Umstrittene Autocomplete-Funktion Diskriminierung über Google — Bettina Wulff ist kein Einzelfall

Düsseldorf · "Frauen sollten Sklaven sein": Nicht nur Prominente oder Unternehmen sehen sich durch Googles Autocomplete-Funktion in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Auch Geschlechter und ethnische Gruppen werden durch die Suche offen diskriminiert.

UN startet Frauen-Kampagne gegen Google
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Der Bundesgerichtshof hat sich bereits damit beschäftigt, Bettina Wulff hofft in den nächsten Wochen auf ein Urteil zu ihren Gunsten: Groß war der Aufschrei um "Google Suggest", als der Name der Frau von Ex-Bundespräsident Christian Wulff im Zusammenhang mit den Begriffen "Prostituierte" und "Escort" im Suchfenster auftauchte. Doch seitdem ist es ruhig geworden um die Such-Funktion, die automatisch passende Begriffe vorschlägt.

Eine neue UN-Kampagne will die Debatte unter dem Twitter-Hashtag #womenshould neu entfachen. Die "Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women", eine Abteilung innerhalb der Vereinten Nationen, die sich um Gleichberechtigung bemüht, zeigt Plakate mit Frauen unterschiedlicher Herkunft, die anstelle des Mundes ein Google-Suchfenster haben. Darauf zu sehen: Suchanfragen mit "Frauen können nicht ...", "Frauen sollten nicht ...", "Frauen sollten ..." und "Frauen müssen ...". Die Vorschläge der Suchmaschine dahinter sind diskriminierend. Sie reichen von "Frauen sollten Sklaven sein" über "Frauen sollten keine Rechte haben" bis "Frauen müssen kontrolliert werden". Die Suchanfragen stammen laut der UN vom 9. März dieses Jahres. Zudem hat die UN ein Video auf Youtube veröffentlicht, das den gesellschaftlichen Rückschlag durch die diskriminierenden Suchvorschläge bei Google für Frauen verdeutlichen soll.

BGH-Urteil: Google musste Suchvorschläge löschen

Frauen wie Bettina Wulff können rechtlich gegen die Diskriminierung über die Autocomplete-Funktion vorgehen. Auch ein Unternehmer, der über Google mit den Begriffen "Scientology" und "Betrug" in Zusammenhang gebracht wurde und sich in seinen Persönlichkeitsrechten angegriffen sah, bekam Recht vor dem Bundesgerichtshof — Google musste die Wortkombinationen streichen. Die Kölner Kanzlei von Christian Solmecke, Anwalt für Internetrecht, bekommt pro Woche ein bis zwei Löschanfragen meist von Unternehmen, die von Google in den Kontext einer Insolvenz oder eines Betruges gesetzt werden und Beschwerde einlegen wollen. Solmecke schätzt die Chancen für Bettina Wulff, im Prozess zu gewinnen, gut ein. "Meiner Ansicht nach liegt hier eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vor, da die Begriffe 'Rotlicht' und 'Escort' in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Frau des Ex-Bundespräsidenten stehen", sagte der 40-Jährige unserer Redaktion.

Aber was passiert, wenn bei Google nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Gruppen verunglimpft werden? Das Unternehmen selbst sieht sich nicht in der Verantwortung und verweist auf die Meinungsfreiheit. Schließlich entstehen die Such-Vorschläge nicht von allein, sondern aus der Masse der von den Nutzern eingegebenen Suchanfragen. Die Vorschläge werden nach Angaben des Unternehmens anhand von verschiedenen Faktoren wie Beliebtheit oder regionaler Schwerpunkt berechnet. Entfernt werden lediglich Begriffe, "die in engem Zusammenhang mit Pornografie, Gewalt, Hassreden und Urheberrechtsverletzungen stehen", heißt es dazu von einem Google-Sprecher. Verstöße gegen diese Richtlinien könnten Nutzer schriftlich per Brief oder Fax melden. "Die betreffende Autovervollständigung wird dann von unserer Rechtsabteilung geprüft", so der Sprecher weiter.

Dass die Suchvorschläge aber nicht neutral zustande kommen, sondern einfach zu manipulieren sind, beweisen Versuche von Suchmaschinenexperten wie Brent Payne aus Chicago und Daniel Wette aus Köln. Payne zeigte, dass Vorschläge zu Namen mit wenig Suchvolumen leicht zu verändern sind. So gab er regelmäßig seinen eigenen Vor- und Nachnamen zusammen mit "manipulated this" ("manipulierte das”) im Suchfenster ein, bis Google ihm schließlich genau dieselbe Wortkombination zur Vervollständigung vorschlug.

Negativ-Spirale bei den Usern

Der Versuch von Wette, Geschäftsführer der Online-Marketingfirma Fairrank, geht noch ein Stück weiter. Bei seiner Studie erhielten 1000 Personen vier willkürliche Suchbegriffe (Personen und Unternehmen), bei denen Google jeweils genau einen negativen Suchvorschlag anzeigte. Die Probanden mussten die vier Begriffe nacheinander eingeben und anschließend Fragen dazu beantworten. Das Ergebnis: Wurde der Ausgangssuchbegriff mit einem negativ konnotierten Wort kombiniert, lag die Klickrate bei durchschnittlich fünf Prozent. Wurde der Suchbegriff mit einer positiven Konnotation versehen, sank die Klickrate auf nahezu null Prozent. Außerdem blieben die negativen Suchvorschläge länger im Gedächtnis.

User werden durch die Autocomplete-Funktion also in ihrem Suchverhalten und in ihrem Denken beeinflusst. Negative Informationen wirken gar wie ein Verstärker. Zu Ende gedacht, ergibt sich eine Art informationeller Zirkelschluss: Google stellt nicht nur dar, was Menschen suchen. Googles Darstellung dessen, was Menschen suchen, beeinflusst wiederum, was andere Menschen bei Google eingeben. Bezogen auf die Ergebnisse, die Google beim Begriff "women" ausspuckt, bedeutet das: Menschen, die Frauen mit ihren Suchanfragen diskriminieren, animieren andere Menschen dazu, auf die Verunglimpfungen zu klicken, das Suchvolumen damit zu erhöhen und die Auto-Vervollständigung somit in der Beliebtheit steigen zu lassen.

Erste Reaktion: Keine Autovervollständigung bei "Frauen"

Auch wenn andere Suchmaschinenbetreiber wie Yahoo oder Bing genauso in der Verantwortung stehen — Google wird mit einem Marktanteil von rund 90 Prozent in Deutschland und 66 Prozent in den USA mit Abstand am meisten genutzt. Also haben auch die Suchvorschläge hier ein viel größeres Gewicht, um es in die Köpfe der Menschen zu schaffen. Anscheinend hat der Suchmaschinenbetreiber zumindest in Deutschland aber reagiert. Laut Insidern gab es im November 2012 ein großes Update in der Autocomplete-Funktion, bei dem einzelne diskriminierende Suchphrasen aus den Vorschlägen herausgenommen wurden. Und sucht man heute beispielsweise auf google.de nach "Frauen”, so gibt es keinen einzigen Suchvorschlag. Rechtsanwalt Solmecke geht aber nicht davon aus, dass Google die Autocomplete-Funktion in Deutschland abstellt. Vielmehr habe das Unternehmen nach dem letzten BGH-Urteil gegen Google versucht, mit einer Anhörungsrüge gegen die Entscheidung vorzugehen. Das deute darauf hin, "dass sogar eine Verfassungsbeschwerde in Betracht gezogen wird."

(met)
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