Siegesfeiern in Libyen Gaddafi betreibt Propaganda-Krieg

Tripolis (RPO). Freudenschüsse über Tripolis, im Fernsehen verkündet ein Laufband, welche Städte Libyens von der Armee des Machthabers Muammar el Gaddafi "befreit" worden seien. Dann werden Bilder von Demonstranten gezeigt, die Bilder Gaddafis in die Höhe halten. Die Propagandamaschine im Kampf gegen die Rebellen läuft auf Hochtouren.

Libyen versinkt im Bürgerkrieg
9 Bilder

Libyen versinkt im Bürgerkrieg

9 Bilder

Während die Aufständischen im Osten des Landes in den Städten Bengasi, Adschabija und Ras Lanuf erwachen, hallt die libysche Hauptstadt Tripolis am Sonntagmorgen von Schüssen aus Kalaschnikow-Gewehren und schweren Waffen wider. Eine knappe Stunde später verkündet der Fernsehsender El Libya, der dem Gaddafi-Sohn Seif el Islam nahesteht, eine ganze Serie von angeblichen militärischen Erfolgen: die Armee habe Marschbefehl in Richtung Bengasi, die Städte Tobruk, Misrata und Ras Lanuf seien aus den Händen der "terroristischen Banden" befreit worden, die Aufständischen hätten eine vernichtende Niederlage einstecken müssen.

Derweil versammeln sich tausende Menschen in Tripolis, die Schüsse verstärken sich. Männer, Frauen und Kinder kommen zum Grünen Platz im Zentrum der Hauptstadt, singen im Takt der Maschinengewehre von ihrer Liebe zum libyschen Führer. Bald flimmern die Kundgebungen über die Bildschirme des Staatsfernsehens. Auf dem Platz werden Schirmmützen mit dem Bild Gaddafis ausgeteilt, die Demonstranten erhalten auch grüne Fahnen und Kopfbänder - grün steht für den Islam, aber auch für die Führung Libyens. Angehörige von Polizei und Armee schließen sich der Menge an und feuern ebenfalls in den Himmel. Tausende hupende Autos bilden Freudenkorsos auf den Hauptstraßen.

Unser Vater, unser Führer

"Wir haben sie vertrieben, wir haben gewonnen", ruft Mohammed vom Steuer seines Wagens. Auf die Frage, wo die libyschen Streitkräfte gesiegt hätten, antwortet er nur: "Ich weiß nicht, wo wir gewonnen haben, aber wir haben gewonnen." Auf dem Grünen Platz versichern alle Befragten, sie seien spontan gekommen, um den "großen Tag" zu feiern. In Libyen besitze jedermann eine Kalaschnikow, "und wenn wir uns freuen, dann schießen wir", sagt Imed, bevor er lachend eine neue Salve abfeuert. "Wir stehen wie ein Mann hinter Gaddafi, ganz Libyen, der Norden, der Süden, der Westen und auch der Osten", behauptet Imed, der zu einer regierungstreuen Miliz gehört.

Der Beamte Mohammed, der mit seiner einjährigen Tochter gekommen ist, sagt: "Jetzt sieht die ganze Welt, dass das Volk 'Ja' zu Gaddafi sagt, unserem Vater, unserem Führer." Auch die Kinder werden für die Freudenfeiern in Szene gesetzt. Ein Kind in einer Ninja-Turtle-Uniform hält den Revolver seines Vaters, in der Nähe reicht ein Soldat seine AK-47 einer Gruppe von Schülern, die sich damit fotografieren. "Wir haben gewonnen, El Kaida ist für immer gegangen", ruft ein zwölfjähriger Junge und bekräftigt damit die offizielle Version, wonach das Terrornetzwerk die Revolte in Libyen ausgelöst habe.

Manche Meldungen sind absurd

El Libya zeigt auch Bilder von "Freudendemonstrationen" in Sirte, der Geburtsstadt Gaddafis, und in Sebha im Süden. Von beiden Städten hatte die Opposition nie behauptet, dass sie sie kontrolliere. Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichten aus Ras Lanuf, dass alles ruhig ist. Ähnliches sagen Zeugen in Tobruk. Von einem Sieg der Gaddafi-treuen Spuren könne nicht die Rede sein.

Den ganzen Sonntag über prägten widersprüchliche Meldungen beider Seiten das Bild der Lage in Libyen. Das Staatsfernsehen meldete am Sonntag die Rückeroberung der drei Städte Ras Lanuf, Tobruk und Misrata. Die Aufständischen dementierten umgehend. Die EU entsandte zur Einschätzung der notwendigen Hilfsmaßnahmen ein Expertenteam nach Libyen.

Zurückziehen mussten sich die Aufständischen aus Bin Dschawad, mehr als 300 Kilometer südwestlich von Bengasi und etwa hundert Kilometer östlich von Sirte. Nach Kämpfen mit Gaddafi-treuen Truppen erklärten sie am Sonntag, nun sei Ras Lanuf ihre "Verteidigungslinie". Ein Arzt berichtete von zwei Toten und etwa 30 Verletzten.

"Ein echtes Massaker"

In der etwa 60 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt Sawijah schlugen die Rebellen offenbar eine Offensive regierungstreuer Truppen zurück. "Das ist ein echtes Massaker", sagte ein Arzt AFP am Telefon. Gaddafis Truppen hätten viele Menschen getötet.

Der oppositionelle "Nationalrat" unter Vorsitz von Ex-Justizminister Mustafa Abdel Dschalil erklärte sich am Samstag auf seiner ersten Sitzung in Bengasi zum "einzigen Repräsentanten Libyens". Zum Außenbeauftragten wurde Ex-Außenminister Ali Abdelasis el Issawi erklärt. Er solle sich im Ausland um die internationale Anerkennung des Nationalrates bemühen.

Gaddafi droht mit Chaos

Gaddafi warnte in einem Interview mit der französischen Zeitung "Le Journal du Dimanche" den Westen vor Chaos, sollte er gestürzt werden. Wenn seine Macht weiter geschwächt werde, drohe Europa eine Einwanderungsflut aus Libyen, Piraten würden sich an der Küste festsetzen und das Terrornetzwerk El Kaida werde sich ausbreiten.

Gaddafi forderte zudem eine Untersuchung der Vorfälle in Libyen durch eine Kommission der UNO oder der Afrikanischen Union (AU). Diese werde ungehindert arbeiten können.

Papst Benedikt XVI. zeigte sich in seiner ersten direkten Stellungnahme zu Libyen sehr besorgt. "Ich bitte um Unterstützung und Hilfe für alle betroffenen Menschen", sagte das Oberhaupt der Katholischen Kirche.

Diplomatenteam wieder frei

Ein von Aufständischen in Libyen festgehaltenes Diplomatenteam aus Großbritannien ist laut einem Bericht der BBC wieder frei. Die Männer hätten die Stadt Bengasi am Sonntagmachmittag verlassen, berichtete die BBC. Demnach handelt es sich offenbar unter anderem um sechs Soldaten einer Spezialeinheit, die Diplomaten begleiteten. Nach Angaben von Verteidigungsminister Liam Fox sollte das Team im Osten Libyens Kontakt zu Regimegegnern aufnehmen.

(AFP/AP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort