In Rede zur Lage der Nation Macron geht auf „Gelbwesten“ zu und macht Angebote

Paris · Dieses Mal soll es der große Wurf sein - und das muss es wohl auch: Präsident Macron geht einen gewaltigen Schritt auf die "Gelbwesten" zu. Kann er dieses Mal ihre Wut bändigen und neue Krawalle verhindern?

 Macron wandte sich am Montagabend in einer TV-Ansprache an die Öffentlichkeit.

Macron wandte sich am Montagabend in einer TV-Ansprache an die Öffentlichkeit.

Foto: AFP/LUDOVIC MARIN

Nach Massenprotesten geht der französische Präsident Emmanuel Macron einen großen Schritt auf die „Gelbwesten“ zu. Er kündigte am Montagabendabend in einer Rede an die Nation größere Zugeständnisse in der Sozialpolitik an. „Wir wollen ein Frankreich, in dem man würdig von seiner Arbeit leben kann“, erklärte er. „Es handelt sich in erster Linie um einen wirtschaftlichen und sozialen Notstand, den ich heute erklären möchte.“ Nach erneuten gewaltigen Krawallen und Ausschreitungen der Protestbewegung der „Gelben Westen“ am Wochenende stand der Präsident unter Zugzwang.

Macron kündigte an, dass es zukünftig auf Überstunden weder Steuern noch Sozialabgaben geben werde. Außerdem werde der Lohn für Arbeiter auf Mindestlohn-Niveau ab 2019 um 100 Euro pro Monat ansteigen.
Arbeitgeber sollten, wenn sie dazu in der Lage seien, ihren Beschäftigten eine Jahresendprämie zahlen. Zusätzlich soll Rentnern bei der umstrittenen Erhöhung einer Sozialabgabe entgegengekommen werden. Gleichzeitig müsste auch die Frage nach einer gerechteren Vertretung und Beteiligung von Bürgern gestellt werden.

Am Samstag waren wieder weit mehr als 100 000 Menschen auf die Straße gegangen, davon mindestens 10 000 in der Hauptstadt, um für mehr Steuergerechtigkeit zu demonstrieren. Es war das vierte Wochenende in Folge, an dem die Bewegung der „Gelben Westen“ zu Protesten aufgerufen hatte. Beobachtern zufolge handelt es sich um die bisher schwerste Krise seit Macrons Amtsantritt im Mai 2017.

Wütende „Gelbwesten“ demonstrieren in Paris
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Foto: REUTERS/BENOIT TESSIER

Das Staatsoberhaupt steht vor einem schwierigen Spagat: Einerseits muss er den Ärger in der Mittelschicht und der Arbeiterklasse über Sparmaßnahmen dämpfen, andererseits muss er den Eindruck vermeiden, dem Druck der Straße nachgegeben zu haben. Macron räumte ein, in den vergangenen 18 Monaten sei es nicht gelungen, eine Antwort auf die Malaise der vergangenen 40 Jahre zu finden. Die Wut im Land sei eine große Wut und gerechtfertigt.

Macron hatte am Montagmorgen Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft im Élyséepalast empfangen. Der Präsident wollte bei dem Treffen mit Vertretern der großen Gewerkschaften, der Arbeitgeber sowie der Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats Stimmen und Vorschläge hören, welche Antworten es auf die andauernden Proteste der „Gelben Westen“ geben kann.

In der vergangenen Woche hatte Macron sich mit öffentlichen Auftritten auffällig zurückgehalten. Stattdessen schickte er Premierminister Édourad Philippe vor. Der Ruf nach Antworten des Präsidenten wurde unterdessen immer lauter.

In seiner Fernsehansprache erklärte der Präsident, dass er eine umstrittene Vermögenssteuer nicht wieder einführen werde. In der vergangenen Woche wurde spekuliert, ob ihre Abschaffung nicht wieder gekippt werden könnte. Diese Steuer sei für diejenigen abgeschafft, die in die Wirtschaft investieren und so zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen, sagte Macron in seiner Rede.

Die Vermögenssteuer war mit dem Haushaltsgesetz für 2018 weitgehend abgeschafft worden - zwar muss Immobilienbesitz weiter versteuert werden, für Kapitalbesitz fallen die Abgaben jedoch weitgehend weg. Gleichzeitig müsse der Staat streng gegen Steuerhinterziehung vorgehen, sagte Macron.

Vor der Stellungnahme Macrons hatte Finanzminister Bruno Le Maire erklärt, Pläne einer Digitalsteuer voranzutreiben: "Wenn man auf der Suche nach Geld ist, sollte man bei den Digitalfirmen anklopfen", sagte er dem Radiosender RTL. Die Bemühungen um eine gemeinsame Digitalsteuer in der EU stecken in einer Sackgasse. Frankreich will die geplante Steuer für Internetkonzerne wie Facebook und Google jedoch auch ohne Einigung innerhalb der EU einführen.

Es gibt Zweifel, dass die Zugeständnisse Macrons und der Mitte-Regierung von Premier Philippe ausreichen werden. Die Forderungen der "Gelbwesten" sind mittlerweile noch weitgehender. Für kommenden Samstag gibt es bereits neue Aufrufe zu Protesten.

Milliardenschwere Steuer- und Abgabenerleichterungen dürften Frankreich teuer zu stehen kommen. Eigentlich hatten die Franzosen Europa versprochen, die Staatsfinanzen zu sanieren und die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung dauerhaft einzuhalten.

Die Drei-Prozent-Schwelle könnte Frankreich nun jedoch möglicherweise erneut nicht schaffen. Bisher sieht die Planung für 2019 ein Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung vor.
Erstmals seit 2007 lag Frankreich im Jahr 2017 mit einem Wert von 2,6 Prozent unter der Schwelle.

Am Montag halbierte die Banque de France die vorhergesagte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts für das vierte Quartal. Diese liege nun nur noch bei 0,2 Prozent. Grund dafür seien Auswirkungen der Proteste der "Gelben Westen". "Im November hat die aktuelle Bewegung die industrielle Produktion in verschiedenen Sektoren beeinflusst", hieß es.

Wirtschaftsminister Bruno Le Maire warnte im französischen Sender RTL davor, dass die Proteste auch ausländische Investoren verschrecken könnten. "Ich sehe die Auswirkungen, die das auf Ausländer hat, offensichtlich ist das nicht gut für die Attraktivität unseres Landes", sagte der Minister. "Jetzt kommt es darauf an, dass wir diese Krise beenden und einfach Frieden und Harmonie zwischen den Franzosen finden können."

Die Protestbewegung der "Gelben Westen" hatte sich Mitte November angesichts geplanter Steuererhöhungen auf Kraftstoffe formiert.
Dieses Vorhaben hat die Mitte-Regierung wegen der wochenlangen Proteste mittlerweile auf Eis gelegt. Die Forderungen der Demonstranten reichten jedoch schnell viel weiter - von Steuersenkungen über mehr Kaufkraft bis zum Rücktritt Macrons.

(csi/juju/dpa/reu)
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