Luftangriff bei Kundus Dollars für tote Zivilisten

Düsseldorf (RP). Deutschland will die Angehörigen der Opfer des Luftangriffs bei Kundus entschädigen. Dass Geld fließt, ist zwar nicht neu. Die Praxis befindet sich aber bisher in einer rechtlichen Grauzone.

Fragen und Antworten zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan
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Foto: AP

Düsseldorf (RP). Deutschland will die Angehörigen der Opfer des Luftangriffs bei Kundus entschädigen. Dass Geld fließt, ist zwar nicht neu. Die Praxis befindet sich aber bisher in einer rechtlichen Grauzone.

Wie viel ist das Leben eines afghanischen Familienvaters wert? Wie viel das eines afghanischen Kindes? Mit solchen makaberen Fragen werden sich demnächst deutsche Regierungsbeamte beschäftigen müssen. Die Entscheidung, die zivilen Opfer des Luftangriff von Kundus finanziell zu entschädigen, wirft ein Schlaglicht auf eine üblicherweise sehr diskrete Praxis.


Denn was etwa bei Unfällen gängige Praxis ist ­ die zivilrechtliche Haftung des Verursachers ­ bleibt bei militärischen "Kollateralschäden" in einer rechtlichen Grauzone. Gezahlt wurden Entschädigungen schon häufig, allerdings meist nur von Fall zu Fall und unter der Hand. Andere Nationen haben damit seit langem Erfahrung. Für die Bundeswehr sind Entschädigungszahlungen dagegen Neuland.


Der erste bekannt gewordene Fall war ein tragisches Versehen: Beim UN-Einsatz im afrikanischen Somalia brach in der Nacht zum 21. Januar 1994 ein junger Einheimischer in das deutsche Feldlager in Belet Uen ein. Nach mehreren erfolglosen Warnschüssen zielte der Wachsoldat aus 130 Meter Entfernung auf die Beine des Einbrechers, traf ihn jedoch tödlich. Dies hätte die Verwandten nach den alten Stammesregeln zur Blutrache verpflichtet. Nach mühseligen Verhandlungen konnte die Bundeswehr den traurigen Zwischenfall aber friedlich beilegen, angeblich durch die Übergabe mehrerer Ziegen.


Auch in Afghanistan haben die Deutschen schon "Blutgeld" bezahlt. Nachdem im August 2008 an einer Straßensperre eine Frau und zwei Kinder von Bundeswehrsoldaten erschossen worden waren, vermittelte der Provinzgouverneur eine Versöhnung zwischen den Deutschen und der Familie der Opfer in Form einer Entschädigungszahlung. Über die Höhe wurde geschwiegen.

"Entschädigungen werden weltweit in völlig unterschiedlicher Höhe gezahlt", sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Christof Wellens, der 25 Hinterbliebenenfamilien des Pariser Concorde-Absturzes vom 25. Juli 2000 vertreten hat. Nach US-Recht werde etwa taxiert, was der Verstorbene in seinem Leben noch hätte erreichen können: "Das kann schnell in zweistellige Millionensummen gehen."

In der Dritten Welt gehe es dagegen um "unvorstellbar geringe Entschädigungen", weil sich die westliche Justiz dann auch an traditionellen Stammesregeln orientiere. Dabei würden je nach Todesfall konkrete Sachleistungen wie Hammel, Ziegen oder Kamele festgelegt, die auch Einheimische aufbringen können. Wenn Geld fließt, dann nur wenig. Nach der Chemie-Katastrophe im indischen Bhopal vor 25 Jahren erhielten die Angehörigen pro Todesopfer rund 600 Dollar. In Afghanistan sind nach Angaben des deutschen Nato-Generals Egon Ramms Entschädigungssummen um die 1000 Euro üblich.


Sollte es am Ende zu einem Zivilprozess über den Luftschlag von Kundus kommen, wären ebenfalls die Lebensbedingungen vor Ort maßgeblich: "Das deutsche Recht schätzt den Verlust für die Familie ein. Rentenansprüche für Ehepartner und Kinder werden berücksichtigt, Schmerzensgeld kann ebenfalls eine Rolle spielen", sagt Anwalt Wellens.


Sollte sich die Praxis der zivilrechtlichen Haftung auch für militärische Fehler durchsetzen, könnten Einsätze wie in Afghanistan freilich unabsehbare finanzielle Folgen nach sich ziehen. Einige Juristen hoffen indes, dass militärische Exzesse dadurch womöglich besser verhütet werden könnten als mit der bisher allein drohenden strafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen.

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