Bei Scheitern neuer Rückenwind für Euroskeptiker EU-Verfassung: Gipfel steht unter Einigungsdruck

Brüssel (rpo). Nach den Ergebnissen der Europawahl stehen die EU-Staats- und Regierungschefs unter massiven Druck. Am Donnerstag und Freitag sollen sie sich auf die geplante Verfassung einigen.

"Wir müssen zeigen, dass Europa funktioniert", forderte der irische Außenminister Brian Cowen, dessen Land noch bis Monatsende die EU-Ratspräsidentschaft inne hat. Ein neuerliches Scheitern würde den bei der Wahl ohnehin gestärkten Euroskeptikern weiteren Rückwind bescheren.

Denn mit der Verfassung soll die Europäische Union vor allem transparenter, demokratischer und handlungsfähiger werden. Genau daran mangelt es nach Ansicht vieler Skeptiker den europäischen Institutionen. Für den deutschen Außenminister Joschka Fischer gibt es auch angesichts der globalen Lage keine Alternative zur Verfassung. "Es geht nicht mehr ohne ein starkes Europa", ist sich der Grünen-Politiker sicher. Garantieren könne dies nur die Verfassung.

Vorgesehen ist in dem neuen EU-Vertrag etwa das Amt eines europäischen Außenministers, der die Außenpolitik unter den Institutionen koordinieren und Europa in der Welt ein Gesicht verleihen soll. Zudem soll die Rolle des Parlaments als einzig demokratisch gewählte EU-Institution gestärkt werden. Schließlich sollen die Entscheidungen der Mitgliedstaaten im Ministerrat transparenter getroffen werden.

Letzteres war bislang der Knackpunkt. Dass anstelle des komplizierten Abstimmungsmodus im Vertrag von Nizza eine doppelte Mehrheit eingeführt werden soll, ist nicht mehr umstritten. Danach ist eine Entscheidung getroffen, wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmt, die zugleich eine Mehrheit der Gesamtbevölkerung vertreten. Offen ist aber, wo die Schwellen beider Mehrheiten liegen sollen.

Der EU-Konvent hat 50 Prozent für die Mitgliedstaaten und 60 Prozent für die Bevölkerung vorgeschlagen. Besonders Spanien und Polen, die einen Durchbruch auf dem Gipfel im Dezember verhindert hatten, bestehen darauf, dass die Schwelle für die Bevölkerung erhöht wird, damit eine Sperrminorität leichter zu erreichen ist. Deutschland dagegen will die Schwelle möglichst niedrig halten, um eine Blockade zu erschweren. Erst kurz vor dem Gipfel wollen die ihren dazu eine Kompromissformel vorlegen.

Letztlich aber wird die Verfassung im Gesamtpaket mit einem "Geben und Nehmen" verabschiedet werden, wie Fischer unterstreicht. Er sei sich deshalb sicher, "dass wir dann doch zu einem Kompromiss finden werden". Auf dem Spiel stehe "ein Erfolg, den wir brauchen für Europa", betont Fischer. "Wir wissen alle, worum es geht."

Gelöst scheint mittlerweile die künftige Größe der EU-Kommission. Bis voraussichtlich 2014 wird an dem Prinzip "ein Kommissar pro Land" festgehalten. Danach könnte die Brüsseler Behörde auf etwa 18 Mitglieder reduziert werden. Offen indes ist die Frage, in welchen Politikfeldern nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird.

Gottesbezug könnte Knackpunkt werden

Strittig ist vor allem die Außenpolitik, bei der bislang besonders Großbritannien an der Einstimmigkeit festhalten will. Deutschland und Frankreich dringen auch nach den Erfahrungen des Irak-Kriegs auf Mehrheitsentscheidungen. Die Iren haben den Vorschlag des Konvents aufgegriffen, nach dem mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden soll, wenn der neue EU-Außenminister einen Vorschlag in Abstimmung mit den Staats- und Regierungschefs vorlegt.

Ein weiteres Problem ist der umstrittene Bezug zur Religion in der Präambel der Verfassung. Auch hier haben die Iren die Formulierung des Konvents übernommen. Danach gibt es lediglich einen Verweis auf das "kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas". Vor allem Italien, Spanien, Portugal und Polen sowie die deutschen Konservativen fordern dagegen einen direkten Bezug auf Gott und das Christentum. Frankreich widerum lehnt dies mit Hinweis auf die strikte Trennung von Staat und Kirche kategorisch ab.

So wird es am Brüsseler Gipfeltisch erneut zum EU-üblichen Handel kommen. Diesmal müssen die Chefs aber besonders aufpassen, dass die Sache am Ende nicht zu undurchsichtig wird. Denn dann wäre das Ziel "mehr Demokratie und Transparenz" verfehlt. Ein zweites Scheitern kann sich die EU nicht leisten. Wann der Gipfel zu Ende geht, ist deshalb völlig offen.

Auf die Frage, wieviele Hemden er denn mit nach Brüssel nehme, antwortete Fischer verschmitzt. Nach den Erfahrungen mit dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000, bei dem die Staats- und Regierungschefs fünf lange Tage und Nächte über einen neuen Vertrag feilschten, werde er nur eines einpacken, sagte der deutsche Außenminister spontan und fügte hinzu: "Am Ende muss man streng riechen, wenn's nicht vorangeht."

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