Nach den neuen Spionage-Vorwürfen Die USA, Berlin und das erschütterte Vertrauen

Berlin/Washington · 35 Top-Politiker im Visier der NSA, Angela Merkels Handy womöglich ausspioniert: Die Liste der Vorwürfe gegen die US-Geheimdienste wird immer länger – und die Verärgerung nicht nur in Europa immer größer. US-Präsident Barack Obama steht vor einem massiven Vertrauensproblem. Und das könnte letztlich auch den Vereinigten Staaten selbst schaden.

Angela Merkels souveräner Auftritt beim EU-Gipfel
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35 Top-Politiker im Visier der NSA, Angela Merkels Handy womöglich ausspioniert: Die Liste der Vorwürfe gegen die US-Geheimdienste wird immer länger — und die Verärgerung nicht nur in Europa immer größer. US-Präsident Barack Obama steht vor einem massiven Vertrauensproblem. Und das könnte letztlich auch den Vereinigten Staaten selbst schaden.

Eigentlich sollte es auf dem EU-Gipfel in Brüssel um ganz andere Dinge gehen, doch die neuesten Berichte rund um den US-Geheimdienst NSA prägten das Treffen. Zu sehr ist das Vertrauen in die USA erschüttert. Die Vorwürfe, das Handy der Kanzlerin könnte abgehört worden sein, sind nur ein Teil einer Liste, die immer länger zu werden scheint.

Da waren zuletzt die Berichte der französischen Zeitung "Le Monde", dass in Frankreich auch Politiker und Vertreter der Wirtschaft abgehört worden seien. Da waren die Vorwürfe, dass auch ranghohe mexikanische Regierungsbeamte bespitzelt worden seien. Und nun schreibt der britische "Guardian" auch noch, dass insgesamt 35 Top-Politiker im Visier der NSA gewesen seien. Manch einer in Berlin, Brüssel und den anderen europäischen Regierungssitzen wird sich in diesen Tagen frage, was da noch kommen möge.

Genau darin liegt das Problem für Obama und seine Regierung: Insbesondere Deutschland hatte Antworten erwartet in Bezug auf die Spionage-Affäre, doch stattdessen gab es immer wieder neue Vorwürfe in Richtung NSA. Washington versucht zwar, zu beschwichtigen, doch die Einbestellung der US-Botschafter in Berlin, Paris und auch Mexiko-City zeigt, wie ernst die Lage ist. Nun sollen Merkel und der französische Staatspräsident Francois Hollande bis Ende des Jahres ein Übereinkommen mit den USA erzielen über die Zusammenarbeit der Geheimdienste.

Carney: Es gibt "einige Spannungen"

Es könnten schwierige Gespräche für die USA werden, auch wenn sich Washington nach wie vor zugeknöpft in Bezug auf die Vorwürfe gibt. Regierungssprecher Jay Carney sagte, er werde spezifische Vorwürfe zu Geheimdienstaktivitäten nicht kommentieren. Und auch in Bezug auf Merkel hatte die US-Regierung nur erklärt, dass sie die Handy-Aktivitäten der Kanzlerin in der Gegenwart und der Zukunft nicht überwache. Was mit der Vergangenheit ist, wurde ausgeblendet.

Bei Gesprächen mit Hollande und Merkel allerdings dürfte es für Obama und Co. schwieriger werden, sich zugeknöpft zu geben. Denn die internationalen Partner erwarten jetzt vor allem eines: Antworten, die es schaffen, das massiv gestörte Vertrauensverhältnis wieder einigermaßen herzustellen. Dass in dieser Hinsicht einiges kaputt gegangen ist, gibt dann doch so mancher in Washington zu.

So sagte Obamas Beraterin in Fragen des Heimatschutzes und der Terrorismusabwehr, Lisa Monaco, in der "USA Today" dass sie ihr Land vor "erheblichen Herausforderungen" sehe, dies betreffe "unsere engsten ausländischen Partner". Und sie verteidigte die Arbeit der Geheimdienste zugleich, die Auflagen für diese seien noch höher als in jedem anderen Land. Auch Carney räumte ein, dass die Beziehungen zu wichtigen Alliierten beschädigt seien. Es gebe "einige Spannungen". Die USA nähmen die Sorgen der Verbündeten ernst.

Noch sind es nur Worte, aber für die USA könnte am Ende einiges auf dem Spiel stehen. Denn aus der Europäischen Union kommen bereits Forderungen nach Konsequenzen — und die dürften auch wirtschaftliche Folgen für die USA selber haben. Denn nicht nur, dass das schon vor Bekanntwerden der "Causa Merkel" das Europaparlament die Kündigung des Swift-Abkommens gefordert hatte (es schuf die Rechtsgrundlage dafür, dass US-Fahnder im Falle eines Terror-Verdachts Informationen über Überweisungen von Europäern ins nicht-europäische Ausland abfragen können) und dies im Ernstfall vielleicht sogar durchgesetzt wird, die Forderungen betreffen auch die Verhandlungen mit den USA in eine andere Richtung.

Die Frage nach dem Freihandelsabkommen

Und das betrifft das Freihandelsabkommen, das eigentlich beiden Seiten sehr am Herzen liegt. Dabei geht es um die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone. EU-Parlamentschef Martin Schulz aber hatte jetzt verlangt, die Gespräche mit Washington erst einmal auszusetzen. "Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen", sagte der SPD-Politiker. Belgiens Regierungschef Elio Di Rupo äußerte sich allgemeiner und sagte: "Es sind nun europäische Maßnahmen nötig."

Diese Rufe bleiben in den USA alles andere als ungehört, auch wenn sich Washington sich sonst recht zugeknöpft gibt. US-Sprecher Carney betonte: "Wir denken natürlich, dass die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft äußerst wichtig für die USA ist — und für die Partner, mit denen wir daran arbeiten." Schließlich wird durch das Abkommen auch mit der Schaffung Hunderttausender neuer Arbeitsplätze gerechnet. Eine Drohung in Bezug auf die Verhandlungen werden die USA also nicht allzu leicht abtun können.

Doch wie sehr sich Washington letztlich doch in die Karten schauen lässt, hängt sicherlich auch davon ab, ob Berlin, Paris und Brüssel diesmal tatsächlich den nötigen Druck aufbauen werden. Die Äußerungen der europäischen Politiker lassen dies zumindest vermuten.

mit Agenturmaterial

(das)
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