Ausnahmezustand auf Insel Lesbos Was bisher über den Großbrand im Flüchtlingslager Moria bekannt ist

Athen · Nach dem Großbrand in dem überfüllten Flüchtlingslager Moria geht die Suche nach der Ursache weiter. Das Camp wurde durch das Feuer fast vollständig zerstört. Wie geht es jetzt für die Bewohner weiter? Ein Überblick der Lage.

Bilderstrecke: Flüchtlingslager Moria brennt - Tausende fliehen
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Flüchtlingscamp Moria brennt - Lager evakuiert

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Foto: dpa/Panagiotis Balaskas

Was ist passiert?

Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos stand nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch fast vollständig in Flammen, angefacht von Winden mit bis zu 70 Stundenkilometern. Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen hatten. Nach Regierungsangaben ist das Feuer am frühen Mittwochmorgen weitgehend unter Kontrolle. Der Regierungssprecher Stelios Petsas bestätigte, dass Migranten versucht hätten, die Feuerwehr an den Löscharbeiten zu hindern.

Das Flüchtlingscamp ist bei dem Großbrand fast vollständig zerstört worden. Das sagten zwei Offiziere der Feuerwehr am Mittwoch im staatlichen Fernsehen (ERT). Das Staatsfernsehen, das mit einer Sondererlaubnis aus dem Lager berichten durfte, zeigte Bilder von verkohlten Containerwohnungen und verbrannten Zelten rund um das Camp. Der griechische Innenminister sowie die Verantwortlichen des Corona-Krisenstabes wollten sich ein Bild von der Lage vor Ort machen und am Abend bekanntgeben, wie es weitergehen solle, teilte Regierungssprecher Stelios Petsas mit.

Gibt es Verletzte?

Verletzte oder gar Tote gab es Stand Mittwochmorgen nicht, wie griechische Medien übereinstimmend berichteten.

Wie viele Menschen sind von dem Feuer im Lagen betroffen?

Moria ist das größte Flüchtlingslager Griechenlands und Europas. Es ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt leben dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten, darunter rund 400 unbegleitete Minderjährige - bei einer Kapazität von gerade mal 2800 Plätzen. Mehr als 12.000 Bewohner waren also am Mittwoch auf Notunterkünfte angewiesen.

Was passiert jetzt mit den Betroffenen?

Das Lager in Moria müsste komplett neu aufgebaut werden. Angesichts der aktuellen Lage ist daran momentan aber kein Denken. Viele der mehr als 12.000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben. Auch Augenzeugen berichten davon, dass Einwohner flüchtende Asylbewerber daran gehindert hätten, ein nahegelegenes Dorf zu betreten.

Im Namen der Europäischen Union versprach Innenkommissarin Ylva Johansson schnelle Hilfe. Sie sei in Kontakt mit den lokalen Behörden, schrieb die schwedische Politikerin auf Twitter. Dabei habe sie zugestimmt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufs Festland zu finanzieren. „Die Sicherheit und der Schutz aller Menschen in Moria hat Priorität.“

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnt vor Konflikten zwischen Flüchtlingen und Bewohnern der griechischen Insel Lesbos. Eine vorübergehende Lösung zur Unterbringung der Menschen sei in Arbeit, teilte die UN-Organisation am Mittwoch in Genf mit. Die ehemaligen Bewohner von Moria seien daher gebeten, in der Nähe zu bleiben. Man rufe alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf, nachdem es Berichte über Spannungen zwischen Einwohnern umliegender Dörfer und Migranten auf dem Weg in die Inselhauptstadt Mytilini gegeben habe.

Das UNHCR bot den griechischen Behörden Hilfe an und aktivierte seine Mitarbeiter vor Ort, wie es mitteilte.

