Fagen und Antworten nach Lieferstopp für Polen und Bulgarien Was der Gaslieferstopp für Deutschland bedeutet

Analyse | Berlin/Düsseldorf · Russland stellt seine Lieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Was sind die Folgen? Und droht der Lieferstopp für Deutschland? Anders als in Polen sind die Speicher bei uns nur gering gefüllt. Die Industrie bangt. Die Bundesregierung beruhigt die Verbraucher.

Wird es im Winter kalt in Deutschland? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemüht sich um Entwarnung.

Wird es im Winter kalt in Deutschland? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemüht sich um Entwarnung.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Russland stellt seinen Gas-Export nach Polen ein. Konkret kündigte der Gazprom-Konzern an, die Lieferungen durch die Jamal-Pipeline zu beenden. Es gibt aber widersprüchliche Meldungen, ob dies bereits zu spüren ist. Die Jamal-Pipeline verläuft über Belarus und versorgt neben Polen auch Deutschland. Die wichtigste Pipeline für Deutschland ist Nord Stream 1 in der Ostsee.

Wie begründet Russland den Schritt? Der russische Konzern erklärte, man habe die Lieferungen nach Bulgarien und Polen vollständig eingestellt, weil die Länder nicht in Rubel gezahlt hätten. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bereits im März angekündigt, „unfreundliche“ Abnehmer würden nicht mehr mit Gas beliefert, falls sie Gazprom nicht in Rubel bezahlen. Damit will er die westlichen Sanktionen umgehen und den Verfall des Rubels stoppen. Was auch eine Rolle spielen dürfte: Polen hat angekündigt, die Ukraine mit Panzern zu beliefern. Schon jetzt laufen viele Waffenlieferungen über Polen.

Was bedeutet der Lieferstopp für Polen? Die Folgen sind überschaubar. Polen ist zwar auch abhängig von Russland, hat seine Gasspeicher aber zu 75 Prozent gefüllt, ein hoher Wert für das Frühjahr. Polens Klimaministerin Anna Moskwa erklärte, die Auswirkungen des Lieferstopps seien gering.

Wie wirkt sich das auf die Preise aus? Die Lage auf den Energiemärkten ist seit Wochen angespannt. Nach der Ankündigung Russlands legte am Mittwoch der Ölpreis leicht zu auf 105,36 Dollar für ein Barrel (159 Liter) der Nordseeölsorte Brent. Das sind 37 Cent mehr als am Vortag. Der Gaspreis steigt laut der Agentur Reuters auf ein Vier-Wochen-Hoch: Der Preis für künftige Lieferungen legte um 20 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde zu.

Ist die Versorgung in Deutschland gesichert? Noch ja. „Die Versorgungslage bei uns ist stabil und wir tun alles, damit dies weiter so bleibt. Europa wird solidarisch zusammenstehen und die Gasversorgung weiter diversifizieren. Ziel in der Europäischen Union ist es, sich so schnell wie möglich unabhängig von russischen Energieimporten zu machen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch die Bundesnetzagentur erklärte, die Versorgung sei derzeit weiter gewährleistet. Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischem Gas zwar bereits von 55 auf 40 Prozent der Importe reduzieren können. Doch damit ist das Land noch immer auf die Lieferungen vor allem durch die Pipeline Nord Stream 1 angewiesen, durch die fast die Hälfte der Importe kommen. Und anders als in Polen sind unsere Gasspeicher noch ziemlich leer: Sie sind aktuell zu 33 Prozent gefüllt. „Das Krisenteam Gas monitort die Versorgungssituation intensiv. Es sind bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Engpässe festgestellt worden“, versicherte eine Sprecherin Habecks. Dennoch macht man keinen Hehl daraus, dass Putin mit seinem Gaslieferstopp einen weiteren Warnschuss in Richtung EU gesendet hat.

Was passiert, wenn der Lieferstopp auch für Deutschland kommt? Falls Putin in Wyborg den Hahn von Nord Stream 1 zudrehen lassen sollte, würde es ein paar Tage dauern, bis tatsächlich weniger Gas in Deutschland ankommt. Denn die Pipeline ist gut 1100 Kilometer lang. Das gibt Deutschland etwas Zeit zu reagieren. Deutschland erhält auch Gas aus der Pipeline Jamal, die Moskau nun für Polen gesperrt hat. Die deutsche Wirtschaft warnt seit Wochen vor einem Embargo des Westens, dessen Folgen würden auch für einen Lieferstopp gelten. Unternehmen müssten ihren Betrieb einstellen, Lieferketten brächen zusammen, Kurzarbeit und Entlassungen drohen.

Müssen Verbraucher nun frieren? Nein. Private Haushalte, soziale Einrichtungen wie Kliniken und Gaskraftwerke, die Wärme für Haushalte erzeugen, gelte als „geschützte Kunden“. Sie würden bei einem Gasmangel als letztes abgeklemmt. Bei allen anderen Verbrauchern aber könnten Einschränkungen drohen, die Industrie steht für 37 Prozent des Verbrauchs.

Welche Unternehmen werden als erste vom Gas abgeklemmt? Es werde immer um Einzelfall-Entscheidungen gehen, betont die Bundesnetzagentur, die im Notfall für die Verteilung des knappen Gases zuständig ist. „Die Bundesnetzagentur bereitet keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor“, hat sie unlängst betont. Gleichwohl bedrängen Unternehmen seit Wochen die Behörde, um ihre Unverzichtbarkeit zu erklären. Doch wegen der Verflechtungen wird es schwierig, Unternehmen zu finden, die man ohne Bedenken abschalten kann.

Was sagen Wirtschaftsexperten? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat die Bundesregierung und die EU nach dem Gaslieferstopp für Polen und Bulgarien aufgefordert, den Forderungen Russlands nach einer Bezahlung der Gaslieferungen in Rubel weiterhin nicht nachzugeben. „Russland testet mit dem Lieferstopp wieder einmal den Zusammenhalt in der EU. Es ist klar: was immer wir tun, um die Zahlungen für Energielieferungen an Russland zu beschränken – wir müssen bereit sein, derartige Drohszenarien auszuhalten“, sagte Grimm unserer Redaktion. „Russland hatte ja schon vor einiger Zeit angekündigt, nur noch Zahlungen in Rubel zu akzeptieren. Dadurch könnte es für Russland etwa einfacher werden, einige der aktuellen Sanktionen zu unterlaufen. Die Mitgliedsstaaten der EU sind darauf zurecht nicht eingegangen“, sagte die Erlanger Ökonomin. „Jetzt stellt sich für Deutschland die Frage, ob man auf die Forderung, in Rubel zu zahlen eingeht oder die Bemühungen, von russischem Öl und Gas schnell unabhängig zu werden vorantreibt. Russland erhöht durch den Lieferstopp den Druck auf die deutsche Politik und die EU. Wichtig ist es nun, dass der Zusammenhalt nicht aufbricht und die EU zusammensteht“, sagte das Mitglied im Wirtschafts-Sachverständigenrat der Bundesregierung.

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