Recep Tayyip Erdogan Türkischer Premier empört Studenten

Istanbul · Weil er gemischt-geschlechtliche Wohnheime und Wohngemeinschaften verbieten will, hat sich Recep Tayyip Erdogan den Zorn der Jugend zugezogen. Doch auch aus den eigenen Reihen schlägt dem Ministerpräsidenten Protest entgegen.

 Studenten gehen gegen Ministerpräsident Erdogan auf die Straße.

Studenten gehen gegen Ministerpräsident Erdogan auf die Straße.

Foto: ap, Burhan Ozbilici

Recep Tayyip Erdogan ist keinen Widerspruch gewohnt. Das Wort des türkischen Ministerpräsidenten ist Gesetz für seine Berater, seine Partei und hochrangige Bürokraten. Umso erstaunlicher ist es, was sich seit einigen Tagen im Land abspielt. Prominente Politiker aus Erdogans Regierungspartei AKP kritisieren den Premier öffentlich.

Anlass ist Erdogans Ankündigung, er werde unverheirateten Studenten und Studentinnen das gemeinsame Wohnen unter einem Dach verbieten. Der offene Widerstand signalisiert, dass der Premier mit seiner Hardliner-Position vielen in der Partei zu weit geht.

Polizeirazzien gegen Studenten-WGs

Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Wochenende gegen die Haltung des Ministerpräsidenten, der schon bei der Protestwelle im Sommer viele Türken mit seinem autoritären Führungsstil und seiner niedrigen Toleranzschwelle für Andersdenkende verärgerte. Nun werfen Erdogans Gegner dem Premier vor, im Namen islamisch-konservativer Moralvorstellungen die Grundrechte erwachsener Bürger zu verletzen: Erdogan hatte vergangene Woche gesagt, gemeinsame Wohnungen von Studenten und Studentinnen vertrügen sich nicht mit seinen Wertvorstellungen. Schon gibt es erste Berichte über Polizeirazzien gegen Studenten-WGs.

Bedenklicher als die Kritik der Opposition ist für Erdogan der Missmut in den eigenen Reihen. Fatma Bostan Ünsal, eine Mitbegründerin der AKP, sprach von einer "sehr gefährlichen Lage", wenn der Staat sich das Recht anmaße, die Belegung von Studentenwohnungen nach Geschlechtszugehörigkeit zu regulieren.

Vizepremier Bülent Arinc, der nach Erdogan mächtigste Mann in der AKP, beschwerte sich sogar öffentlich im Staatsfernsehen TRT über den Ministerpräsidenten. Als Regierungssprecher hatte Arinc vergangene Woche erste Berichte über Erdogans umstrittene Äußerungen über die Studenten zurückgewiesen — um am nächsten Tag erleben zu müssen, dass Erdogan die gerade dementierten Forderungen bestätigte.

Kein "Sandsack"

Derart im Regen stehengelassen, warnte Arinc den Premier über TRT, er sei kein "Sandsack" und nicht nur irgendjemand in der Partei. Seitdem wird über einen möglichen Rücktritt von Arinc spekuliert; ein solcher Schritt würde die AKP in eine bisher nie dagewesene Krise stürzen. Die unabhängige Zeitung "Taraf" meldete, vier Minister der Regierung sowie zahlreiche AKP-Abgeordnete hätten Arinc kontaktiert, um ihm den Rücken gegen Erdogan zu stärken. Ob Erdogan und Arinc inzwischen miteinander gesprochen haben, ist nicht bekannt.

Bei einigen in der AKP macht sich vier Monate vor wichtigen Kommunalwahlen das Gefühl breit, dass der streitlustige und von gefügigen Beratern umgebene Ministerpräsident immer häufiger über die Stränge schlägt. Die Partei gibt immer mehr von ihrem einstigen Charakter als Reformkraft auf und rückt weiter in die islamisch-konservative Ecke. Es werde schwieriger, die Positionen des Premiers in der Öffentlichkeit zu verteidigen, hieß es der Nachrichtenagentur Reuters zufolge in regierungsnahen Kreisen. Besonnene Köpfe in der AKP seien sich dieser Situation bewusst.

In der AKP war der 59-jährige Erdogan bisher unumstritten: EU-Minister Egemen Bagis verglich den Ministerpräsidenten mit einem Familienoberhaupt, dessen Autorität außer Frage stehe. Doch in Öffentlichkeit, Kabinett und Regierungspartei wachsen Zweifel am Patriarchen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort