Wieder Bluttat in den USA Die Waffenliebe der Amerikaner

Washington · Viele Bürger der USA haben eine besondere Beziehung zu ihren Waffen. Sie symbolisieren Freiheit, Sicherheit und Schutz vor Tyrannei. Manche definieren die gesamte Landesgeschichte über das Recht, Waffen zu tragen.

 Der Kunde eines Waffengeschäftes in Kansas informiert sich über das Angebot. (Archiv)

Der Kunde eines Waffengeschäftes in Kansas informiert sich über das Angebot. (Archiv)

Foto: dpa, Larry W. Smith

Fast jede Nation hat eine archaische Marotte, von der ihre Bürger partout nicht lassen wollen. Mal ist sie liebevoll-skurril wie der Kautabak Snus in Schweden, den die Europäische Union abschaffen wollte, mal ein grausames Ritual wie der Vogelfang in Italien, die Fuchsjagd in England oder der Stierkampf in Spanien. In Deutschland ist es die unbeschränkte Geschwindigkeit auf Autobahnen, an deren Begrenzung Politiker regelmäßig scheitern. Nicht nur eine Marotte, eher ein Grundgesetz ist das freie Recht der Amerikaner, Waffen zu tragen, festgelegt schon 1791 im zweiten Zusatz zur Verfassung. Die vielen Schusswaffen-Massaker, wie gerade jetzt wieder in Parkland, Florida, mit 17 Toten, können daran offenbar nichts ändern.

Fremder Begriff Gewaltmonopol

Für manche Amerikaner ist der zweite Zusatz (der erste betrifft übrigens die Meinungsfreiheit) der wichtigste Teil der Verfassung. In einem Land, das der Staatsgewalt mit größter Skepsis begegnet, ist der bewaffnete Bürger der Garant gegen eine tyrannische Obrigkeit. So hätten es die Verfassungsväter vorgesehen, behauptet der amerikanische Publizist und Satiriker Eric Hansen und fügt hinzu: "Ob wir es wollen oder nicht, historisch gesehen waren es Waffen, die uns zu Amerikanern machten." Ein Gewaltmonopol des Staates, wie es die Europäer kennen, ist den Amerikanern fremd.

Die Waffen haben die Entdecker und Siedler des Kontinents ständig begleitet. "Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass der Aufbruch in unbesiedeltes Terrain mehr als 250 Jahre angedauert hat - von den ersten Siedlungen am Atlantik bis zur Füllung der großen Lücke zwischen dem Mississippi und Kalifornien", meint der amerikanische Historiker Richard Slotkin. Auch die moderne US-Gesellschaft hat diesen Pioniergeist geerbt, der Vorstoß ins Unbekannte erfordert danach einen individuellen Schutz. "Das Bürgerrecht war verbunden mit dem Recht auf Waffenbesitz", meint der US-Wissenschaftler aus Connectitut, der als Guru der Siedlergeschichte gilt.

Hinzu kommt eine gewisse männliche Faszination für präzise Waffen, die in Amerika offenbar auch weit verbreitet ist. "In den USA definiert sich hegemoniale, weiße Männlichkeit über Selbstverteidigung und Freiheitsrechte", hat die Berliner Historikerin Dagmar Ellerbrock festgestellt, die sich mit Waffenkulturen in verschiedenen Ländern beschäftigt. Das gehe so weit, dass sich auch die schwarze Bürgerrechtsbewegung und in Teilen selbst feministische Frauen für den privaten Waffenbesitz starkmachten. Nur bewaffnete Frauen, so heißt es, seien wirklich emanzipiert. Denn sie könnten sich gegen männliche Übergriffe am effektivsten wehren.

Arsenale in privater Hand

In Europa ist eine solche Mentalität völlig unbekannt. Zwar gibt es auch hierzulande viele Jäger und Schützen, die Zugang zu Waffen besitzen. Aber das als Grundrecht einzufordern, käme nur wenigen Spinnern in den Sinn. Soziologen, Zivilisationsforscher und Historiker sehen im Gewaltmonopol des Staates einen wichtigen Schritt hin zu einer Zähmung menschlicher Gewalt. Der renommierte Psychologe Steven Pinker von der Harvard-Universität sieht in der Bildung von Staaten und der Verleihung des Gewaltmonopols an sie den wesentlichen Treiber dafür, dass die Menschen friedlicher zusammenleben. In mehreren Werken hat er nachgewiesen, dass die tödliche Gewalt in zivilisierten Staaten zum Teil drastisch abgenommen hat, einschließlich der Toten durch die Kriege.

Danach wäre der freie Waffenbesitz in den USA ein Beleg dafür, dass die amerikanische Gesellschaft in diesem Punkt zivilisatorisch stehengeblieben ist. Tatsächlich kommen auch bezogen auf die Bevölkerung in keinem entwickelten Staat so viele Menschen durch Schusswaffen ums Leben wie in den Vereinigten Staaten. So sterben unter einer Million Menschen jedes Jahr in den USA 30 Personen als Folge von Mordattacken mit Gewehren oder Pistolen. In Deutschland sind es gerade einmal zwei, in Japan ist die Zahl noch kleiner. Rund 42 Prozent des privaten Waffenbesitzes sind in der Hand der Amerikaner, obwohl ihre Bevölkerung nur vier Prozent aller Erdenbewohner ausmacht. Mehr als jeder dritte amerikanische Haushalt nennt nach einer Umfrage des Pew Research Center mindestens eine Feuerwaffe sein Eigen. Oft sind es ganze Arsenale, die sich Privatleute halten.

Nur 40 Prozent für eine Beschränkung

Doch Vorsicht, wenn es darum geht, die USA als notorisch gewalttätige Gesellschaft darzustellen. Tatsächlich ist die Zahl der Morde im Land seit den 1990er Jahren zurückgegangen, obwohl die Waffengesetze immer lockerer wurde. Das ist auch das stärkste Argument der National Rifle Association, der mächtigen Waffenlobby in diesem Land. Gegen sie wagt kaum ein Politiker ein Gesetz zu beschließen, selbst wenn er striktere Waffengesetze für sinnvoll erachtet.

Auch die Amokläufe an Schulen oder öffentlichen Plätzen machen trotz ihres Horrors nur einen Bruchteil der Todesfälle aus, die durch Schusswaffen herbeigeführt werden. 2016 waren es 456 Tote bei Massenerschießungen gegenüber fast 12.000, die insgesamt durch Waffengewalt das Leben ließen. Jeder Tote durch eine Schusswaffe ist ein Toter zu viel. Und außer Diskussion steht, dass liberale Waffengesetze zu einer signifikant höheren Todesrate führen als restriktive. Die Mehrheit der Amerikaner interessiert das weniger. Nur 40 Prozent sprachen sich in Umfragen für eine Beschränkung des Waffenbesitzes aus - trotz der schlimmen Massaker in Las Vegas, an der Grundschule Sandy Hook oder jetzt gerade in Parkland. Der Waffenbesitz, so findet der Publizist Hansen, sei eben ein Teil des amerikanischen Selbstverständnisses: "Deswegen legen wir die Waffe auch nicht aus der Hand, selbst wenn wir uns damit ins eigene Bein schießen."

(kes)
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