Portrait Frankreichs netter Rebell

Paris (RP). Der Studentenführer Bruno Julliard steckt hinter der Protestwelle in Frankreich. Der Jura-Student wirkt wie Schwiegermamas Liebling. Für die Regierung aber ist er ein Alptraum.

Schüler und Studenten demonstrieren in Frankreich
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Das soll ein Revoluzzer sein? Kurzes, stets akkurat gescheiteltes Haar, ein biederer Rollkragenpullover. Höfliches Auftreten, kein lautes Wort. Bruno Julliard ist Jurastudent, und genau so schaut er auch aus. Der 25-Jährige könnte der Traum jeder Schwiegermutter sein. Stattdessen ist er in den letzten Wochen zum Alptraum der französischen Regierung geworden.

Der so harmlos wirkende Vorsitzende von Frankreichs größtem Studentenverband Unef (29.000 Mitglieder) ist die treibende Kraft hinter dem Proteststurm gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes.

Es bimmelt und summt ohne Unterlass. Gleich mehrere Handys liegen vor Julliard auf dem Tisch im Pariser Unef-Büro. Per SMS trudeln Zahlen aus verschiedenen französischen Provinzstädten ein: Hier sind 20.000 Demonstranten gegen die Arbeitsmarktreform der Regierung auf die Straße gegangen, dort 40.000. "Es läuft", murmelt Julliard zufrieden. "Sehr gut sogar!" Am Nachmittag wird er selbst auch wieder demonstrieren, ganz vorne in der ersten Reihe, gleichberechtigt neben den Bossen der großen Gewerkschaften.

Denn Julliard, gestern noch ein Nobody, hat sich in der Krise um den Erstanstellungsvertrag CPE zum Star aufgeschwungen. Die Medien balgen sich um den redegewandten jungen Mann, und die Politiker haben ihn wohl oder übel zum Verhandlungspartner aufgewertet. Innenminister Nicolas Sarkozy hat Julliard schon mehrfach angerufen. Der Polit-Profi hat begriffen, dass der Unef-Chef die Schlüsselfigur in dem Konflikt ist.

Kühl und zielstrebig hat es Julliard fertig gebracht, den Anti-CPE-Protest am Kochen zu halten. Als die Gewerkschaften zwischenzeitlich zögerten, die Kraftprobe mit der Regierung auf die Spitze zu treiben, bewegte Julliard sie dazu, die Streikfront noch auszuweiten.

Begnadeter Agitator

Hinter dem braven Äußeren verbirgt sich ein begnadeter Agitator. Früh übt sich: Schon als Schüler habe Julliard, so erinnert sich ein Klassenkamerad, eine Protestkundgebung gegen das geplante Abholzen von Bäumen auf dem Sportplatz organisiert.

Schnell wurde das Engagement politisch. Dafür sorgte schon das Elternhaus. Die Mutter, die als sozialistische Bürgermeisterin das Kleinstädtchen Puy-en-Velay verwaltet, und der Stiefvater, Sohn eines 1943 füsilierten kommunistischen Widerstandskämpfers. Schon als Oberschüler engagierte sich Julliard bei den "Jungen Sozialisten" und übernahm später den Vorsitz der Jusos seinem Heimat-Departement. Kaum an der Universität Lyon eingeschrieben, engagierte er sich schon in der Unef.

Der Studentenverband steht dem linken, globalisierungskritischen Flügel der französischen Sozialisten nahe. Aber Julliard tut hartnäckig so, als spiele das keine Rolle. Als er im vergangenen Juli zum Unef-Vorsitzenden gewählt wurde, gab er das sozialistische Parteibuch ab, um seine Unabhängigkeit zu demonstrieren. "Ich versuche, das darzustellen, was meine Generation denkt", sagt er.

Julliard verlangt "ein Recht auf Unbeschwertheit", wie es frühere Generationen selbstverständlich beanspruchen konnten. "Wir lehnen uns dagegen auf, dass jeder Berufsanfänger noch das schlechteste Jobangebot als Chance empfinden muss, statt sich frei nach seinen Neigungen orientieren zu können".

Wenn es nach Julliard geht, soll es der Staat richten. Der Unef-Vorsitzende fordert eine monatliche "Autonomie-Zahlung" für alle jungen Franzosen. Statt Ersteinstellungsverträgen ("eine Beleidigung für die Jugendlichen") spricht er sich dafür aus, die "Orientierungshilfen" auszubauen, die mit Steuergeldern finanziert werden sollen. Den Einwand, dass die Kassen leer sind, fegt er nonchalant beiseite. "Alles eine Frage des politischen Willens!"

Eine Sorglosigkeit, die sich vielleicht auch aus Julliards persönlichen Lebensumständen erklärt. Geld hat er bisher in seinem Leben noch nie selbst verdient. Das Studium finanzieren ihm seine Eltern. Das dürfte wegen des Kampfes gegen den CPE nun ein oder zwei Semester länger ausfallen, "aber das ist es wert". Zumal Julliard nach seinem überzeugenden Auftritt als Anführer eine brillante Karriere sicher scheint. "Am liebsten im Staatsdienst." Unkündbar.

(Rheinische Post)
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