Merkel und Kurz Der Kanzler konspiriert gegen die Kanzlerin

Wien · Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz hat kein Problem damit, ein doppeltes Spiel zu spielen. Die Regierungskrise in Berlin kommt ihm gerade recht – sein Ziel ist die europäische Meinungsführerschaft in der Migrationspolitik. Sein merkelkritischer Kurs ist eine Art Gesellenstück auf dem Weg dorthin.

 Österreichs Bundeskanzler Sebastian und Kurz und seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel am Dienstag in Berlin.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian und Kurz und seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel am Dienstag in Berlin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Sein Musterschüler-Habitus, seine Freundlichkeit und das weiche jugendliche Gesicht täuschen: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ein kühler und wendiger Machtpolitiker, der Vorteile und Chancen zur Machtvermehrung und Selbstprofilierung nutzt, wo und wann immer sie sich ihm bieten. Die deutsche Regierungskrise kommt ihm gerade gelegen: Von einem Sturz der Bundeskanzlerin erhofft sich Kurz, die Themenführerschaft in der europäischen Migrationspolitik zu erobern.

Kurz beweist immer wieder, dass er problemlos auf zwei Gleisen in die jeweils andere Richtung fahren kann, so auch zuletzt bei seinem Besuch in Deutschland. Erst beschwor er bei Angela Merkel in salbungsvollen Worten die Dringlichkeit einer „europäischen Lösung“, nur um Stunden später offen Sympathie für Innenminister Horst Seehofers „Masterplan“ zu bekunden, der Merkel das genaue Gegenteil, nämlich ein nationales Grenzregime, aufzwingen will.

Er sei froh, so Kurz, dass er in Seehofer „einen starken Partner“ habe. Wäre der Chef der konservativen ÖVP für eine europäische Lösung, was ihm als künftigen EU-Ratsvorsitzenden gut anstünde, hätte er dieses Kompliment Merkel gemacht. Hat er aber nicht. Merkel, die glaubte, in Kurz „einen starken Partner“ zu haben, musste sich schlicht hinters Licht geführt fühlen, als sie aus München vernahm, dass der Kanzler gegen sie auch noch eine „Achse der Willigen“ von Berlin über Wien nach Rom schmieden will und dafür Seehofers wohlwollende Zustimmung bekam. Schwer zu glauben, dass Kurz nicht klar ist, dass er damit Merkels Position schwächt.

Der historisch belastete Vergleich mit der „Achse“ zwischen Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien wird in Österreich nur am Rande zur Kenntnis genommen. Kritiker hatten freilich schon bei früheren Gelegenheiten angemerkt, dass dem erst 31-jährigen Kanzler schlicht das Geschichtsbewusstsein fehle, um die Fragwürdigkeit dieser Metapher zu erkennen. Kurz ist das herzlich egal: Hauptsache, es dient seinen politischen Zielen.

Der Frage, welchen Vorteil Österreich aus einem Bündnis mit Seehofer ziehen könne, weicht Kurz aus. Wenn Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden, müsste er sich der Problematik stellen, dass die meisten nach Österreich abgeschoben würden. Weil dies nicht im Interesse Österreichs sein kann, müsste er Seehofers „Masterplan“ ablehnen. Aber Seehofer ist ja sein Verbündeter.

Also versucht der Kanzler, mit München und Rom ein Bündnis gegen Merkel zu schmieden. Doch das wiederum bedeutet, dass er als Christdemokrat keine Angst haben dürfte, sich auch mit europäischen Rechtsradikalen zu verbünden. Zu Hause ist er bereits ein Bündnis mit der rechten FPÖ eingegangen, ohne die er nicht Kanzler geworden wäre.

Jetzt will Kurz den EU-Ratsvorsitz im nächsten Halbjahr nutzen, endlich in den erlauchten Kreis der führenden Regierungschefs aufgenommen zu werden – als Mitverschwörer gegen die Bundeskanzlerin legt er dafür gerade seine Reifeprüfung ab.

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