Massive Verluste für Kreml-Partei Ein Schlag ins Gesicht von Wladimir Putin
Moskau · Die Russen haben der Kreml-Partei bei den Duma-Wahlen einen schmerzhaften Denkzettel verpasst. Trotz haarsträubender Repressalien am Wahltag musste das ungeliebte Duo Putin/Medwedew lange um die absolute Mehrheit bangen.
Am frühen Montagmorgen lief die für den Kreml erlösende Eilmeldung über die Nachrichtenticker: Die Putin-Partei Einiges Russland kam bei den Duma-Wahlen doch noch auf auf die absolute Mehrheit der Sitze im russischen Parlament. Wie die Wahlkommission am Montag mitteilte, entfallen auf die Partei des Ministerpräsidenten Wladimir Putin 238 der insgesamt 450 Mandate.
Doch die Ohrfeige sitzt, hatte der Kreml doch mit einem unangefochtenen Sieg gerechnet. Bislang verfügte die Kreml-Partei in der Duma, dem russischen Unterhaus, über eine Zweidrittelmehrheit.
Es ist ein herber Schlag für Wladimir Putin. Am Sonntagabend reagierte er sichtlich angefressen. Da sah es für seine Partei noch prekärer aus. 48,5 Prozent der Stimmen hieß es da, nach anderen Erhebungen landete sie sogar nur bei 46 Prozent.
Damit bleibt Geeintes Russland zwar die stärkste politische Kraft. Aber das Ergebnis kommt einem Misstrauensvotum der Bevölkerung gleich. Vor vier Jahren hatte sie noch 64 Prozent der Stimmen geholt und 315 der 450 Sitze im Parlament eingenommen. Die nur knappe Mehrheit im Jahr 2011 kommt nun umso überraschender, da es die kritischen Kräfte schwerer hatten denn je. Der Wahltag war von Repressionen gekennzeichnet, die es selbst in Russland bislang so nicht gegeben hat.
"Sie dürfen hier nicht rein!"
Ein Beispiel: Das Wahllokal Nummer 2447 in einer Schule am Kutusowski Prospekt im Zentrum von Moskau. Hinter der Tür warten zwei Polizisten und ein Geheimdienstmann mit Bürstenschnitt und Lederjacke. "Sie dürfen hier nicht rein!", befindet Polizeileutnant Ermolenko, als die ausländischen Journalisten ihre Akkreditierungen vorzeigen. Alle Verweise darauf, dass dies ein Verstoß gegen russische Gesetze sei, interessieren den Polizisten nicht. "Wir haben hier eine Liste, wen wir reinlassen dürfen und wen nicht. Versuchen Sie es woanders."
"Ein Ekelgefühl gegen diesen Staat"
Im Wahllokal Nummer 2446 läuft es besser. "Hier ist alles ruhig, ohne Probleme", sagt die Wahlleiterin Zoja Makarowa schnell. Eine energische Frau in Schwarz widerspricht. "Ich habe heute schon acht Wahllokale besucht, es gibt überall Verstöße", sagt Tatjana Dibilkowskaja. Sie ist im Auftrag der Kommunistischen Partei als Wahlbeobachterin unterwegs. "In mehreren Wahllokalen wurde Medienvertretern der Zutritt verweigert" erzählt sie, "außerdem tauchen Pseudo-Wahlbeobachter mit gefälschten Papieren auf."
An diesem nasskalten Sonntag gehen die meisten Moskauer Wähler mit missmutigen Gesichtern zur Wahl. "Ich habe ein Ekelgefühl gegen diesen Staat", knurrt Andrej (38), der seinen Nachnamen nicht nennen will. Der Manager hat für die Kommunisten gestimmt. "Was bleibt mir übrig? Bloß nicht für die Kremlpartei Geeintes Russland. Und bei allen anderen wird mir schlecht." Mit einem ehrlichen Ergebnis rechnet niemand. Auch nicht die Rentnerin Lydia Aleksejewna (68). "Die sollten diese Wahlen gleich abschaffen", schimpft sie, "Das kostet doch alles nur unser Geld."
Urteile gegen kritische Organisationen
Die Dumawahl gilt als Generalprobe für die Präsidentenwahl im März 2012, bei der Premier Wladimir Putin wieder in den Kreml einziehen wird. Entsprechend hart ging die Polizei gegen Kremlgegner vor. In Moskau wurden 100 Demonstranten festgenommen. Sie hatten in Sprechchören gerufen: "Diese Wahlen sind eine Farce." In St. Petersburg kam es zu 30 Festnahmen.
Russlands einzige unabhängige Wahlbeobachter-Initiative "Golos" wurde massiv unter Druck gesetzt. Stundenlang blockierten Hacker die Internetseite der Gruppe, die unter anderem von der EU finanziert wird. Am Freitag hatte ein Gericht Golos wegen angeblicher Verstöße gegen das Wahlgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt. Eine ernste Sache, denn nach russischem Gesetz kann eine einmal verurteilte Nicht-Regierungsorganisation verboten werden, wenn sie eine zweite Strafe kassiert. Insider vermuten, dass beabsichtigt ist, die unbequeme Initiative auf diese Weise vor der Präsidentenwahl im März zur Aufgabe zu zwingen.
Putinfreund lobt die Abstimmung
Opfer von Cyber-Attacken waren am Wahltag aber auch Webseiten unabhängiger Medien. Darunter der Radiosender Echo Moskwy, die Tageszeitung "Kommersant", das Magazin "Nowoje Wremja" und ein Nachrichtenportal. Der Chefredakteur von Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, bezeichnete den Hackerangriff als "eindeutigen Versuch, die Veröffentlichung von Informationen über Wahlfälschung zu verhindern". Der Leiter der Zentralen Wahlkommission, Putins Schulfreund Wladimir Tschurkow, lobte dagegen die Abstimmung als "kristallklar und sauber".
Die OSZE, die mit 200 Beobachtern vertreten ist, will ihre Bewertung heute abgeben. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne), die zur Beobachter-Mission des Europarats gehört, gab sich nachdenklich. "Wir sehen korrekte Verfahren, soweit wir sie sehen können", sagte sie unserer Redaktion. Es sei allerdings die Frage, wieweit im Vorfeld Druck auf Wähler und Verantwortliche in Institutionen ausgeübt worden sei, ein bestimmtes Stimmenpotenzial beizubringen. "Was wir als Kurzzeitbeobachter machen, ist untauglich, um eine Wahl wirklich zu überprüfen", sagte Beck selbstkritisch über die Grenzen der Mission.