Über die Bedeutung von Rücksichtnahme und Wertschätzung Respekt auf dem Rückzug

Düsseldorf · Eine Gesellschaft lebt von gegenseitiger Rücksichtnahme und Wertschätzung. Wie wichtig die vorbehaltlose Begegnung auf Augenhöhe ist, merkt man erst, wenn sie weniger wird. Wie gerade jetzt.

Es passierte bei einer Feier nahe Paris zur Erinnerung an Charles de Gaulles Aufruf zum Widerstand gegen die Nazis vom 18. Juni 1940. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wird von einem Teenager angequatscht: „Alles klar, Manu?“ Der Junge benutzt die Kurzform von Macrons Vornamen. Der Staatschef reagiert harsch: „Du nennst mich ,Herr Präsident der Republik’ oder ,Monsieur’. “

Auf dem Video, das Macron selbst auf Twitter teilte, ist auch der Rest der Zurechtweisung zu sehen: „Bevor du eine Revolution beginnst, musst du dein Diplom machen und lernen, dich selbst zu ernähren. Erst dann wirst du anderen Lektionen geben“, fährt der smarte 40-Jährige fort, der im französischen Wahlkampf 2017 ein Buch mit dem Titel „Revolution“ veröffentlichte, in dem er sein pro-europäisches Programm erläuterte. „Oui, Monsieur“, lautet die kleinlaute Reaktion.

Wahrscheinlich wollte der Jugendliche nur cool wirken. Er war kein Pöbler, kein Randalierer, sondern jemand, der sich „nur“ im Ton vergriff. Dennoch: Er ließ es am gebotenen Respekt vermissen, und er traf auf einen, der ihm das nicht durchgehen ließ. Null Toleranz für Respektlosigkeit – das war die Botschaft des Präsidenten. Sie macht die kurze Szene so bemerkenswert, zumal in diesen Zeiten. Denn der Respekt befindet sich auf dem Rückzug. Das ist nicht akzeptabel.

Nun ist die Klage der Älteren über Flegeleien Heranwachsender etwa so alt wie die Menschheit selbst. Doch handelt es sich zunehmend um erwachsene Zeitgenossen, deren Respektlosigkeit die Nachrichten der Gegenwart bestimmt: Leute, die Selfies neben blutüberströmten Opfern von Tragödien schießen, Menschen, die Polizisten verhöhnen, Rettungskräfte beschimpfen und nicht selten körperlich angreifen.

Dieses Verhalten zieht sich durch alle Schichten. Nicht nur, dass sich in der Anonymität des Internets ein riesiger Sumpf der Verachtung auftut – offene Geringschätzung, Ausgrenzung, Diskriminierung sind zum Mittel der Politik in einem Maße geworden, wie sich das viele nicht vorstellen konnten. US-Präsident Donald Trump ist dafür ein herausragendes Beispiel, aber bei Weitem nicht das einzige. So was geht sogar einem Joschka Fischer zu weit, der als Grünen-Revoluzzer die Respektlosigkeit einst zum politischen Programm erhob und 1984 Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen zurief: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“

Dabei ist Respekt gewissermaßen das Schmiermittel für den Umgang unter den einzelnen Mitgliedern in allen Bereichen einer Gesellschaft – eine Grundeinstellung, wie sich Menschen gegenübertreten sollten. Dieser Respekt meint nicht etwa die Bewunderung, die wir anderen für deren außergewöhnliche Leistungen zollen. Es geht auch nicht um Obrigkeitshörigkeit und Kadavergehorsam, die nicht hinterfragte Autorität, die prägend war in der wilhelminischen Zeit. Die wichtigste Form des Respekts und die zugleich ambitionierteste kommt vielmehr in der vorbehaltlosen Begegnung auf Augenhöhe zum Ausdruck.

Was passieren kann, wenn einem Gemeinwesen der Respekt auf breiter Front abhandenkommt und Überheblichkeit oder gar Skrupellosigkeit an seine Stelle tritt, haben in Deutschland noch einige allzu gut in böser Erinnerung. Weil sie persönlich erlebt haben, wie das Klima in Misstrauen, Angst und Hass umschlug. Doch es werden weniger, die anschaulich berichten können, wie lebensgefährlich wurde, was einmal lebenswert war.

Davon sind wir heute weit entfernt. Allerdings: Es ist anstrengender als noch vor wenigen Jahren, Respekt zu verteidigen oder ihn einzufordern. Wer es dennoch tut, sieht sich oft unverhofft als „Gutmensch“ angegriffen, als „Teil des Systems“ tituliert oder als Angehöriger einer ebenso diffusen wie verhassten „Elite“ definiert.

Gemeinschaft lebt von Respekt. Dass er schwindet, mag auch mit der modernen Arbeitswelt zusammenhängen, die Prozesse fortwährend verdichtet. Der Mensch wird als Teil der Maschinerie wahrgenommen, dem weder Freundlichkeit noch Wertschätzung gebühren. Wer sich aber die Mühe macht, mit der Frau an der Kasse ein freundliches Wort zu wechseln oder sich beim Schuster für die gute Arbeit zu bedanken, wird über die Wirkung verblüfft sein.

Respekt ist eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg

In der Psychologie geht man davon aus, dass nur derjenige Respekt vor anderen haben kann, der ihn auch für sich selbst empfindet. Wer einen guten Stil pflegt, ist sich dessen bewusst. Denn guter Stil signalisiert nicht nur die Bereitschaft, andere Menschen wichtig zu nehmen. Er unterstreicht zugleich immer auch Achtung vor sich selbst. Und in der Verbindung zwischen äußerem Verhalten und innerer Haltung entfaltet der Stil seine geheimnisvolle Kraft: überzeugend zu sein.

Führungskräfte übersehen diesen Zusammenhang häufig. Die meisten Manager neigen dazu, vor allem ihre Kompetenz zu betonen. Doch das allein ist nicht der Schlüssel, um auf Mitarbeiter entscheidend Einfluss zu nehmen. Ohne das Gefühl, akzeptiert zu werden, funktioniert Kommunikation suboptimal. Damit ist Respekt eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg.

Wie wichtig Respekt ist, merkt man meistens dann, wenn er weniger wird. In diesen Tagen ist sein Rückzug nicht zu übersehen. Da hilft es auch nicht, dass Mesut Özil sich in seiner Rücktrittserklärung aus der Fußball-Nationalelf auf den Respekt berief, den er dem Amt des türkischen Präsidenten entgegenbringe – sein Foto mit ebendiesem Präsidenten war ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber der Demokratie und Erdogans Opfern.

Was also tun? Nicht Jammern hilft, sondern das, was Emmanuel Macron getan hat: Respekt einzufordern und der Respektlosigkeit mit null Toleranz zu begegnen. Auch wenn es anstrengend ist.

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