Lockerbie-Opfer: "Wir wollen Antworten" Frust in Großbritannien über Gaddafis Tod

London (RP). Premierminister David Cameron freut sich über die "neue Chance für eine demokratische Zukunft" in Libyen. Und der neue Verteidigungsminister Philip Hammond begrüßt Gaddafis Tod als Höhepunkt einer "extrem erfolgreichen Nato-Mission" und einen willkommenen "Startschuss" für britische Unternehmen, die sich jetzt um lukrative Aufträge beim Wiederaufbau des Wüstenstaates bewerben können. Doch nicht überall im Vereinigten Königreich gab es gestern Freude und Erleichterung über die blutigen Leichenbilder aus Misrata, die es auf die Titelseiten aller Tageszeitungen geschafft haben.

2009: Gaddafi empfängt den Lockerbie-Attentäter
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2009: Gaddafi empfängt den Lockerbie-Attentäter

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Manche Briten bedauern zutiefst das gewaltsame Ende des Tyrannen — nicht etwa weil sie mit Gaddafi sympathisieren, sondern weil sie seine Verbrechen aufklären wollen. "Es ist das Schlimmste, was passieren konnte", sagt Jim Murphy. Der 56 Jahre alte Ex-Polizist hat geschworen, den oder die Schuldigen für den Tod seiner Kollegin Yvonne Fletcher zu finden, die im April 1984 durch mehrere Schüsse aus dem Fenster der libyschen Botschaft in London getötet wurde.

Murphy war damals zum Schutz der Diplomaten auf der Straße vor dem Botschaftsgebäude postiert, wo einige Hundert Gaddafi-Gegner demonstriert haben. "Keine Sorge, Yvonne, wir kriegen sie", hat der Polizist geflüstert, als er die sterbende 25-Jährige in den Armen hielt. Er ist heute ganz sicher, dass ein ehemaliger hochrangiger libyscher Regierungsbeamter namens Matouk Mohamed Matouk hinter dem Mord stand — ein Mann, dessen Auslieferung die britische Regierung jetzt erreichen will.

Murphy ist frustriert über die Aussicht, dass der tote Gaddafi die wichtigsten Informationen über das Verbrechen mit ins Grab genommen haben könnte. "So viele Fragen blieben unbeantwortet. Nein, ich werde seine Hinrichtung nicht feiern", bedauert der pensionierte Beamte.

"Keine Gerechtigkeit für Lockerbie"

So geht es auch vielen Hinterbliebenen der Opfer von terroristischen Anschlägen auf der Insel, dessen Drahtzier und Sponsoren in Libyen vermutet werden. Bei dem verheerendsten Attentat auf britischem Boden im Dezember 1988 starben 270 Menschen, als eine Boeing 747 der US-Fluggesellschaft Pan Am über dem schottischen Dorf Lockerbie explodiert war. All diese Jahre hat der englische Arzt Jim Swire davon geträumt, den libyschen Herrscher vor Gericht zu sehen. Den 75-jährigen Swire quält die Frage, ob Gaddafi persönlich den Anschlag angeordnet hat, bei dem seine Tochter Flora gestorben war. "Es wäre besser gewesen, wenn die Rebellen ihn am Leben gelassen hätten", sagte er der BBC.

"So gab es für uns keine Gerechtigkeit". Andere wie der 64-jährige Colin Parry haben die Hoffnung noch nicht aufgeben. Parrys Sohn Tim wurde 1993 im Alter von 13 Jahren bei einem IRA-Attentat getötet, dessen Organisatoren den libyschen Semtex-Sprengstoff benutzt haben sollen. "Wir haben der Übergangsregierung geholfen, Gaddafi loszuwerden", sagt der Vorsitzende einer Friedensstiftung im zentralenglischen Warrington. "Jetzt müssen die neuen Machthaber in Libyen auf die Stimmen der britischen Opferfamilien hören und die Terrorverbrechen aufklären".

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