Türkische Militäroffensive Einmarsch in Nordsyrien löst Kritik aus – Trump zieht wirren Vergleich

Istanbul · Ankara hat seine Ankündigung wahr gemacht und Ziele in Nordsyrien angegriffen. Die Bevölkerung in der Grenzregion flieht vor dem Bomben. Der Angriff wird international scharf kritisiert.

 Rauch steigt nahe der syrisch-türkischen Grenze auf. Der Angriff hat begonnen.

Rauch steigt nahe der syrisch-türkischen Grenze auf. Der Angriff hat begonnen.

Foto: AP/Lefteris Pitarakis

Die türkische Militäroffensive gegen Kurden in Nordsyrien hat international Besorgnis und scharfe Kritik ausgelöst. Der UN-Sicherheitsrat kommt am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen, die Arabische Liga hat für Samstag ein Dringlichkeitstreffen angesetzt. Während US-Präsident Donald Trump den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem "rationalen" und "humanen" Vorgehen aufrief, drohten US-Senatoren der Türkei mit schweren Sanktionen.

Die türkischen Streitkräfte hatten am Mittwoch ihre Offensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien gestartet. Nach intensiven Artillerie- und Luftangriffen auf Ras al-Ain, Tal Abjad, Kamischli und andere Städte entlang der Grenze drang die türkische Armee mit Bodentruppen über die Grenze vor.

Das türkische Verteidigungsministerium erklärte am späten Abend, bislang seien 181 Ziele der kurdischen "Terrorgruppe" getroffen worden. Ein Sprecher der von der YPG-Miliz angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte erklärte später, die türkische Offensive sei "zurückgedrängt" worden. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden sowohl kurdische Kämpfer als auch Zivilisten getötet. Tausende Zivilisten seien auf der Flucht.

Auch in der Nacht setzte das türkische Militär seine Offensive gegen Kurdenmilizen in Nordsyrien fort. In einem Tweet des Verteidigungsministeriums in Ankara vom frühen Donnerstagmorgen hieß es, „die heldenhaften Soldaten“ rückten mit der „Operation Friedensquelle“ im Osten des Flusses Euphrat weiter vor.

Erdogan will nach eigenen Angaben die "terroristische Bedrohung" an der Grenze beseitigen. Ankara sieht die YPG wegen ihrer Verbindungen zu den Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Gefahr an. Die "Operation Friedensquelle" soll laut Erdogan auch eine "Sicherheitszone" schaffen, um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu erleichtern.

Die türkische Offensive war seit geraumer Zeit erwartet worden. Möglich wurde sie nun durch den Abzug von US-Soldaten, die in der Region wie ein Puffer zwischen Kurden und der türkischen Armee gewirkt hatten.

Mit einem gewagten historischen Vergleich verteidigte US-Präsident Donald Trump den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien: Die jetzt von einer türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schließlich nicht im Zweiten Weltkrieg und bei der Alliierten-Landung in der Normandie 1944 unterstützt.

"Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns beispielsweise nicht mit der Normandie geholfen", sagte Trump am Mittwoch in Washington. Die Kurden würden vielmehr für "ihr Land" kämpfen.

Der US-Präsident verwies bei seiner Argumentation auf einen "sehr, sehr starken Artikel" vom Mittwoch. Offenbar meinte Trump damit einen Kommentar auf der konservativen Website Townhall, in dem seine Entscheidung zum Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien verteidigt wurde.

Die USA hätten den Kurden bereits viel Unterstützung zukommen lassen, führte Trump aus. "Wir haben enorme Geldbeträge ausgegeben, um den Kurden zu helfen, mit Munition, mit Waffen, mit Geld, mit Sold." Zugleich betonte Trump: "Wir mögen die Kurden".

Trump ist wegen des Truppenabzugs scharf kritisiert worden - die YPG-Miliz war ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Trump wiederholte am Mittwoch seine Warnung, er werde die Türkei wirtschaftlich "zerstören", sollte Erdogan seiner Meinung nach zu weit gehen. Er hoffe, der türkische Präsident werde "rational" und "human" vorgehen. Trump ließ aber offen, was genau er damit meint.

US-Senatoren drohten der Türkei derweil scharfe Sanktionen an, sollte Ankara seine Militäroffensive nicht stoppen. Der Republikaner Lindsey Graham und der Demokrat Chris Van Hollen kündigten ein Sanktionspaket an, mit dem unter anderem Vermögen der türkischen Führung in den USA eingefroren werden soll. Vorgesehen sind auch Sanktionen gegen Unternehmen, die die türkischen Streitkräfte beliefern.

Graham, eigentlich ein Trump-Unterstützer, warf der US-Regierung vor, die Kurden "schamlos im Stich gelassen" zu haben. Erdogan werde für seinen Militäreinsatz einen "hohen Preis" zahlen.

EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben das türkische Vorgehen ebenfalls verurteilt. So erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD): "Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiert ein Wiedererstarken des IS."

Kritik kam auch aus Ägypten und Saudi-Arabien. Der irakische Präsident Barham Saleh, selbst ein Kurde, warnte, die türkische Militäroffensive werde nicht nur zu menschlichem Leid führen, sondern auch "terroristische Gruppen" stärken.

Die türkische Militäroffensive hat unter anderem Sorgen ausgelöst, dass von den Kurden inhaftierte IS-Kämpfer entkommen und sich neu sammeln könnten. Trump sagte deswegen am Mittwoch, die USA würden einige der gefährlichsten IS-Kämpfer von den Kurden übernehmen und an sichere Orte bringen.

Nach Angaben eines US-Verteidigungsvertreters wurden bereits zwei als als besonders gefährlich eingestufte IS-Dschihadisten von den USA aus Syrien gebracht. US-Medienberichten zufolge handelt es sich bei den Männern um zwei berüchtigte britische IS-Kämpfer.

(zim/AFP/dpa)
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