Bundespräsident auf Israel-Reise Die heikle Mission des Joachim Gauck

Berlin · Die Erwartungen an Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem ersten offiziellen Staatsbesuch sind groß. Die israelische Öffentlichkeit erwartet eine klare Stellungnahme zum Holocaust.

Gauck entlässt Röttgen als Umweltminister
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Als Joachim Gauck wenige Tage vor seiner Wahl zum elften deutschen Bundespräsidenten darüber nachdachte, wovor er am meisten Respekt verspürte, stand für ihn schnell fest: Es sind weniger die vor ihm liegenden Treffen mit gekrönten und ungekrönten Staatsoberhäuptern, die ihm auf der Seele liegen — es ist vielmehr die übergroße Erwartungshaltung im In- und Ausland, die Last der Hoffnungen nach zwei mehr oder minder gescheiterten Präsidentschaften.

Seit dem 18. März zählt jede Geste, jede Bemerkung, jedes Wort. Die mit Abstand größte Bewährungsprobe seit seinem Amtsantritt erwartet ihn Dienstag: Am Vormittag wird der ehemalige Rostocker Pastor das Archiv der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchen, am Abend hält er auf Einladung des israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres bei einem Staatsbankett eine Rede.

Seine Gastgeber werden aufmerksamer denn je zuhören. Denn die israelische Öffentlichkeit hat sehr wohl eine aktuelle Umfrage zur Kenntnis genommen, wonach mittlerweile 70 Prozent der Deutschen Israel als einen rücksichtslosen Staat betrachten. Hinzu kommt, dass einige Kritiker Gaucks ihm vor einigen Monaten den in Deutschland schlimmstmöglichen Vorwurf gemacht haben: Er relativiere den Massenmord der Nazis an den Juden. Die "taz" glaubte Gaucks Überlegungen treffend zusammenzufassen, als sie schrieb: "Einfach ausgedrückt, lautet sein Gedankengang: Ja, es gab den Holocaust, wir wollen ihn nicht vergessen, aber bitte schön nicht übertreiben und die Kirche im mecklenburgischen Dorf lassen."

Um es vorwegzunehmen: Die Vorhaltungen sind absurd. Aber es lohnt sich, die Gedanken Gaucks über die notwendige Erinnerungskultur der Deutschen nach dem Massenmord an den europäischen Juden zu analysieren. Gaucks zentrale Botschaft lautet: Durch die Suche unserer postreligiösen Gesellschaft nach dem absolut Bösen drohe eine "Entweltlichung des Holocaust", das Geschehen werde "in seiner Einzigartigkeit überhöht". Also doch eine Relativierung, eine Abschwächung?

Das Gegenteil ist der Fall. Joachim Gauck warnt davor, den Völkermord in eine "Dimension der Absolutheit" zu entrücken. Denn damit würden die nationalsozialistischen Untaten dem rationalen Verständnis entzogen. Es reiche nicht aus, die Verbrechen zu verdammen und zu verfluchen — gleichzeitig sei eine nüchterne Analyse unabdingbar, um eine Wiederholung zu verhindern.

Joachim Gauck pflichtet dem jüdisch-polnischen Soziologen Zygmunt Baumann bei, der davon überzeugt ist, dass eine Verschiebung des Holocaust in eine nicht-weltliche Sphäre eine "potenzielle suizidale Blindheit" zur Folge hätte.

Warum? Weil der Betrachter durch das Entschwinden des Holocaust auf eine "quasi-religiöse Ebene" verkenne, dass die Bestialität der Täter ein "Produkt dieser Zivilisation" sei. Man müsse, wie es bereits Raul Hilberg formuliert habe, immer das "Unvorstellbare einkalkulieren".

Humanität, betont Joachim Gauck, ist nie im sicheren Hafen. "Unsere Zivilisation ist nicht Geschichte im Endstadium, sondern vorübergehend gesicherte Existenzform." Gauck ist kein Relativierer, der die Einzigartigkeit des Holocaust infrage stellt. Er tritt als Mahner auf: "Uneingestandene Schuld macht befangen. Wahrheit befreit."

Dass den Deutschen mit Blick auf Israel eine besondere Verantwortung zukommt, steht auch für Gauck außer Frage. Für Deutschland sei der Judenmord "das Schwarze Loch der Geschichte". Für immer. Nicht nur die Täter, auch deren Nachkommen hätten die "strafrechtliche, die moralische und die metaphysische Schuldbearbeitung als Folgelasten zu tragen".

Wie schon seine Vorgänger wird auch der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Gauck bei seinem ersten Staatsbesuch in Israel unterstreichen, dass die Solidarität Deutschlands mit Israel Teil des deutschen Selbstverständnisses ist und bleibt.

Joachim Gauck glaubt nicht an die Gefahr einer "Relativierung der deutschen Schuld", er hält diese Sorge sogar für "überflüssig". Denn Deutschland hat seiner Überzeugung nach, von den Rechtsextremen abgesehen, eine nachhaltige geistige Gesundung hinter sich. "Nachdem Deutschland nicht mehr vor der eigenen Schuld geflohen ist, braucht es auch die eigenen Traumata nicht mehr zu verstecken oder einzuhegen."

(RP/nbe/rm)
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