Russland droht Ukraine Ein Zwischenfall an der Grenze verschärft die Krise

Die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland drohen nach einem tödlichen Grenzzwischenfall zu eskalieren. Nach dem Einschlag von Granaten auf russischer Seite des Grenzgebiets warnte das Außenministerium in Moskau die Ukraine vor "unwiderruflichen" Konsequenzen.

Ein Spezialist der russischen Armee untersucht die Einschlagstelle im russischen Donezk.

Ein Spezialist der russischen Armee untersucht die Einschlagstelle im russischen Donezk.

Foto: dpa, sd pt

Bei dem Beschuss am Sonntag starb den Angaben zufolge ein russischer Staatsbürger, als zwei aus der Ukraine abgefeuerte Granaten in Häuser der russischen Region Rosotow einschlugen. Das russische Außenministerium werte den Vorfall als Aggression der Ukraine gegen russisches Hoheitsgebiet und die Bevölkerung der Russischen Föderation, hieß es in Moskau. Eine entsprechende Protestnote sei der Ukraine übergeben worden.

Die Ukraine wies die Darstellung zurück und suggerierte gleichzeitig der Beschuss könne auf die Separatisten zurückgehen, um eine Intervention Russlands zu provozieren. Die Rebellen wiesen dies zurück.

Mit einer Serie von Luftangriffen im Osten des Landes hatte die Ukraine die Lage am Samstag abermals verschärft. Nach Militärangaben wurden dabei etwa 1000 Separatisten getötet.
Kampfjets hätten das "Epizentrum" der Rebellen nahe der Grenze zu Russland getroffen, sagte ein Militärsprecher am Samstag.

Insgesamt seien 16 Kampfeinsätze geflogen worden, um Stellungen der Rebellen zu bombardieren. Die Serie von Luftangriffen habe Freitagabend begonnen und bis weit in den Samstag gedauert. Die Separatisten dementierten die Darstellung. Sie hätten keine großen Verluste erlitten. Die Tötung von 1000 Rebellen wäre mit Abstand die höchste Totenzahl im bisherigen Verlauf des Ukraine-Konflikts. Auch von Seiten der internationalen Gemeinschaft wurde auf die extrem hohe Opferzahl offenbar nicht ernstgenommen, denn es blieb jegliche Reaktion aus.

Die Vorkommnisse des Wochenendes stellen gleichwohl eine dramatische Verschärfung der Krise dar. Die USA riefen den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko auf, Gespräche über eine Waffenruhe zu führen. Vize-Präsident Joe Biden habe am Samstag mit Poroschenko telefoniert und ihm Unterstützung bei seinen Bemühungen zugesagt, teilte das US-Präsidialamt mit.

Biden habe auch bekräftigt, dass die USA ihren Druck auf die russische Regierung erhöhen würden, sollte sie nicht ihre Unterstützung für die prorussischen Rebellen einstellen. Die USA haben Russland wiederholt mit weiteren Sanktionen gedroht, sollte die Regierung in Moskau nicht mäßigend auf die Separatisten im Nachbarland einwirken. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Poroschenko erst vor kurzem in einem Telefonat persönlich aufgerufen, die Verhältnismäßigkeit zu wahren und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin berieten am Rande der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien über die Ukraine-Krise. Sie seien sich einig gewesen, dass möglichst bald direkte Gespräche zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten in Form einer Videokonferenz aufgenommen werden sollten, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntagabend mit. Ferner seien eine wirkungsvolle Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze sowie ein Austausch von Gefangenen wichtige Voraussetzungen für das Ziel einer baldigen beiderseitigen Waffenruhe.

Auslöser für die jüngste Eskalation war einer der bislang folgenschwersten Angriffe der Separatisten auf ukrainische Soldaten. Dabei wurden am Freitagmorgen 23 Armeeangehörige getötet und fast 100 verletzt. Poroschenko kündigte daraufhin massive Vergeltung an: "Für das Leben jedes Soldaten werden die Aufständischen mit Dutzenden und Hunderten ihrer Leben bezahlen." Kurz darauf startete die Luftwaffe ihre nächtlichen Angriffe auf die Stellungen der prorussischen Rebellen im Osten des Landes.

Die Regierungstruppen hatten zuletzt in dem seit drei Monaten anhaltenden Konflikt Erfolge gemeldet. So konnte die Armee am vergangenen Wochenende die Rebellen aus der umkämpften Stadt Slawjansk vertreiben. Die Separatisten haben sich seitdem in der ukrainischen Industriestadt Donezk im Osten verschanzt.Dort leben etwa 900.000 Menschen.

Die Ukraine wirft Russland vor, die Separatisten zu unterstützen und den Schmuggel von schweren Waffen nicht zu unterbinden. Die Rebellen haben im Osten des Landes unabhängige Volksrepubliken ausgerufen und streben die Loslösung von der Regierung in Kiew an - ganz nach dem Vorbild der Krim. Die Halbinsel wurde trotz des Widerstands der Ukraine in die Russische Förderation eingegliedert. Seitdem haben die USA und Europa eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt.

Obwohl von einer Waffenruhe nicht mehr die Rede sein kann, vereinbarten die EU, die Ukraine und Russland neue Gespräche über die Folgen des neuen Handelsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Russland befürchtet Nachteile durch den am 27. Juni geschlossenen Vertrag. Im September sollten neue Gespräche stattfinden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko rief derweil den Europäischen Rat auf, das Verhalten Russlands im Ostukraine-Konflikt zu verurteilen. In einem Telefont mit dem scheidenden EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy warf Poroschenko Moskau vor, "schweres Militärmaterial" für die pro-russischen Rebellen illegal über die Grenze in den Osten der Ukraine zu bringen sowie "Stellungen ukrainischer Soldaten anzugreifen", erklärte Poroschenkos Büro am Sonntagabend.

Der ukrainische Präsident bat unter anderem, den Ukraine-Konflikt auf die Tagesordnung der nächsten Ratssitzung am Mittwoch zu setzen. Dies habe Van Rompuy ihm zugesichert.

Wie die "Bild"-Zeitung (Montagausgabe) unterdessen berichtet, haben der abgesetzte und nach Russland geflüchtete ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch und seine beiden Söhne Olexandr und Wiktor Klage gegen die EU eingereicht. Sie fordern demnach die sofortige Rücknahme der gegen sie verhängten EU-Sanktionen.

Die Klagen seien bereits am 14. Mai beim EU-Gerichtshof in Luxemburg eingegangen, berichtete das Blatt. Darin werfen Janukowitsch und seine Söhne der EU vor, bei der Verhängung der Sanktionen gegen EU-Recht verstoßen zu haben. Die EU sei nur deshalb gegen ihn vorgegangen, um den Plan für eine engere Anbindung der Ukraine voranbringen zu können - dabei sei Janukowitsch als "demokratisch gewählter" Präsident im Wege gewesen, argumentierten dessen Londoner Anwälte. Als früherer Präsident unterliege Janukowitsch zudem einer besonderen Immunität, führt die Klageschrift laut "Bild" weiter aus. ans

(REU dpa)
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