Jerusalem Die Hauptstadt aller Konflikte

Washington/Düsseldorf · Jerusalem gilt drei Weltreligionen als heilige Stadt, und ihr Status ist seit Jahrzehnten die brisanteste Frage im israelisch-palästinensischen Konflikt. Indem sich der US-Präsident auf eine Seite schlägt, bricht er ein Tabu.

Ein Blick auf die Jerusalemer Altstadt. (Archiv)

Ein Blick auf die Jerusalemer Altstadt. (Archiv)

Foto: dpa, jwh ss hpl

Keiner Stadt auf diesem Planeten wird solch glühende Verehrung zuteil wie Jerusalem. Die Stadt ist Juden, Christen und Muslimen heilig - das ist kein leichtes Schicksal. Über Jahrhunderte provozierte der Streit um die Kontrolle über Jerusalem immer wieder verbissene Konflikte und blutige Kriege. Zuletzt geriet die Stadt zum Zankapfel im israelisch-arabischen Konflikt. Der künftige Status Jerusalems ist eine der zentralen Streitfragen zwischen Israel und den Palästinensern. Während des Sechstagekriegs 1967 hatte Israel auch den arabisch geprägten Ostteil der Stadt erobert und beansprucht seither ganz Jerusalem als seine "ewige und unteilbare Hauptstadt". Den Anspruch der Palästinenser auf den Ostteil als künftige Hauptstadt eines Palästinenserstaats lehnt Israel ab. Aber bisher galt diese Frage gemeinhin als Bestandteil der Verhandlungsmasse auf dem Weg zu einem umfassenden Friedensabkommen in Nahost. Bis gestern.

Bis zum Alleingang von Donald Trump, bis zu seiner Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft aus Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Es ist ein Paukenschlag mit unabsehbaren Folgen, an dem auch das Bemühen von Trumps Beratern nichts ändert, die Tragweite dieser Ankündigung sogleich herunterzuspielen. Beides ändere nichts an den Leitlinien amerikanischer Nahostpolitik, betonen sie. Washington bleibe einer Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern verpflichtet. Den endgültigen Status Jerusalems zu regeln, sei Sache von Friedensverhandlungen. Trump bestätige lediglich, was längst Realität sei: Jerusalem sei nun mal die Kapitale Israels, die wichtigsten Institutionen des Staates hätten dort ihren Sitz. Trump ist der Erste im Oval Office, der das so sieht. Nicht zufällig haben seine Vorgänger 22 Jahre lang an einem Prozedere festgehalten, das sich alle sechs Monate wiederholte und längst diplomatische Routine geworden war. Theoretisch hätten sie einem 1995 vom Kongress verabschiedete Gesetz, dem "Jerusalem Embassy Act", folgen und die Botschaft in die Heilige Stadt verlegen müssen. Ob Bill Clinton, George W. Bush oder Barack Obama - in der Praxis umgingen sie das Gesetz, indem sie alle sechs Monate erklärten, im Interesse der nationalen Sicherheit auf seine Umsetzung zu verzichten.

Im Wissen um die Emotionen, die ein dermaßen umstrittener symbolischer Schritt in einer mit Symbolik derart überladenen Stadt wie Jerusalem auslösen kann, hatten die US-Parlamentarier das Hintertürchen seinerzeit ausdrücklich offengelassen. Trump ist der Erste, der sich des eleganten Auswegs nicht mehr bedienen mag und stattdessen durchzieht, was er seinen Anhängern lautstark im Wahlkampf versprach.

Denn hier liegt das wichtigste Motiv für Trumps politischen Schwenk. Für evangelikale Christen, die anfangs fremdelten mit dem in dritter Ehe verheirateten Bauunternehmer, ist uneingeschränkte Loyalität gegenüber Israel und dem Kabinett Benjamin Netanjahus fast so etwas wie das elfte Gebot. Auch wenn das Thema Jerusalem bei Trumps Duell gegen Hillary Clinton allenfalls eine Nebenrolle spielte, für diese Wählergruppe ist es ein wichtiges. Den Ausschlag, berichten amerikanische Medien, hätten schließlich Netanjahus Geschichtsvorträge gegeben. Der israelische Ministerpräsident habe Trump davon überzeugt, dass das Weiße Haus einen historischen Fehler korrigiere, wenn es die US-Botschaft in Jerusalem ansiedele. Hinzu kommen einzelne Mäzene mit ihren Interessen, allen voran Sheldon Adelson, ein Casino-Mogul, der ganz auf der Linie Netanjahus liegt und 25 Millionen Dollar für ein Aktionskomitee zur Unterstützung Trumps spendete. Adelson, schreibt die "New York Times", soll ungehalten reagiert haben, als der Präsident im Juni nicht anders handelte als seine Amtsvorgänger und die Verlegung der Mission nach Jerusalem um die üblichen sechs Monate vertagte.

Diesmal schiebt er den Schritt nochmals um ein halbes Jahr auf, allerdings soll es das letzte Mal gewesen sein. Im Unterschied zu Clinton, Bush und Obama wies Trump seinen Außenminister an, den Umzug einzuleiten, und das ist das Entscheidende. Trump bricht ein Tabu und torpediert damit obendrein die eigenen Verhandlungsbemühungen. Sein Schwiegersohn Jared Kushner ist seit Monaten als Nahostvermittler in der Region unterwegs. Die USA versuchen, auf der Suche nach dem von Trump versprochenen "ultimativen Deal" zwischen Israel und den Palästinensern verbündete arabische Staaten wie Saudi-Arabien und Jordanien einzubinden. Offenbar nicht ganz erfolglos: Angeblich hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im November einen neuen Friedensplan vorgelegt, der den Palästinensern enorme Zugeständnisse abverlangt, darunter auch den Verzicht auf Ostjerusalem als künftige Hauptstadt. Noch nie ist die führende arabische Regionalmacht den israelischen (und amerikanischen) Vorstellungen so dramatisch entgegengekommen.

Doch Trumps Vorpreschen nötigte die Saudis umgehend zu lautem Protest. In Riad müssen sie sich gewaltig düpiert vorkommen. Ein Kompromiss in der brisanten Jerusalem-Frage scheint damit ferner zu liegen denn je.

(RP)
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