Die Bundesregierung hat Griechenland Hilfe angeboten. Wie diese Hilfe konkret aussehen wird, soll die griechische Regierung entscheiden. „Unsere Priorität ist jetzt die, dass wir vor Ort Hilfe leisten, im Rahmen dessen, was Griechenland braucht“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, am Mittwoch in Berlin. Zunächst müsse dafür gesorgt werden, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf hätten. Mehrere Bundesländer kündigten am Mittwoch an, Betroffene aus dem Lager zu sich holen zu wollen - obwohl Seehofer das in der Vergangenheit abgelehnt hatte. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will in Nordrhein-Westfalen bis zu 1000 Flüchtlinge aus dem fast vollständig abgebrannten griechischen Flüchtlingscamp Moria aufnehmen. Das kündigte der CDU-Politiker am Mittwoch in Düsseldorf an.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, es könne angesichts der Bilder aus Moria nicht weggeschaut werden. Alle Länder und auch Deutschland seien gefordert, „einen Beitrag zu leisten“, sagte Scholz im Bundestag. Es müsse jetzt konkrete Entscheidungen geben.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz, erklärte, im Kabinett sei man sich einig, dass die Unterstützung von den europäischen Staaten gemeinsam geleistet werden solle.

Wie ist es zu dem Brand gekommen?

Die Brandursache und das volle Ausmaß der Schäden seien noch unklar. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat für den Vormittag ein Krisentreffen in Athen einberufen, sagte Regierungssprecher Stelios Petsas dem staatlichen Fernsehsender ERT. Neben dem Migrations- und dem Bürgerschutzminister sollen daran auch der Chef des griechischen Nachrichtendienstes (EYP) und der Generalstabschef teilnehmen. Man vermute organisierte Brandstiftung, so Petsas.

Medien vor Ort berichteten, die Feuer in Moria seien aus Protest gegen einen über das Camp verhängten Corona-Lockdown gelegt worden. Dies wollten die Behörden nicht bestätigen, erklärten aber, dass Feuerwehrleute auf „Widerstand“ einiger Lagerbewohner gestoßen seien.

Warum gab es zuvor Unruhen im Lager Moria?

Dem Brand vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.

Warum leben überhaupt so viele Flüchtlinge auf den griechischen Inseln?

Das hängt mit dem EU-Türkei-Abkommen aus dem Jahr 2016 zusammen. Damals wurde die Idee der sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln entwickelt. Dort sollten Asylanträge zügig bearbeitet und abgelehnte Asylbewerber zurück in die Türkei gebracht werden. Die EU wollte im Gegenzug syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen. In der Realität funktioniert das Abkommen allerdings nicht. Die griechischen Behörden schaffen es nicht, Asylanträge zeitnah zu prüfen. Gleichzeitig kommen immer mehr Migranten und Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an.

Diese Menschen können jedoch auch nicht einfach in einen anderen EU-Mitgliedstaat geschickt werden, da die sogenannten Dublin-Regeln besagen, dass Schutzsuchende in dem Staat Asyl beantragen müssen, den sie zuerst betreten. Das sind zumeist die Länder an der südlichen Außengrenze der EU.

Um diesen "Stau" der Asylanträge in den EU-Außenstaaten zu beheben, sollen die Asylregeln in der EU reformiert werden. Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für den Herbst angekündigt. Bereits 2016 hatte die EU-Kommission ein Konzept vorgelegt, das war an den EU-Mitgliedstaaten gescheitert - nicht am Europaparlament.

 Nach Angaben der Feuerwehr wurde das große Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos trotz einer COVID-19-Sperre teilweise evakuiert, nachdem am frühen Mittwoch an mehreren Stellen des Geländes Brände ausgebrochen waren.

Nach Angaben der Feuerwehr wurde das große Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos trotz einer COVID-19-Sperre teilweise evakuiert, nachdem am frühen Mittwoch an mehreren Stellen des Geländes Brände ausgebrochen waren.

Foto: dpa/Panagiotis Balaskas

Zugleich fehlt es an einem Mechanismus, die Ankömmlinge auf die anderen EU-Mitgliedstaaten zu verteilen. De facto hat das zu einem Patt geführt. Kein Land will bei der Aufnahme von Flüchtlingen Vorreiter sein. Die verantwortlichen Politiker verweisen dann gern auf die EU-Kommission in Brüssel. Die wiederum kann nicht selbst tätig werden, sondern ist auf die Initiative der nationalen Regierungen angewiesen.

(ahar/lha/dpa/afp)
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