Ein Jahr danach Die Folgen der Krim-Eroberung

Kiew · Die russische Annexion der Halbinsel vor einem Jahr hat zu einer neuen politischen Eiszeit zwischen Russland und dem Westen geführt, deren Folgen noch längst nicht absehbar sind.

Russische Kriegsschiffe im Februar 2014 in Sewastopol, dem Hafen der Schwarzmeerflotte, auf der Krim.

Russische Kriegsschiffe im Februar 2014 in Sewastopol, dem Hafen der Schwarzmeerflotte, auf der Krim.

Foto: dpa, wst

Ein Überraschungsangriff war es nur für den Westen: Am 16. März 2014 vollendete eine zweifelhafte Volksabstimmung mit einer angeblich überwältigenden Zustimmung zum Anschluss an Russland die blitzschnelle Annexion der Halbinsel Krim. Es war keine spontane Aktion, sondern basierte auf einem lange vorbereiteten Operationsplan: Bewaffnete Militärs ohne Hoheits- und Dienstgradabzeichen besetzten zeitgleich alle strategisch wichtigen Punkte wie den Flughafen, sperrten die ukrainischen Soldaten in ihren Kasernen ein und kontrollierten den Zugang zum Parlament.

Die "grünen Männchen", wie sie die Bevölkerung nannte, wurden erstmals am 27. Februar 2014 auf der Krim gesehen und von westlichen Reportern schnell als russische Elitesoldaten enttarnt. Mindestens ein ukrainischer Soldat wurde erschossen, ein Aktivist der Krimtataren-Minderheit entführt, gefoltert und ermordet. Doch noch am 4. März behauptete Präsident Wladimir Putin in einer Pressekonferenz, er wisse gar nicht, woher diese "grünen Männchen" stammten, und Moskau ziehe eine Annexion der Krim nicht in Betracht.

Nur zwei Wochen später unterzeichneten Putin und die neue prorussische Führung aus Simferopol jedoch in Moskau den Vertrag über den Beitritt der "Republik Krim" zu Russland. Und ein Jahr später prahlte der Kreml-Chef dann sogar im russischen Fernsehen damit, in einer Nachtsitzung selbst den Befehl zur "Rückholung der Krim zu Russland" erteilt zu haben.

60 Prozent Russen, 25 Prozent Ukrainer

Auf der Halbinsel, flächenmäßig fast so groß wie Belgien, leben rund zwei Millionen Menschen, davon 60 Prozent Russen und 25 Prozent Ukrainer. Moskau begründete sein Eingreifen mit der Notwendigkeit, die mehrheitlich russische Bevölkerung auf der Krim vor den damaligen Unruhen in der Ukraine schützen zu müssen. Zudem befindet sich eine große russische Flottenbasis in Sewastopol.

Tatsächlich wird die Mehrheit der Krim-Bewohner, wenngleich mutmaßlich nicht die behaupteten 97 Prozent, den Anschluss an Russland begrüßt haben. "Das Vaterland hat seine Arme für euch weit geöffnet und euch in sein Haus hereingelassen als leibliche Töchter und Söhne", hatte Putin am 10. Mai bei seinem Besuch Sewastopols pathetisch ausgerufen. "Das Jahr 2014 wird in die Geschichtsbücher unseres Landes eingehen."

Doch bei allem Verständnis für die russische Position: Die Annexion der Krim war ein bewusster Bruch internationalen Vereinbarungen und hat deshalb für eine neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen gesorgt. Im Budapester Memorandum vom Dezember 1994 hatten sich die USA, Großbritannien und Russland als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht der Ukraine verpflichtet, die Souveränität und die bestehenden Grenzen des neutralen Landes sowie dessen politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu achten. Nun ist Vertrauen zerstört, die europäische Friedensordnung wankt, es wird aufgerüstet. Russland droht neuerdings sogar damit, auf der annektierten Halbinsel Krim Atomwaffen zu stationieren.

Die Fronten sind verhärtet

Der Gegensatz scheint nicht auflösbar: Russland betont, eine Rückgabe der Krim sei nicht diskutabel, der Westen hält sie für eine Grundvoraussetzung, um wieder zu einem normalen Verhältnis zurückkehren zu können. Die Fronten haben sich verhärtet, aus der Krim-Krise ist längst ein Ukraine-Konflikt geworden. Und die Sorge ist groß, dass es nicht dabei bleibt: Putin macht keinen Hehl daraus, dass er die Auflösung der alten Sowjetunion bedauert und deren damaliges Einflussgebiet als das heute für Russland gültige ansieht.

Geostrategisch betrachtet, versucht der Kreml-Chef, den nach eigenen Feststellungen "historischen Fehler" zu revidieren. Es wird also aufmerksam zu beobachten sein, ob nach der Krim und Teilen der Ost-Ukraine in den nächsten Monaten doch noch Mariupol fällt, die Halbinsel damit einen Landanschluss an Russland erhält und im nächsten Schritt Transnistrien und Gaugasien in der Republik Moldau sowie im Norden Kaliningrad (Königsberg) gewaltsam wieder angeschlossen werden.

Zum Jahrestag des Krim-Beitritts zu Russland hat die russische Armee landesweite Manöver mit Beteiligung Tausender Soldaten begonnen, auch auf der Krim selbst und in besetzten Gebieten Georgiens, um den Machtanspruch Moskaus auf diese Bereiche der früheren Sowjetunion zu unterstreichen. Dabei ist die Geschichte der Krim nicht ur-russisch, sondern wechselhaft: Jahrhundertelang wurde sie von Griechen, Türken oder Tataren beherrscht, nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie zunächst zu Russland.

1954 schenkte der damalige Präsident Nikita Chrustschow die Halbinsel der Ukrainischen Sowjetrepublik; nach dem Zerfall der UdSSR erklärte sich die Ukraine 1991 samt Krim für unabhängig. 1992 verhinderte Kiew eine von prorussischen Kräften angestrebte Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Krim, gewährte der Region als Autonome Republik jedoch großzügigere Rechte.

Tourismus stark eingebrochen — die Haupteinnahmequelle

Ob die Bewohner der Krim auch heute noch über den Anschluss an Russland so begeistert sind wie vor einem Jahr, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Der Tourismus, Haupteinnahmequelle der Halbinsel, ist stark eingebrochen, so stark, dass Putin schon im vergangenen Sommer die Anweisung erließ, Staatsbedienstete müssten ihren Urlaub auf der Halbinsel verbringen. Von Betrieben und Behörden gibt es dazu finanzielle Unterstützung.

Angeboten werden auch günstige Bus- und Flugtickets. Positiv wirkt sich für die Krim-Bewohner das neue russische Gesundheits- und Sozialangebot aus, negativ die neue Bürokratie. Unklar ist die Lage der Minderheiten, insbesondere der Krimtataren. 20.000 Menschen sollen inzwischen in die Ukraine geflüchtet sein, weil sie um ihr Leben fürchteten. Umgekehrt behauptet Moskau, Tausende Ukrainer seien wegen des Chaos in ihrer Heimat auf die Halbinsel umgesiedelt.

(mic)
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