Soldaten im Ausland unzufrieden "Die Angst sitzt jetzt noch mehr im Nacken"
München (RPO). Von "business as usual" sei bei den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan keine Rede, erklärte Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Dennoch: Die Soldaten igeln sich nicht in ihrem Lager ein. Schon am Sonntag gingen sie im afghanischen Kundus wieder auf Patrouille - "sehr erfolgreich", laut Jung.
Die Stimmung in der Truppe ist angekratzt. "Die Angst sitzt jetzt noch mehr im Nacken", sagt Wilfried Stolze, Sprecher des Bundeswehrverbandes. Denn der Selbstmordanschlag in Kundus, bei dem drei deutsche Soldaten ums Leben kamen, trifft die Bundeswehr in einer Stimmungslage, die kaum ungünstiger sein könnte. Die Soldaten sind unzufrieden mit Material und Ausbildung und fühlen sich von der Politik missbraucht.
Vor einem Monat legte der Bundeswehrverband eine Studie vor, die vor dem Hintergrund der Tat von Kundus noch alarmierender wirkt: Bei der Untersuchung zur Berufszufriedenheit äußerte sich der größte Teil der teilnehmenden 24.375 aktiven Soldaten unzufrieden. Keine Ausnahme bildeten dabei die Soldaten im Auslandseinsatz. Von den 12.335, die an der Befragung teilnahmen, fühlten sich fast 40 Prozent nur unzureichend auf die landeskundlichen Gegebenheiten im Einsatzland vorbereitet. Damit stellt die Untersuchung auch Jungs erklärtes Ziel in Frage, viel Kontakt zur einheimischen Bevölkerung in Afghanistan zu halten.
Der Passauer Wissenschaftler Gerd Strohmeier, der für die Studie verantwortlich ist, sieht durch den Anschlag von Kundus ein wachsendes Problem für Jung und die Regierungskoalition. "Das ist ein weiteres Mosaiksteinchen, das die Unzufriedenheit vertieft und verstärkt", sagt Strohmeier. Er hat vor allem ein Problem ausgemacht: "Die Schere zwischen der Bundeswehr als Armee im Einsatz mit den entsprechenden Anforderungen und den tatsächlich zur Verfügung stehenden Resourcen geht immer weiter auseinander."
In der Befragung klagten die Soldaten nicht nur über mangelnde Vorbereitung für den Auslandseinsatz. Sie halten auch die Zahl der Einsätze für zu hoch. In zwei weiteren Aussagen sieht Strohmeier ein Problem, das das Verhältnis der Soldaten zur Politik tiefgehend belastet. Zum Einen bewertet fast jeder vierte Auslandssoldat sein Material als schlecht bis sehr schlecht.
"Das kann nicht einfach abgetan werden. Man darf nicht vergessen, dass das Material lebensnotwendig für Soldaten ist", sagt Strohmeier. Zum Anderen verstehen die wenigsten Soldaten die politischen Entscheidungen über ihre Einsätze: Nur 6,2 Prozent aller Befragten finden, dass die Politik den Sinn und Zweck der Auslandseinsätze ausreichend vermittelt.
Der Bundeswehrverband versucht mit diesem Meinungsbild im Rücken den Druck auf Jung zu erhöhen, die deutsche Afghanistan-Strategie zu verändern. Die Bundesregierung müsse mit ihren Verbündeten nun Tacheles über die Mängel und Defizite in Afghanistan reden, sagt Verbandschef Bernhard Gertz. "Als da sind: sehr zögerlicher Aufbau der Polizei, keine Fortschritte beim Aufbau der Justiz, keine Erfolge bei der Bekämpfung von Drogenanbau und Drogenhandel, keine signifikanten Erfolge bei der Entwaffung von früheren bewaffneten Kräften." All diese Probleme seien liegen geblieben.
Anders als etwa die Linkspartei sieht der auch als Soldaten-Gewerkschaft bezeichnete Bundeswehrverband allerdings keinen Grund, dass die deutschen Soldaten nun ganz aus Afghanistan abziehen sollten. "Raus aus Afghanistan zu gehen, würden wir für einen Fehler halten", sagt Verbandssprecher Stolze. Obwohl die Soldaten wüssten, dass sie einen gefährlichen Beruf haben, müssten aber Schlüsse aus dem Anschlag gezogen werden.
Die Politik solle mehr Fürsorge für die Soldaten zeigen und auch deren Verdienste würdigen. Es sei auch eine bessere Ausstattung der Soldaten mit Material notwendig. Denn der Anschlag vom Samstag belege, dass die bislang nur im Süden Afghanistan ausgemachte Gefahr durch Selbstmordattentäter nun auch den Norden erreicht habe.