EU-Gipfel in Salzburg Kurz will Migrationskurs verschärfen

Wien · Beim EU-Gipfel in Salzburg wird sich Österreichs Jungkanzler Sebastian Kurz als Europapolitiker profilieren. Doch der derzeitige EU-Ratsvorsitzende ist in der Migrationspolitik mit seinem rechten Koalitionspartner FPÖ auf gleicher Linie.

 Österreichs Kanzler Sebastian Kurz

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz

Foto: AP/Ettore Ferrari

Seine stürmische Kanzlerkarriere stützt sich auf ein einziges Thema: Migration. Obwohl der Höhepunkt der Flüchtlingskrise längst überschritten ist – es bringt Stimmen und es lässt sich damit Stimmung machen. Die Europawahl 2019 naht. Und die Gastgeberrolle auf dem Salzburger EU-Gipfel am 19. und 20. September soll gleichsam die Reifeprüfung als Europapolitiker sein.

So hat Kurz auch den EU-Ratsvorsitz seinem Machtinstinkt unterworfen: „Ein Europa, das schützt“, lautet das Motto. Doch vor wem oder was Europa beschützt werden müsse, spricht Kurz nicht klar aus – weil er Flüchtlinge und Migranten meint, aber vermeiden will, mit Ausländerhassern in einem Atemzug genannt zu werden.

Nach der Schließung der „Balkanroute“ - was ohne den Deal der EU mit der Türkei nicht möglich gewesen wäre – machte sich Kurz umgehend an die „Schließung der Mittelmeerroute“. Wie das funktionieren soll, darüber tobt seit Monaten ein Streit innerhalb der EU, zu dem Kurz wenig mehr beiträgt als Überschriften: nationale Grenzkontrollen, Abriegelung der EU-Außengrenze „mit einem robusten Mandat für die Grenzschutzagentur Frontex“, Aufnahmelager in Nordafrika, massive Einschränkung des Asylrechts und dergleichen mehr. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) kritisierte laut „Spiegel“ ein Kurz-Papier zum Salzburg-Gipfel als „tendenziös“, Berlin habe verlangt, „verbale Spitzen und Entgleisungen“ herauszunehmen.

Das konnte nur passieren, weil Kurz in der Migrationspolitik mit seinem rechten Koalitionspartner FPÖ auf gleicher Linie ist, nur verdeckt er die brutalen Konsequenzen der Abschottungspolitik mit höflichen Floskeln und jugendlichem Charme. Laut Ärzte ohne Grenzen ertranken in diesem Jahr bereits 1500 Menschen  im Mittelmeer, 13.000 wurden nach Libyen zurückgeschickt, rund 8000 sind dort in Lagern unmenschlichen Bedingungen und der Willkür von Aufsehern ausgesetzt.

Derlei Fakten spricht Kurz in seinen oft weitschweifigen, altklugen Erklärungen kaum an, er lenkt den Fokus sofort auf Abwehrmaßnahmen und Sicherheitsfragen wie: „Wir müssen den Schleppern das Handwerk legen“, oder: „Wir müssen verhindern, dass Schiffe mit Migranten überhaupt in Nordafrika ablegen.“

Sein Law-and-Order-Kurs stößt selbst in seiner eigenen Partei, der konservativen ÖVP,  und in der ihr nahestehenden katholischen Kirche bereits auf besorgte Kritik. Christian Konrad, Ex-Raiffeisenboss und bis vor Kurzem Flüchtlingsbeauftragter der Regierung, fragt sich, „ob die ÖVP noch eine christliche Partei“ sei. Für den liberalen Ex-Parteichef Erhard Busek ist bereits „die christlich-soziale Grundhaltung der ÖVP entschwunden“.

Kurz ist pro-europäischer Politiker, aber seine Überzeugung ist verhandelbar. Wie glaubwürdig ist der erst 32-jährige Kanzler als Europapolitiker, wenn er mit einer Partei koaliert, die mit der rechtsradikalen Fraktion im Europaparlament gemeinsame Sache macht, deren Ziel es ist, die EU von Innen her zu schwächen, wenn nicht gar zu zerstören?

Immer öfter verteidigt sich Kurz mit der trotzigen Aussage: „Ich lasse mich nicht in die rechte Ecke drängen.“ Aber er hat kein Problem, sich mit Rechten gemein zu machen. Bei Regierungsantritt vor neun Monaten hatte er FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache extra ein schriftliches Bekenntnis zu Europa abverlangt, das dieser ohne Umschweife ablegte. Denn Strache kann getrost weitermachen wie bisher, solange Kurz Kanzler von seinen Gnaden ist. 

Auch die Russland-freundliche Politik zwingt Strache dem Jungkanzler auf, der sichtlich Mühe hat, die EU-Sanktionen zu verteidigen. Zuweilen leistet sich die FPÖ unglaublich dummdreiste Fehltritte: Über den Kniefall der Außenministerin Karin Kneissl vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, den sie kürzlich zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte, ist von Kurz bis heute kein kritisches Wort zu hören. Eine Ministerin, die Österreich international lächerlich und in seiner Vermittlerrolle als EU-Vorsitzland  unglaubwürdig macht, wäre in einem anderen Land rücktrittsreif. Aber Kurz denkt in solchen Fällen nicht an Österreich und Europa, sondern nur an seinen Kanzlerposten.

Auch mit dem Ungarn-Premier Viktor Orbán, einem engen Verbündeten der FPÖ, zeigte sich Kurz lange Zeit solidarisch. Zum Abbau des demokratischen Rechtsstaats mit all seinen negativen Begleiterscheinungen in Ungarn schwieg der Europapolitiker Kurz so beredt wie seine christdemokratische Parteifamilie EVP. Auf Distanz zu Orbán ging Kurz erst, nachdem der EVP-Fraktionschef im Europaparlament, Manfred Weber, angekündigt hatte, auch die deutschen Abgeordneten würden für ein EU-Strafverfahren gegen Ungarns autokratische Regierung stimmen.

Kurz verwendete fast wortgleich Webers Begründung, wonach europäische Werte wie Demokratie und Rechtsstaat „nicht verhandelbar“ seien. Nun, nachdem in Straßburg auch die ÖVP-Mandatare gegen Orbáns Autokratenstaat votierten, schimpft die ungarische Regierungspropaganda den Wiener Kanzler einen „Soros-Söldner“. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der derzeitige EU-Ratsvorsitzende das als Kompliment auffaßt.

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