Rede zur Lage der Nation Trump und Pelosi verstoßen gegen das Mindestmaß an Höflichkeit

Washington · Vor einem zutiefst gespaltenen US-Kongress hält Präsident Donald Trump seine Rede zur Lage der Nation. Dabei verzichten Pelosi und Trump auf ein Mindestmaß an Höflichkeit.

 Präsident Donald Trump hält die jährliche Rede zur Lage der Nation.

Präsident Donald Trump hält die jährliche Rede zur Lage der Nation.

Foto: AP/Patrick Semansky

Es waren zwei Szenen, eine am Anfang und eine zum Schluss, die offenbarten, wie vergiftet das Klima derzeit in Washington ist. Wie zerrissen die amerikanische Union, deren Zustand die Präsidenten des Landes bei einem alljährlichen Ritual als stark charakterisieren, wobei Donald Trump sich wie so oft des Superlativs bediente und vom stärksten Zustand aller Zeiten sprach.

Bevor er die Lage der Nation skizzierte, reichte er Nancy Pelosi, seiner Widersacherin an der Spitze des Abgeordnetenhauses, eine Mappe mit dem Redemanuskript. So schreibt es das Protokoll vor, und protokollgemäß hat danach ein Handschlag zu folgen. Trump aber wandte sich brüsk ab, als die Demokratin ihm die Hand reichte. Am Ende rächte sich Pelosi für den Affront, indem sie sein Manuskript zerriss, als er noch am Pult stand, drauf und dran, es zu verlassen. Sie tat es nicht etwa zornig und aufgebracht, sondern mit langsamen Handbewegungen, mit einer gewissen Sorgfalt, die ihn wohl erst recht ihre Verachtung spüren lassen sollten.

Zwei grobe Verstöße gegen das Mindestmaß an Höflichkeit, das vor allem dürfte von dieser „State of the Union Address“ in Erinnerung bleiben. Ansonsten hielt Trump eine Wahlkampfrede, deren Zweck neun Monate vor dem Präsidentschaftsvotum allein darin bestand, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren – und den politischen Gegner auf eine Karikatur zu reduzieren. Die Blaupausen linker Rivalen wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren, die private Krankenversicherungen durch ein steuerfinanziertes System ersetzen wollen, erklärte er zur „sozialistischen Übernahme“, welche die amerikanische Gesundheitsfürsorge zerstören werde. Wer wie die Demokraten dafür sei, statt der eigenen Senioren lieber illegale Immigranten in den Genuss jener Gesundheitsfürsorge kommen zu lassen, polemisierte er, der möge sich mit der „radikalen Linken“ verbünden. In seiner Regie dagegen werde an der Grenze zu Mexiko die „längste, höchste und mächtigste“ Mauer gebaut, 500 Meilen bis Anfang 2021.

Mit welchem Plan Trump in die Wahlschlacht zu ziehen gedenkt, daran kann es nach diesem Auftritt keinen Zweifel mehr geben. In der roten, der republikanischen, Ecke ein Praktiker, der etwas von Ökonomie versteht, unter dem die Wirtschaft aufblühte und die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Wert seit den Sechzigerjahren sank. In der blauen, der demokratischen, eine Opposition, deren Experimente womöglich in einer sozialistischen Misswirtschaft enden, wie man sie am Beispiel Venezuelas studieren kann. So simpel, wie in einem Cartoon, hat es Trump am Dienstagabend skizziert. Die Wahl des ausländischen Ehrengasts sollte die Botschaft noch unterstreichen. Juan Guaidó, der venezolanische Oppositionsführer, war aus Caracas angereist, um sich mit stehenden Ovationen feiern zu lassen. „Der Sozialismus macht Nationen kaputt“, brachte der amerikanische Präsident sein Leitmotiv auf einen Satz.

Der Fernsehmann Trump, einst ins Rampenlicht gerückt durch die Reality-Serie „The Apprentice“, inszenierte eine Show voller Überraschungseffekte - auch dies noch vor wenigen Jahren undenkbar bei einer Rede zur Lage der Nation, die traditionell eher Programme beschreiben soll. Da war Rush Limbaugh, ein konservativ-populistischer Radiotalker, der sich rühmt, lange vor Trump gegen den Strich des politisch Korrekten gebürstet zu haben. An Lungenkrebs erkrankt, wurde ihm, scheinbar spontan, die „Medal of Freedom“ verliehen, der höchste zivile Orden der USA. Da war die schwarze Schülerin, die, ohne es vorher zu wissen, ein Stipendium bekam. Da war die Frau eines nach Afghanistan beorderten Soldaten, Mutter zweier Kinder, die plötzlich erfuhr, dass ihr Mann gleich auf der Tribüne erscheinen werde.

Auf eines hat der Präsident gleichwohl verzichtet: auf vorgezogene Triumphtöne in Sachen Impeachment, zu jenem Prozess, der am Mittwochnachmittag mit seinem Freispruch enden wird. Republikanische Senatoren hatten ihn händeringend gebeten, das Thema zu meiden, solange seine Entlastung noch nicht offiziell war. Verbal hielt sich Trump an den Rat, immerhin in dem Saal, in dem eine Mehrheit der Kongressabgeordneten vor Weihnachten eine Klage zur Amtsenthebung beschloss. Mit der einen Geste allerdings machte er alles zunichte, was besorgte Parteifreunde an Selbstbeherrschung und Zurückhaltung angemahnt hatten. Der verweigerte Handschlag für Nancy Pelosi, er war, ebenso wie ihre Retourkutsche, die eigentliche Nachricht des Abends.

(fh)
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