75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz Ein Ort deutscher Schuld

Auschwitz · Am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ist Frank-Walter Steinmeier mit drei Überlebenden zur Gedenkfeier nach Polen gereist. Auschwitz sei ein Ort deutscher Schuld, schreibt Steinmeier ins Gedenkbuch.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender stellen Grablichter am Mahnmal auf.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender stellen Grablichter am Mahnmal auf.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Wer unter dem zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“ das Gelände betritt, den trifft die Vorstellung des Abscheulichen mit Wucht. Auschwitz, polnisch Oświecim, war das größte Konzentrations- und Vernichtungslager, das die Nazis errichtet haben. Dort wurden 1,3 Millionen Menschen ermordet, zu 90 Prozent Juden – die meisten von ihnen aus Polen oder Ungarn.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begleiten am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz drei Männer, die in Auschwitz inhaftiert waren und den Gräueltaten der Nazis entkommen sind. Einer von ihnen ist der 89-jährige Peter Johann Gardosch. Ein bemerkenswerter Mann, der in den 60er Jahren nach Deutschland aus Israel zurückkehrte und als Unternehmensberater Karriere machte. Wenn man ihn fragt, wie er das, was er als Jugendlicher erlebt hat, verarbeiten konnte, verweist er auf seine gute Resilienz – psychische Widerstandsfähigkeit. Viele Jahre seines Lebens hat er nicht über das Grauen von damals gesprochen, sogar seiner Frau verschwieg er es sieben Jahre lang. „Jetzt kann ich darüber sprechen“, sagt er. Heute geht er in die Schulen und beantwortet geduldig alle Fragen der Kinder. An diesem Tag fährt er wegen schmerzender Knie mit einem kleinen Wagen zwischen den Baracken und Backsteinbauten über die Wege, über die er einst in Häftlingskleidung von den Nazis getrieben worden war.

Die Gräueltaten der Nazis fanden in Auschwitz ihren Kristallisationspunkt. Schon 1940 trafen die ersten Züge mit polnischen Gefangenen ein. Experimente, mit Zyklon B Menschen zu systematisch zu vergasen, begannen 1941 – später wurde das Mittel zur Massenvernichtung eingesetzt. Die Krematorien in Auschwitz-Birkenau konnten bis zu 12.000 Körper in 24 Stunden verbrennen. Juden aus ganz Europa, Kriegsgefangene, politische Gefangene, Sinti und Roma, Homosexuelle und Zeugen Jehovas wurden dort vergast, erschossen oder durch Zwangsarbeit, Unterernährung, unbehandelte Krankheiten und medizinische Experimente in den Tod getrieben.

Als die russische Armee näherrückte, begannen die Nazis, die Spuren ihrer Verbrechen durch Sprengungen der Gaskammern und Krematorien zu verwischen und zwangen die Gefangenen auf die Todesmärsche Richtung Westen. Längst nicht alle Beweise konnten die Nazis verschwinden lassen. So fanden die Soldaten auch 7,7 Tonnen menschliches Haar der Ermordeten. Die Nazis nutzen es, um Stoffe daraus zu weben. Zwei Tonnen davon sind heute hinter Glas im Block 4 des Konzentrationslagers ausgestellt. Als die russischen Soldaten vor 75 Jahren das Lager befreiten, hätten sie nicht gewusst, welche Gräueltaten hinter den Zäunen geschehen waren, betont Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses bei der Gedenkveranstaltung.Knapp 200 Überlebende sind zum 75. Jahrestag zur Stätte ihres Leids und des Todes ihrer Verwandten gereist. Vier von ihnen berichten an diesem Tag in der Gedenkveranstaltung, zu der Monarchen, Staats- und Regierungschefs sowie Botschafter aus 50 Ländern gekommen sind, über ihr Schicksal. Nicht nur ihr hohes Alter und körperliche Gebrechen machen ihnen die Berichte schwer. Es ist die Erinnerung an das Grauen, die ihre Stimmen beben lässt. Doch der Wille, dass die Welt weiß, was geschehen ist, ist noch stärker. Auschwitz sei nicht vom Himmel gefallen, sagt der Überlebende Marian Turski. Unter dem Applaus des Publikums warnt er vor der Gleichgültigkeit antidemokratischer Entwicklungen und mahnt, dass man die Muster, die zu Auschwitz geführt haben, hätte erkennen können.

Für ein deutsches Staatsoberhaupt ist dieser Gedenktag in Auschwitz auf eine andere Art ein schwerer Gang. Die Weltöffentlichkeit verfolgt jeden Schritt, jede Verneigung, jedes Wort des Bundespräsidenten, seine Kranzniederlegung vor der schwarzen Mauer, sein Innehalten. 1200 Journalisten aus aller Welt sind in Auschwitz akkreditiert. Frank-Walter Steinmeier hat diesen Tag klug mit einem großen Bogen der Erinnerung von damals ins Heute und in die Zukunft vorbereitet. Es dürfe keinen „Schlussstrich unter das Erinnern geben“, sagte er vergangene Woche in der Gedenkstätte Yad Vashem. Der Bogen wird sich am Mittwoch im Bundestag schließen, wo Steinmeier mit seinem israelischen Amtskollegen Reuven Rivlin mit Jugendlichen über den Holocaust und das Gedenken sprechen wird.

Dass Steinmeier vor wenigen Tagen in Israel diese viel beachtete Rede zum Holocaust, zur deutschen Schuld und zur Notwendigkeit der Erinnerung für die Demokratie heute gehalten hatte, macht den Gang an diesem Tag ein wenig leichter. Die Welt weiß, dass der Bundespräsident die passenden Worte findet, die deutsche Schuld glasklar benennt und sich die daraus resultierende Verantwortung zu eigen macht. „Auschwitz ist ein Ort des Grauens und ein Ort deutscher Schuld“, schreibt er in das Gedenkbuch. Und auch die Sätze: „Wer den Weg in die Barbarei von Auschwitz kennt, der muss den Anfängen wehren. Das ist Teil der Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennt.“ Auschwitz sei die Summe von völkischem Denken, von Rassenhass und von nationaler Raserei, sagt der Bundespräsident auch noch nach seinem Rundgang durch das KZ. Und er mahnt: „Manchmal, wenn wir in diese Zeit schauen, haben wir den Eindruck, dass das Böse noch vorhanden ist.“ Der in Deutschland wieder wachsende Antisemitismus bereitet auch dem aus Ungarn stammenden Juden und Auschwitz-Überlebenden Gardosch Sorgen. Er verweist auf einen neuen bürgerlichen Antisemitismus, auf 80 Prozent der deutschen Bevölkerung, die das Gedenken an den Holocaust für nicht mehr notwendig hielten, und er spricht über durch die Flüchtlinge nach Deutschland eingetragenen muslimischen Antisemitismus.

Befreiung von Auschwitz: Weltweites Holocaust-Gedenken - Ein Eindruck
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Weltweites Gedenken der Holocaust-Opfer

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Foto: dpa/Damian Klamka

„Wenn nicht ein deutscher Schreiner die Tür der Synagoge in Halle so stabil gebaut hätte, wäre dort ein Massaker angerichtet worden“, sagt er mit Blick auf den Anschlag im vergangenen Jahr, bei dem der Angreifer nach seinem gescheiterten Versuch zwei Menschen außerhalb der Synagoge tötete. Gardosch mahnt eine Erinnerungskultur auch jenseits der Gedenktage an: „Die Beschäftigung mit diesem Thema muss eine permanente sein. Sagt euren Kindern: Das darf sich nie wiederholen.“

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