Demografie China droht ein Pflegenotstand

Peking · Die Vergreisung der Gesellschaft, verschärft durch die Folgen der jahrzehntelangen Einkind-Politik, wächst sich zu einem ernsthaften Problem aus.

 Alte Frauen in Chongzua in der chinesischen Provinz Guangxi. Schon jetzt sind mehr als 17 Prozent der Chinesen älter als 60 Jahre – Tendenz stark steigend.

Alte Frauen in Chongzua in der chinesischen Provinz Guangxi. Schon jetzt sind mehr als 17 Prozent der Chinesen älter als 60 Jahre – Tendenz stark steigend.

Foto: epd / Katharina Hesse

Wenn es um medizinische Versorgung von Rentnern geht, um deren qualifizierte Pflege und um Altern in Würde ist China mit seiner immer rascher alternden Bevölkerung ein Entwicklungsland. Drei Jahre lang wollen nun deutsche und chinesische Institute in einer Musterinitiative einen Lösungsweg für den alarmierenden Pflegenotstand suchen.

Dem deutschen Konsortium gehören das Deutsch-Chinesische Sozialwerk Stuttgart und der Pflege-Fachverlag Elsevier an. Mit staatlicher Anschubfinanzierung aus Berlin, wobei China rund 45 Prozent als Eigenanteil zusteuert, will das Projekt nach eigenen Angaben bis Herbst zuerst 24 Dozenten aus acht Pflegefachschulen weiter qualifizieren. Sie werden in Chemnitz nach dem dualen deutschen Ausbildungssystem für Pflegeberufe geschult. Danach sollen sie ab Herbst in ihrer Heimat als Multiplikatoren wirken und die zehnfache Zahl an Pflegefachkräften ausbilden.

Das lange vorbereitete Vorhaben kommt ausgerechnet in einem Moment, wo Chinas Reform- und Entwicklungskommission NDRC als oberste Genehmigungsbehörde des Landes den gesamten Bereich der Altenpflege für private chinesische und ausländische Investoren öffnen will. Frühere Auflagen und spezielle Genehmigungen für private Investitionen in Altenpflege-Einrichtungen werden gestrichen. Der Chef der EU-Handelskammer in China, Mats Herborn, begrüßte diese Reform zur Öffnung des Dienstleistungsmarktes der Altenpflege. Sie sorge für den nötigen Wettbewerb.

Doch für ausländische Anbieter in China bleibt es wohl auch in Zukunft ein Nischengeschäft. Sie werden nur wenige Chinesen aus dem reichen Mittelstand für ihre Pflegedienstleistungen gewinnen können, so wie sie etwa die französische Orpea-Gruppe anbietet. Bereits im März 2016 öffnete der Pflege-Konzern als erste ausländischer Anbieter in Nanjing ein Pflegeheim als Pilotversuch. Die monatlichen Zimmerpreise für die 140 Betten liegen zwischen 15.000 und 40.000 Yuan (gut 5000 Euro). Mehr als 90 Prozent aller gebrechlichen Chinesen bleibt angesichts solcher Tarife nichts anderes übrig, als sich zu Hause pflegen zu lassen (in Deutschland sind es 70 Prozent).

Viel zu spät hat Chinas Führung bemerkt, wie sie die Vergreisung der Gesellschaft durch die 30 Jahre erzwungene Einkind-Politik selbst beschleunigt hat. Zudem stieg das Durchschnittsalter dank höherer Lebenserwartung. So sei die Zahl an Rentnern in China doppelt so schnell gewachsen wie im Weltdurchschnitt, schreibt der neue „Jahresbericht 2018 zur Gesundheit alter Menschen in China“, den die Akademie für Sozialwissenschaften unlängst veröffentlichte.

Noch zu Anfang des 21.Jahrhunderts zählte China zehn Prozent Rentneranteil. Ende 2017 waren aber schon 241 Millionen Chinesen, oder 17,3 Prozent, über 60 Jahre alt. 2025 sollen es 300 Millionen sein – jeder Fünfte. Spätestens 2050 werde China mit einer Altenrate von 35,1 Prozent die reichen Industriestaaten überholt haben und das größte Heer an Pensionären in der Welt stellen.

Die KP ist alarmiert. Parteichef Xi Jinping sprach Chinas neues Problem mit den Alten auf dem letzten Parteitag gleich zweifach an. Er forderte einen systematischen Ausbau der Altenpflege, die mit medizinischer Betreuung verbunden sein müsse, und verlangte nach einem gesellschaftlichen Umfeld „der Ehrfurcht vor dem Alter“. Xi versprach auch, die rudimentären Pflegeversicherungen für die Bürger in Stadt und Land zu verbessern und rasch zu vereinheitlichen.

Denn die Bürde wächst, auch für den Staat. Soeben erschien der aktuelle „Bericht zu den Sozialversicherungen 2019“. Er warnt eindringlich vor einem Rentennotstand. So meldeten 2015 sechs von 32 Provinzen weniger Renteneinnahmen als -ausgaben. Bis 2020 werden es nach Einschätzung der Experten schon 13 bis 14 Provinzen sein. China wird schneller alt als reich, das treibt die Staatsverschuldung nach oben. Dabei ist die Haushaltskrise schon jetzt ein brisantes Thema.

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