Blog aus Afghanistan - Tag Drei Die Nacht im Feldlager

Daschtak (RP). Unser Redaktionsmitglied Helmut Michelis bereist zurzeit erstmals Afghanistan. Auf Einladung der amerikanischen Mission bei der Nato besucht er mehrere Provinzen. In seinem Online-Blog berichtet er von Tag Drei seiner Erlebnisse.

Helmut Michelis in Afghanistan - Tag Drei
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Helmut Michelis in Afghanistan - Tag Drei

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Wo ist bloß mein Zelt? Zunächst erfolglos irre ich durch das amerikanische Camp in Daschtak in der afghanischen Provinz Pandschir. Rasant, deutlich schneller als in Europa, ist es stockfinster geworden. Alle dürfen nur schwaches Rotlicht benutzen — aus Sicherheitsgründen. Denn ringsherum sind Berge, das Lager lässt sich von dort unbehaglich gut einsehen. Untergebracht bin ich in einem großen Zelt, draußen brummt der Generator.

Die Wanderschuhe nehme ich vorsichtshalber mit in den Schlafsack. "Ich hatte morgens einmal eine große Kamelspinne darin", warnt mich eine amerikanische Soldatin. Auch Skorpione schlüpften gern nachts in die Stiefel neben dem Feldbett. Meinen Rucksack schließe ich daraufhin lieber sorgfältig und hänge ihn an eine Zeltstange. Gewöhnungsbedürftig auf meiner Tour ist auch die kugelsichere, recht schwere Weste: An Stift und Ausweise in Hemd oder Jacke kommt man nach dem Anlegen nicht mehr heran.

Die Fahrt führt am Morgen in die Provinzhauptstadt Basarak. Für afghanische Verhältnisse ist die rund 60 Kilometer lange Alphaltstraße, die sich durch ein Gebirgstal schlängelt, ein echter Luxus. Sie hat die Entwicklung der Region massiv gefördert. Entlang der von der amerikanischen Hilfsorganisation USAid bezahlten Lebensader reihen sich zahlreiche Geschäfte, Schulen und Verwaltungsgebäude.

"Seitdem laufen die Geschäfte sehr gut, es geht erkennbar aufwärts", sagt Rostam (39), der in Anaba einen kleinen Laden für Motorrad-Ersatzteile betreibt. "Ich bin früher stundenlang mit dem Esel zur Schule geritten. Der Unterricht fand im Freien statt, ein Gebäude hatten wir noch nicht", berichtet Karsad (55). "Diese neue Straße ist ein Segen für uns. Allerdings müssen die Leute noch lernen, sie richtig zu benutzen. Die Autofahrer sind viel zu schnell unterwegs."

Nicht nur das: Afghanischer Straßenverkehr erinnert mich an den Autoscooter auf der Kirmes, wo es ebenfalls keine Regeln gibt. Die Fußgänger, vor allem die Kinder, sind sich der Gefahr offensichtlich gar nicht bewusst und gehen häufig nicht einmal zur Seite. Zu rasanten Bremsmanövern zwingen auch Ochsen oder Ziegen. Im Straßengraben liegt ein weißer Pkw, offenbar Opfer eines Ausweichsversuchs.

Vorzeige-Provinz Pandschir

Pandschir — eine malerische Gebirgslandschaft - ist eine Vorzeige-Provinz, vielleicht sogar die erste, deren Sicherheit ab 2011 ganz in afghanische Hände zurückgegeben werden kann. Die amerikanischen Helfer und Militärs, die das Provinz-Wiederaufbau-Team bilden, können sich ganz auf ihre Unterstützungsrolle konzentrieren.

Denn für die Sicherheit sorgten die wachsamen Bewohner selbst: Es sind mehrheitlich Tadschiken, die auf die Paschtunen (die radikal-islamischen Taliban-Kämpfer rekrutieren sich mehrheitlich aus diesem Volksstamm) nicht gut zu sprechen sind. Sie hätten, ebenso wie die Russen vorher, Pandschir niemals ganz erobern können. Unzählige Panzerwracks sind die rostigen Zeugen, dass hier heftige Kämpfe stattgefunden haben.

So bewachen die Afghanen auch das US-Feldlager mit dem kernigen Namen "Löwennest". Die amerikanischen Soldaten haben andere Aufgaben übernommen — wie Oberstleutnant Jeff Casada (45). Der Reservist ist Agrarwissenschaftler an der Universität von Kentucky und hilft neun Monate bei der Ausbildung der örtlichen Landwirte. 11.500 Bauern sind in diese Projekte eingebunden. Ob sein Arbeitgeber wegen der langen Abwesenheit nicht sauer sei, will ich wissen. ""Im Gegenteil", meint Casada. "Die Universität hat vorher sogar mein gesamtes Team geschult."

In Absprache mit der Bevölkerung betreuen und bezahlen die Amerikaner zahlreiche Projekte von der Wiederaufforstung der Region und der Gründung von Fischfarmen über den Bau einer Windkraftanlage bis hin zur ersten Radiostation für Frauen. Unterwegs begegnen mir viele Schulkinder, darunter größere Gruppen von Mädchen, was unter der Herrschaft der Taliban strikt verboten war. Ein ungewöhnliche Erfolgsstory ist die "Operation Polaroid": US-Soldaten fotografieren Familien und Kinder und schenken ihnen die Bilder. Da kaum ein Afghane einen Fotoapparat besitzt, wird diese vertrauensbildende Aktion besonders begeistert aufgenommen. Das erklärte Ziel aller Anstrengungen: Die Provinz soll so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen, wie es der Nato-Plan bis 2014 vorsieht.

Das gefällt Gouverneur Kiramudin Karim allerdings gar nicht: "Es ist noch zu früh für eine solche Übergabe", warnt er. "Die Gefahr ist zu groß, dass die Taliban zurückkommen. Erst müssen die afghanische Armee und die Polizei mehr verstärkt werden." Einsilbig wird Karim auf meine Frage, ob er den Kurs von Präsident Hamid Karsai unterstütze, auch mit den radikal-islamischen Taliban zu verhandeln: "Wir unterstützen die Regierung in Kabul im ihrem Bestreben, einen Waffenstillstand herbeizuführen", antwortet er diplomatisch.

Das dürfe allerdings nicht zu gesellschaftlichem Rückschritt führen. Beim Thema Sport wird Karim, ehemaliger Präsident des afghanischen Fußballverbandes, dagegen lebhaft: "Ja, die Kontakte mit Deutschland helfen uns viel. Afghanische Spieler sind sehr talentiert. Bis unser Land allerdings bei der Weltmeisterschaft erfolgreich sein kann, ist noch ein langer Weg zurückzulegen." Dann schwenkt der Gouverneur zurück zur Politik: "Bitte sagen Sie den Europäern, dass sie nicht gehen sollen. Wir brauchen dringend ihre Unterstützung."

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