechte und Freiheiten, "ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand". Es dürfe keinen Unterschied geben "aufgrund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört".

Auf der Suche nach einem besseren Leben

Zwar wäre es für uns alle besser, wenn der Präsident der ehemaligen Führungsmacht der freien Welt nicht im Wochenrhythmus gegen Anstand und gute Sitten verstieße. Aber rein rechtlich und völkerrechtlich ist Donald Trump kein Vergehen vorzuwerfen: Es gibt kein Menschenrecht auf Einwanderung in ein bestimmtes Land.

Vielmehr sollten wir - moralisch abgekühlter, was in Deutschland leider zu selten der Fall ist - nach den dahinterstehenden politischen Interessen fragen. Es geht in der Diskussion in den USA genauso wie bei uns um die Begrenzung von Zuwanderung und darum, dass jene kommen sollen, die einem Land nützen, und nicht solche, die es ausnutzen wollen.

Es geht hier nicht um die Menschen, denen als politisch Verfolgten Asyl zu gewähren ist, sondern um jene, vor allem junge Männer, die sich auf die Suche nach einem besseren Leben begeben haben. Sie stehen vor den Toren der "westlichen Welt". Für sie ist Deutschland ein Sehnsuchtsort, entgegen allen Kommentaren hierzulande, die dieses Land und seine Regierung als gescheitert, verlogen und sozial ungerecht beschimpfen. Menschen aus der halben Welt bitten bei uns um Einlass, und manchmal drohen sie auch, ohne Erlaubnis einfach einzumarschieren.

Wer wie ich viele der afrikanischen Herkunftsländer etwas genauer kennt, wundert sich nicht, dass sich diese Menschen von dort auf den unsicheren Weg nach Europa begeben, um bei uns zu leben. Ich wundere mich eher, dass es nicht noch mehr sind.

Ihre Herkunftsländer sind keine "Dreckslöcher". Aber es sind wenig entwickelte Staaten, die ihnen keinerlei Perspektive bieten, weil einer korrupten Elite das Schicksal der Armen egal ist; diese Staaten sind schlecht regiert und unsicher. Auch in Afrika gibt es Ausnahmen. Aber auch dort ist der Lebensstandard so viel niedriger als bei uns, dass fast jedes Risiko eingegangen wird, um nach Europa zu kommen.

Europa sollte sich von aller Afrika-Romantik verabschieden

Wieso schämt sich kaum ein afrikanischer Staats- und Regierungschef dafür, dass ihm die Leute weglaufen? Stattdessen erleben wir ein zur Schau getragenes Selbstbewusstsein afrikanischer Eliten.

Natürlich hat der Westen sich schuldig gemacht: Weil die USA mit der Nachfrage nach billigen Sklavenarbeitern aus Afrika noch mehr blutige Konflikte auf dem Kontinent initiierten, weil Europäer, voran die netten Niederländer, am Menschenhandel über den Atlantik verdienten und weil nach der Berliner Konferenz 1884/85, auf der Afrika aufgeteilt wurde, auch Deutschland als Kolonialmacht unvorstellbare Verbrechen beging.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat gesagt, die Vergangenheit sei vergangen. Richtig ist: Die Verbrechen von damals sind nicht der Grund für den mangelnden Wohlstand heute. Ich finde es falsch, diese Art Schuld vor uns herzutragen und damit den Regierenden in Afrika eine billige Ausrede anzubieten für viele hausgemachte Probleme.

Europa sollte sich von aller Afrika-Romantik verabschieden. Unser Nachbarkontinent ist kein Chancenkontinent. Er ist und bleibt noch für lange Zeit eine einzige große Herausforderung für uns alle - hier in Europa und dort in Afrika und für die Menschen, die irgendwo dazwischen unterwegs sind. Sie wissen wenig über das Risiko ihrer "Reise" und über die Anforderungen in Deutschland. Sie wollen uns nicht ausnutzen. Aber die meisten von ihnen haben - wie wir selbst übrigens auch - keine Ahnung davon, wie weit der Weg ist, ehe sie uns wirklich auf dem Arbeitsmarkt nützen können. Viele kommen ohne Bildung und Ausbildung.

Vom hohen Ross der Moral gewinnt man keine Schlachten

Das wussten wir auch schon während der ungeregelten Zuwanderung im Herbst 2015. Aber der nationale Rausch der Willkommenskultur hat Politik und Medien davon abgehalten, sich die Realität und die damit verbundenen langfristigen Probleme bewusst zu machen. Schlimmer noch: Wer es damals versuchte, wurde an den Pranger gestellt und erlebte einen Shitstorm.

Doch vom hohen Ross der Moral gewinnt man keine Schlachten. Gefragt ist die oft kritisierte politische Kleinarbeit, ist eine nicht nach Aufmerksamkeit und Aufschrei gierende Sprache, die die Würde anderer nicht verletzt. Wir brauchen einen langen Atem, Demut und Ehrlichkeit. Wir müssen lernen zu sagen, was mit uns geht und was nicht. Und wir dürfen von anderen nicht mehr erwarten, als sie zu leisten in der Lage sind, aber auch nicht weniger.

Niemand kann verlangen, dass Europa sich aufgibt und jeden hereinlässt. Ein weitsichtiger Egoismus erkennt aber, wie es die Bundeskanzlerin einmal formulierte: Das Wohl Afrikas liegt im Interesse Europas und Deutschlands. Den Menschen vor Ort, auf dem afrikanischen Kontinent Perspektiven eröffnen - das ist anstrengender, langwieriger und sehr viel komplizierter, als es die Floskel vom Bekämpfen der Fluchtursachen ausdrückt.

Darf man versuchen, Trump auf diese so positive Weise zu interpretieren?

Der Diplom-Physiker und frühere DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke (59, CDU) ist Afrikabeauftragter von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Entwicklungsministerium.

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