Neuordnung der Weltenergiekarte Eine globale Energierevolution verändert die Weltpolitik

Düsseldorf · Amerikas Schiefergas-Boom, der Aufstieg Chinas und die Zunahme von Öko-Strom verschieben die strategischen Prioritäten.

Diese Arten der Stromerzeugung gibt es
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Die Revolution begann vor ein paar Jahren in den Weiten von North Dakota. Die USA, bis heute weltweit größter Verbraucher von Erdöl und Erdgas, begannen ihre seit Langem rückläufige Produktion dank der Förderung "unkonventioneller" Vorkommen von Schiefergas plötzlich wieder zu steigern. Bis 2035, so die aktuellsten Prognosen, könnten die Amerikaner dank des Schiefergas-Booms komplett unabhängig von Energieimporten sein, schon in vier bis fünf Jahren dürften die USA zum Netto-Gasexporteur werden.

Für die Dauer etwa einer Dekade, so glauben Experten, wird Nordamerika den Anteil der Golfstaaten an der Weltproduktion an Öl- und Gas fühlbar reduzieren.

Gleichzeitig werden Länder und Regionen, die bisher als wichtige Exporteure galten, auch zu Zentren des weltweiten Nachfragewachstums. So soll um das Jahr 2030 nach einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) der Ölverbrauch im Nahen Osten den der EU übersteigen. Dafür soll auch der langfristig steigende Anteil an Öko-Strom in Europa sorgen. Insgesamt wandert der Schwerpunkt der weltweiten Nachfrage nach fossilen Energien ganz deutlich in Richtung der aufstrebenden Wirtschaftsregionen in Asien. Die Routen des weltweiten Handels mit Öl und Gas verschieben sich vom Atlantik in den pazifischen Raum.

Auch politisch hat die Energierevolution unmittelbare Auswirkungen, indem sie die Abhängigkeit der USA vom unruhigen Nahen Osten verringert. Einige politische Beobachter in Washington führen das unter Barack Obama deutlich schwindende politische und militärische Engagement der Amerikaner in der Region nicht zuletzt auch darauf zurück.

Es wäre ein Paradigmenwechsel. Seit beinahe 70 Jahren galt ein für beide Seiten profitabler Deal: Die USA garantierten die Sicherheit der Golfmonarchien, allen voran Saudi-Arabiens. Die Scheichs dagegen sorgten für verlässlichen Nachschub an bezahlbarem Öl. Doch nun bröckelt die Grundlage für dieses Abkommen und eröffnet Washington mit einem Mal neue politische Optionen. Der nächste amerikanische Präsident wird die Frage, ob er das Leben von US-Soldaten für die strategische Sicherung des Ölnachschubs opfern soll, möglicherweise ganz anders beantworten können als alle seine Vorgänger seit 1945.

Dagegen wird man sich in Peking künftig mehr Sorgen um solche Fragen machen müssen. Seit einigen Jahren beschäftigt die Frage der Sicherung der maritimen Handelswege auch chinesische Militärs. Nicht umsonst gilt ein großer Teil der Rüstungsanstrengungen, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zuletzt unternommen hat, der Marine. Die Erkenntnis dahinter ist einfach: Chinas Energiehunger ist so gewaltig, dass er auch künftig aus heimischen Ressourcen nicht zu stillen sein wird. Zwar stampfen die Chinesen derzeit eine ganze Reihe neuer Atomkraftwerke aus dem Boden, und nirgendwo auf der Welt wird so viel Produktionskapazität für erneuerbare Energien installiert. Aber besonders die explodierende Nachfrage aus dem Transportsektor und der Petrochemie wird in den kommenden 20 Jahren einen immer größeren Teil des verfügbaren Öls nach Asien fließen lassen.

Weil die Kapazitäten im Nahen Osten dafür über kurz oder lang nicht mehr ausreichen, muss ein immer größerer Teil des Bedarfs aus Russland, der Region ums Kaspische Meer, aus Afrika, Lateinamerika und Kanada gedeckt werden. Und abgesehen von Russland und den anderen GUS-Staaten, die teils schon mit dem Bau von Pipelines nach China begonnen haben, lassen sich diese Importe nur zur See abwickeln.

Auch an Europa wird diese Neuordnung der Weltenergiekarte nicht spurlos vorübergehen. Zwar soll auf dem Alten Kontinent der Primärenergieverbrauch nach den Prognosen aufgrund des Ausbaus von erneuerbaren Energien und effizienterer Ressourcen-Nutzung bei gleichzeitig nur mäßigem Wirtschaftswachstum leicht sinken. Aber die politische Abhängigkeit könnte trotzdem noch größer werden. Russland wird neben dem Nahen Osten auf absehbare Zeit dominierender Lieferant vor allem beim Erdgas bleiben, zumal die bislang erschlossenen britischen und norwegischen Lagerstätten sich zusehends erschöpfen.

Der Druck, bislang ungenutzte heimische Quellen per Fracking anzuzapfen, könnte angesichts dieser Lage zusehends stärker werden. Bisher sind die EU-Staaten in dieser Frage gespalten. Während Länder wie Frankreich oder Deutschland aus Sorge um die Umwelt derzeit nichts von Fracking wissen wollen, plant man etwa in Polen bereits die Ausbeutung erkundeter Reserven.

Weil die Gaspreise in der EU aktuell dreimal so hoch sind wie in den USA und mittelfristig wohl mindestens doppelt so hoch bleiben werden, könnte auch der Import von Flüssiggas (LNG) einen Aufschwung erleben. Im Mittelmeerraum gibt es damit seit Langem einschlägige Erfahrung — hier wird unter anderem verflüssigtes Gas aus Algerien gehandelt. Die IEA-Experten gehen davon aus, dass künftig auch "ein kleiner, aber bedeutender Teil" des amerikanischen Schiefergases verflüssigt seinen Weg auf die Weltmärkte und damit vor allem auch in die Hochpreisregion Europa finden wird. Projekte für den Neu- oder Ausbau von Gas-Terminals an den Küsten, wo künftig ganze Tankerflotten ihre Ladung löschen könnten, liegen seit Jahren in den Schubladen. Jetzt könnte der Zeitpunkt gekommen sein, sie zu verwirklichen.

(RP)