PID in der Kritik Frankreich streitet über "Designer-Baby"

(RP). In einer Pariser Klinik ist ein kleiner Junge geboren worden, der als Zellspender seine unheilbar erkrankte ältere Schwester heilen soll. Es ist das erste Mal, dass durch Selektion von Embryonen in Frankreich ein Kind mit dem "passenden" Gen-Material gezeugt wurde. Der Tabubruch des Mediziners René Frydman hat eine heftige Bioethik-Debatte ausgelöst.

 Prof. René Frydman ist Frankreichs derzeit wohl umstrittenster Gynäkologe.

Prof. René Frydman ist Frankreichs derzeit wohl umstrittenster Gynäkologe.

Foto: AFP, AFP

"Unsere Hoffnung" wiegt 3,6 Kilogramm und wurde der verblüfften Öffentlichkeit in Frankreich im braun-weißen Mützchen und Strampelanzug präsentiert. "Unsere Hoffnung" ist die deutsche Übersetzung von Umut-Talha — der türkische Vorname des ersten "Designer-Babys" in Frankreich. Der Säugling, ein kleiner Junge, war mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) konzipiert worden und kam am 26. Januar in einem Pariser Vorort zur Welt. Sein Name steht für das, was Umut-Talha für seine Familie bedeutet: Er ist gleichsam die letzte Hoffnung, seine drei Jahre alte Schwester Asya zu retten.

Zu Hause, in Südfrankreich, hält die kleine Asya ihr neues Brüderchen so vorsichtig im Arm, als wisse sie, was es für sie bedeutet. Asya leidet wie auch ihr älterer Bruder Mehmet, 5 Jahre, an Beta-Thalassämie, einer genetisch bedingten, normalerweise tödlichen Blutererkrankung. Ihre einzige Heilungschance ist das frische Blut aus der Nabelschnur des Neugeborenen. Dieses soll einer Stammzellentherapie dienen und das Schwesterchen wieder gesund machen. "Umut-Talha bedeutet alles für uns", sagt die junge Mutter Leyla unter Tränen, "er ist unser Retter."

Die Geschichte von Umut-Talha beginnt im Krankenhaus Antoine-Béclère — einem modernen Betonkasten im Pariser Vorort Clamart. Professor René Frydman ist dort tätig, der umstrittene Star-Gynäkologe. 1982 setzte er das erste französische Retortenbaby in die Welt und vier Jahre später zeugte er Babys mit eingefrorenen Stammzellen, was in Frankreich eigentlich verboten ist, wie die Embryonenforschung auch. In einem Spezial-Labor im Antoine-Béclère wurden also die von Mutter Leyla gewonnenen Eizellen mit den Spermien des Vaters in einem Reagenzglas befruchtet. Ein paar Tage später lagen 27 Embryonen vor. Genetiker vom Pariser Krankenhaus Necker, unter Leitung von Professor Arnold Munnich, wählten daraufhin die Embryonen aus, bei denen keine Gefahr der Erbkrankheit Beta-Thalassämie bestand. Nur ein einziger Embryo, der später als Blutspender für die Schwester fungieren soll, erweist sich jedoch als mit der kranken Asya "kompatibel".

Um auf Nummer sicher zu gehen und die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft und Geburt zu erhöhen, pflanzt Professor Frydman allerdings zwei Embryonen in Leylas Gebärmutter ein. Die Eltern haben Glück: Der "Kompatible" entwickelte sich bis zum Schluss: Neun Monate später kam Umut-Thala gesund zur Welt. Umgehend wurde die an Stammzellen reiche Nabelschnur abgeschnitten und konserviert. In einigen Monaten wird die von Asya lang ersehnte Stammzellen-Transplantation stattfinden können. "Mit unserer Methode sind wir letzten Endes doch ziemlich nah an der Natur dran. Wir haben lediglich nachgeholfen und verhindert, dass das Schicksal zuschlägt", sagte Frydman nach der geglückten Geburt.

Heftige Diskussion um Bio-Ethik

Frankreichs Forschungsministerin Valérie Pécresse feierte das Ereignis sogleich als "medizinische Leistung". Eine Ansicht, die allerdings nicht alle in Frankreich teilen — im Gegenteil. So hat die Nachricht des Babys mit den heilenden Stammzellen vielmehr eine heftige Diskussion um die Bioethik angefacht, und zwar quer durch alle Fraktionen. Und dies just in dem Moment, da das französische Parlament über eine Reform der geltenden Gesetzgebung debattiert.

