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Ein Schicksal in Korea "Er soll wissen, dass ich gewartet habe"

Gyeongsan/Südkorea · 60 Jahre nach dem Ende des Koreakriegs hoffen noch immer Zehntausende Menschen in beiden Teilen des Landes auf ein Wiedersehen mit engen Familienangehörigen, von denen sie seinerzeit getrennt wurden. Jeglicher Kontakt ist ihnen seither verboten. Hong Jong Soon ist eine von vielen Betroffenen. Ihren Mann hat sie seit 63 Jahren nicht mehr gesehen.

 Hong Jong Soon betrachtet zusammen mit ihrem Sohn Bilder aus der Vergangenheit.

Hong Jong Soon betrachtet zusammen mit ihrem Sohn Bilder aus der Vergangenheit.

Foto: ap, Ahn Young-joon

Täglich schaut Hong Jong Soon stundenlang aus dem Fenster. Ihr Blick schweift vom Garten mit den Sesam- und Paprikapflanzen hin zum Eisentor und zur niedrigen Mauer. Die 88-jährige Südkoreanerin hofft auf die Rückkehr ihres Mannes, den sie seit 63 Jahren weder gesehen noch gesprochen hat. Ihr Mann verschwand, nachdem er 1950 ins südkoreanische Heer eingezogen worden war. Hong glaubt, dass er in den Wirren des Koreakriegs, dessen Ende sich am Samstag zum 60. Mal jährt, nach Nordkorea geriet.

 "Man sagt, die Zeit heile alle Wunden. Die Zeit ist vergangen, aber sie hat gar nichts geheilt", sagt die alte Frau traurig.

"Man sagt, die Zeit heile alle Wunden. Die Zeit ist vergangen, aber sie hat gar nichts geheilt", sagt die alte Frau traurig.

Foto: ap, Ahn Young-joon

Keine zweite Hochzeit

Hong hat nie wieder geheiratet und lebt noch im selben Haus wie damals, damit ihr Mann sich zurechtfindet, wenn er wiederkommt. "Ich werde nichts bedauern, wenn ich ihn sehen kann, bevor ich sterbe, selbst, wenn es nur ein einziges Mal ist", sagt die alte Dame mit leiser Stimme im Interview in Gyeongsan, einer kleinen Stadt 330 Kilometer südöstlich von Seoul.

Sechs Jahrzehnte nach dem Ende der Kämpfe stellen sich viele ältere Koreaner, die von ihren Angehörigen getrennt wurden, die schmerzliche Frage, ob sie ihre Verwandten auf der anderen Seite der geteilten Halbinsel vor ihrem Tod jemals wiedersehen werden.
Millionen Familien wurden während des Kriegs von 1950 bis 1953 getrennt. Es gab riesige Flüchtlingsströme in beide Richtungen. Die meisten Menschen wissen noch nicht einmal, ob ihre Angehörigen noch leben, denn jeglicher Kontakt per Post, Telefon oder E-Mail ist ihnen verboten.

Formal im Kriegszustand

Beide Seiten befinden sich formal noch immer im Kriegszustand, ein Friedensvertrag wurde nie geschlossen. Die Kampfhandlungen wurden am 27. Juli 1953 mit einem Waffenstillstand beendet.

Etwa 22.000 Nord- und Südkoreaner hatten während einer Periode der Entspannungspolitik ab Mitte 2000 die Gelegenheit zu kurzen Familienzusammenführungen - 18 000 davon persönlich, die anderen per Video. Doch das politische Tauwetter endete 2010. "Das kleine bisschen Hoffnung, das ich hatte, hat sich zerschlagen", sagt der 81-jährige Cho Il Woong. Er ließ seine Mutter und zwei Geschwister zurück, als er mit seinem Vater in den Süden flüchtete, um nicht in die nordkoreanischen Streitkräfte eingezogen zu werden. "Man sagt, die Zeit heile alle Wunden. Die Zeit ist vergangen, aber sie hat gar nichts geheilt."

Zusagen werden verlost

Und die Zeit läuft davon. Südkoreaner, die Verwandte im Norden treffen wollen, müssen sich um eine Erlaubnis bewerben. Die Zusagen werden dann verlost. Das südkoreanische Rote Kreuz, das das Familienzusammenführungsprogramm gemeinsam mit seiner nordkoreanischen Schwesterorganisation verwaltet, nimmt noch Anträge an, obwohl das Programm seit drei Jahren auf Eis liegt. Die meisten der Antragsteller sind über 70, und von den rund 129.000 Bewerbern sind bereits fast 56.000 verstorben.

Sahen sich Familienmitglieder nach Jahrzehnten der Trennung wieder, waren dies tränenreiche Treffen. Und nur wenige Tage später mussten sie wieder voneinander Abschied nehmen. Kein Koreaner erhielt bislang eine zweite Chance, seine Angehörigen noch einmal zu treffen, wie das südkoreanische Rote Kreuz erklärt. Die herzzerreißenden Szenen, die im Fernsehen gezeigt wurden, bewegten auch Menschen wie Hong, die bei der Verlosung kein Glück hatten.

Heirat mit 18 Jahren

Sie und ihr Mann Park Jong Won heirateten 1943 im Alter von 18 Jahren, ihre Familien hatten die Ehe arrangiert. Sie sah ihn vor der Hochzeit kurz, als er sie mit einem Verwandten besuchte. "Ich fühlte mich gut. Alle in der Nachbarschaft dachten, dass er gut aussieht", sagt Hong. Im Interview schaut sie auf ein Schwarz-weiß-Foto ihres Mannes in Jacke und mit Krawatte. Seine Mutter habe ihm oft erzählt, dass sein Vater ein ruhiger Mensch gewesen sei, sagt ihr Sohn, Park Yong Ho.

Vater Park wurde als Student im August 1950 eingezogen, zwei Monate nach der nordkoreanischen Invasion in den Süden. Der Sohn war damals fünf Jahre alt. Hong wusste nicht, wo ihr Mann geblieben war. Nach dem Krieg sei einer von dessen Freunden erschienen, berichtet der Sohn, und habe erzählt, dass er und Park in einem Gefangenenlager in China oder Nordkorea festgehalten worden seien.

Suche in Südkorea

Hong reiste in ganz Südkorea umher auf der Suche nach jemandem, der ihr etwas über das Schicksal ihres Mannes sagen könnte. Auch an Wahrsager und Schamanen wandte sie sich und kam erst Ende der 50er Jahre zur Ruhe. Da hatte ihr ein Hellseher, den sie als vertrauenswürdig einschätzte, gesagt, dass es ihrem Mann im Norden gutgehe.

Hong zog ihre beiden Kinder alleine auf. Ihr Sohn sagt, er habe oft gesehen, wie sie allein in ihrem Zimmer geweint habe. Die Frau ernährte die Familie mit dem Verkauf von Baumsetzlingen und ließ beide Kinder studieren - ungewöhnlich für die damalige Zeit, wie ihr Sohn sagt, ein Tierarzt im Ruhestand.

Hong erkrankte schwer, nachdem sie 1983 im Fernsehen eine mehrteilige Sendereihe über getrennte Familien gesehen hatte. Die Sehnsucht nach ihrem Mann sei im Alter größer geworden, sagt ihr Sohn, denn sie wisse, dass sie nicht mehr lange zu leben habe. Sie hat dem Sohn wiederholt aufgetragen, die Baumschule nicht zu verkaufen, damit der Vater sie erhält, wenn er nach Hause heimkehrt.

Es sei ihr egal, dass ihr Mann dann eine vom Alter gezeichnete Frau vor sich sehe. Es wäre ihr auch egal, wenn er noch einmal geheiratet hätte. "Ich will ihm nur sagen: "Ich habe auf dich gewartet. Ich habe bis jetzt auf dich gewartet."

(ap)
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