Freiheitsbewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten Frühling für die Freiheit

Der Nahe Osten ist im Umbruch. In Algerien, in Libyen und im Sudan brodelt es. Der Ausgang der Proteste gegen die Machthaber ist ungewiss. Eine Analyse der aktuellen Lage.

 Ein Demonstrant in der sudanesischen Hauptstadt Khartum ruft Parolen während einer Protestkundgebung (Symbolbild).

Ein Demonstrant in der sudanesischen Hauptstadt Khartum ruft Parolen während einer Protestkundgebung (Symbolbild).

Foto: AFP/AHMED MUSTAFA

Im Auge des Taifuns lebt es sich bekanntlich unbeschwert. Aber so unbeschwert, wie es den Anschein hat, lebt Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi gar nicht. Zwei Kämpfe toben vor seiner Haustür – im Sudan und in Libyen. Beide mit unbestimmtem Ausgang, und in beide ist er involviert. Dann ist da noch ein Stück weiter Algerien, dessen Bevölkerung ebenso wie im Sudan gerade seinen ewigen Präsidenten los wurde. Bei der Entwicklung dort ist Sisi jedoch nur Zaungast und schaut zu. Allerdings muss auch er erkennen, dass der Wind der Veränderungen, der 2011 durch sein Land und das Nachbarland Tunesien fegte, nun wieder ganz in der Nähe angekommen ist.

Der Nahe Osten ist im Umbruch, und das wird so weitergehen. Mit gelegentlichen Rückschlägen, aber unaufhaltsam. Am überschaubar­sten scheint die Lage in Algerien, am schwierigsten in Libyen, und die Entwicklung im Sudan ist völlig ungewiss. Aber der Reihe nach.

Sieben Wochen lang gingen die Menschen in Algerien auf die Straßen, nicht so lange wie im Sudan. Dort demonstrieren die Massen schon seit Dezember. Grund der Proteste in Algier: Die Kandidatur von Abdelasis Bouteflika für eine fünfte Amtszeit sollte verhindert werden. Der 82-Jährige hatte das größte afrikanische Land 20 Jahre lang regiert. Er trat seit einem Schlaganfall nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Seine Landsleute hielten ihn nicht für regierungsfähig, sein Regime für abgewirtschaftet und korrupt. Auch hier griff das Militär ein, trat aber gleich in die zweite Reihe zurück, um dem Zivilprozess Raum zu geben.

Bouteflika zögerte zunächst, hatte aber gegen das Militär und die Straße keine Chance. Er ging von Bord. Jetzt sollen am 4. Juli Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bis dahin wird ein Übergangspräsident die Geschäfte führen. Abdelkader Bensalah war 16 Jahre lang Präsident der oberen Parlamentskammer in Algier. Im Gegensatz zum Sudan hat Algerien politische Parteien und halbwegs funktionierende politische Strukturen, eine Zivilgesellschaft, die zwar nicht den Namen verdient und doch existent ist. Die Algerier haben Erfahrung im Umgang mit Aufständen und Rebellionen, haben die Kolonialmacht Frankreich besiegt und in den 1990er Jahren einen Bürgerkrieg mit den Islamisten gekämpft, aus dem Bouteflika als Retter hervorging.

Man hört in Algier immer wieder das Wort „Destour“, Verfassung. Verfassungstreue wird allen Parteien attestiert, es wird im Namen der Verfassung gehandelt. Deshalb scheint das ölreiche Land auf einem positiven Weg der Veränderung angelangt zu sein. Und noch ein spezielles Merkmal hat der Mittelmeerstaat: Seit dem Ende des Kolonialkrieges mit Frankreich verfolgt Algerien eine vom Ausland weitgehend unabhängige Politik, hat also keinen nennenswerten Einflusss gewisser Regional- oder Weltmächte zu befürchten. Auch Ägypten hat keine speziellen Interessen in Algerien.

Ganz anders in Libyen und im Sudan. Hier geht es um den Erzfeind Sisis – die Muslimbrüder, die er gnadenlos verfolgt und als Terroristen bezeichnet. Was er jetzt im Sudan und Libyen macht, gilt für ihn als Terrorismusbekämpfung. Denn Omar al Bashir kam vor fast 30 Jahren mit Hilfe der Muslimbrüder in Khartum an die Macht und hielt seitdem autokratisch daran fest. Er bekämpfte jedwede Opposition. Nur eine, nämlich seine Partei war zugelassen. Wahlen waren eine Farce, Volksvertreter dienten nicht dem Volke, sondern dem Herrscher.

Bei der kürzlich stattgefundenen Sicherheitskonferenz in München sollen Sisi und ein israelischer Sicherheitsberater einen anwesenden hochrangigen sudanesischen Militär dazu ermutigt haben, Bashir zu stürzen. Der Diktator selbst konnte nicht nach München reisen, da er geradewegs verhaftet worden wäre. Gegen Bashir besteht seit Jahren ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Jetzt befände er sich im Präsidentenpalast unter schwerer Bewachung, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Er werde gemeinsam mit mehreren Anführern der Muslimbrüder gefangengehalten. Sisis Mission ist also erst einmal erfüllt. Wie es weitergeht im Sudan, ist indes völlig offen. Werden die weiter demonstrierenden Massen den Beteuerungen der Militärs glauben, nach einer Übergangsphase von zwei Jahren die Geschicke des Landes in zivile Hände zu legen?

Auch in Libyen gilt das Interesse Ägyptens den Muslimbrüdern. Selbst wenn die Regierung in Kairo sich offiziell von dem Vormarsch Khalifa Haftars auf Tripolis distanziert, unterstützt sie doch den General und seine Armee massiv. Haftar bekämpft unter anderem die Islamisten, zu denen auch die Muslimbrüder zählen. Kairo befürchtet, dass das Ende des Kalifats in Syrien und dem Irak die Dschihadisten ins unsichere Libyen spült, was wiederum Auswirkungen auf Ägypten haben könnte.

Haftar, der bislang den Osten des Landes bis hin zur ägyptischen Grenze kontrollierte, während im Westen die von der Uno und der westlichen Gemeinschaft unterstützte Regierung von Fayez al-Sarraj das Sagen hatte, bekommt jetzt auch Hilfe aus Russland. Die Islamisten wiederum werden aus der Türkei, Katar und den Emiraten unterstützt. Fehlt nur noch der Iran. Dann wäre das syrische Szenario auch in Libyen gegeben. Riesiger Unterschied allerdings zu allen anderen Ländern des arabischen Frühlings – ob jetzt oder vor acht Jahren: Langzeitmachthaber Muammar al Gaddafi wurde nicht vom eigenen Volk, sondern von der internationalen Gemeinschaft gestürzt. Was das letztlich bedeutet, sieht man am Beispiel Irak.

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