Ist das Vorgehen Frydmans also ein medizinisches Wunder oder öffnet es die sprichwörtliche Büchse der Pandora? Letzteres befürchtet vor allem die katholische Kirche in Frankreich. Sie kritisierte Frydman scharf und warf ihm vor, die französischen Bioethik-Gesetze bis zur äußersten Grenze auszureizen. In dem Vorgehen sieht sie eine "Instrumentalisierung" des menschlichen Lebens. Kardinal André Vingt-Trois, Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz, prangerte an, "dass ein menschliches Leben exklusiv in den Dienst eines anderen gestellt wird" und dass dieses Kind "lediglich ein Mittel ist, um ein anderes Kind zu heilen".

Auch für die konservative Abgeordnete Christine Boutin wirft die Methode schwerwiegende ethische Probleme auf. "Wie wird das Kind später sicher sein können, dass es auch für sich selbst existiert?", fragte sie und benützte daher auch den in den Medien verbreiteten Begriff "Medikamenten-Baby", wenn sie vom Fall Umut-Talha spricht. Für den angesehenen Arzt und Genetiker Axel Kahn ist der Ausdruck allerdings unglücklich gewählt. Kahn bemühte sich, die Debatte zu versachlichen: "Ein Kind dient doch immer einem Wunsch — ob das nun der Wunsch ist, der erstgeborenen Tochter ein Brüderchen zur Seite zu stellen oder der Wunsch mancher Paare, mit einem Kind neuen Schwung in die Ehe zu bringen." Dass Eltern von kranken oder behinderten Kindern ein weiteres Kind zeugten, in der Hoffnung, dass das nächste gesund sei, habe es zudem auch schon immer gegeben. Wenn dieses nächste Kind darüber hinaus auch das Geschwisterchen heilen könne, sei dies doch wunderbar. Kahn spricht daher auch lieber vom "Baby der doppelten Hoffnung".

"Wir tun nichts Dämonisches"

Auch Frydman selbst zieht diesen Begriff vor und vermeidet das Wort vom "Medikamenten-Baby". Vor dem Eingriff, so betonte er, sei sichergestellt worden, dass das Paar in jedem Fall ein weiteres Kind wollte, ob "verträglich" mit Asya oder nicht. Daher habe er auch zwei Embryonen eingepflanzt. Dass den Eltern nun der Zufall zu Hilfe kam und sich in der Gebärmutter der "richtige" Embryo durchgesetzt hat, gebe obendrein dem kranken Geschwisterkind Hoffnung. "Wir sind keine Hexenmeister, was wir tun hat nichts Dämonisches!", sagte Frydman. Er verwies darauf, dass sein Vorgehen gesetzlich zulässig ist und dass er als Arzt auf diesem Gebiet einer strengen Kontrolle unterliegt. In der Forschung liege Frankreich im internationalen Vergleich zudem stark zurück.

Was in den USA, Großbritannien, Spanien und Belgien schon längst Praxis ist, ist in Frankreich tatsächlich erst seit 2006 möglich. Zudem hat der Gesetzgeber in unserem Nachbarland der PID enge Schranken gesetzt. So ist diese etwa nur im Fall seltener und schwerwiegender genetischer Erkrankungen der Familie zulässig, um das Kind zu schützen. Außerdem darf die PID nur in speziellen Zentren durchgeführt werden und dies erst nach umfassender Beratung und Einwilligung der französischen Biomedizin-Agentur. 20 Anträge sind bisher bei der Kommission eingegangen, 17 davon hat sie autorisiert.

Die Eltern des berühmt gewordenen Babys haben übrigens bereits weitere Pläne: Sobald die Stammzellentransplantation bei Asya geklappt hat, wollen sie Frydman erneut aufsuchen. Dann soll das gleiche Experiment für den fünfjährigen Bruder Mehmet wiederholt werden. Ein weiteres, mit Hilfe der PID gezeugtes Brüderchen oder Schwesterchen, so hoffen sie, wird auch ihn gesund machen.

(RP)
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