Nach Festnahmen Deutschland bestellt türkischen Gesandten ein

Istanbul · Die Festnahmen führender pro-kurdischer Politiker belasten das Verhältnis der Türkei zu Europa massiv. In Brüssel treffen sich die EU-Botschafter zu einem Sondertreffen. In Berlin wird der türkische Gesandte einbestellt. Selbst der Bundespräsident äußert sich.

 Das Hauptquartier der HDP wurde von der Polizei abgeriegelt

Das Hauptquartier der HDP wurde von der Polizei abgeriegelt

Foto: dpa, tb jak

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich ungewohnt scharf zu den Entwicklungen in der Türkei geäußert. "Was ich derzeit in der Türkei beobachte, bestürzt mich", sagte Gauck dem "Spiegel". Wenn Ankara den Putschversuch nutze, "um etwa die Pressefreiheit faktisch auszuhebeln, wenn es die Justiz instrumentalisiert und der Präsident die Wiedereinführung der Todesstrafe betreibt", dann würden zentrale Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt.

Er frage sich: "Ist diese Politik die endgültige Abkehr vom Weg in Richtung Europa?" Nach Ansicht des deutschen Staatsoberhaupts bedeutet sie in jedem Fall "eine Eskalation, die die Europäer nicht unbeantwortet lassen können". Zusammenarbeit könne nicht den Verzicht auf Kritik bedeuten, betonte Gauck.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte nach der nächtlichen Festnahmewelle gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP in der Türkei: "Es ist in höchstem Maße alarmierend, was derzeit in der Türkei geschieht." Mit denselben Worten hatte Merkel persönlich bereits am Mittwoch auf das Vorgehen Ankaras gegen die Oppositionszeitung "Cumhuriyet" reagiert. Seibert sagte weiter, die Bundesregierung stehe den Festnahmen "ablehnend und missbilligend" gegenüber. Zugleich verurteilte der Sprecher im Namen der Bundesregierung den neuen Anschlag in der Türkei "aufs Schärfste". Er sagte weiter: "Welche Begründung auch immer die Täter heranziehen, sie zeigen nur ihre Grausamkeit."

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte den türkischen Geschäftsträger ein. Das Gespräch solle noch am Freitag stattfinden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. "Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage", hieß es zur Begründung.

"Niemand bestreitet das Recht der Türkei, der Bedrohung durch den Terrorismus entgegen zu treten und den blutigen Putschversuch mit rechtsstaatlichen Mitteln aufzuarbeiten." Das dürfe aber nicht als Rechtfertigung dafür dienen, "die politische Opposition mundtot zu machen oder gar hinter Gitter zu bringen", hieß es weiter aus dem Auswärtigen Amt. Gerade wegen der "historisch tiefen Beziehungen" zur Türkei "dürfen wir jetzt nicht schweigen", verlautete weiter.

Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich bestürzt über das Vorgehen der türkischen Justiz. Sie sei "äußerst beunruhigt" angesichts der Festnahme des Parteichefs Selahattin Demirtas und anderer Parlamentarier, teilte die Italienerin über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Sie sei in Kontakt mit den Behörden und habe ein EU-Botschaftertreffen in Ankara einberufen.

Zuvor hatte der türkische Justizminister Deutschland scharf angegriffen. "Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche", sagte Bekir Bozdag in Ankara. "Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte." Rechte für Türken gebe es in der Bundesrepublik anscheinend "nur auf dem Papier".

Weder Bundeskanzlerin Angela Merkel noch die EU-Kommissare hätten das Recht, der Türkei "Lehren zu erteilen", sagte Bozdag. "Sie müssen sehen und verstehen, dass die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche." Der Minister betonte, die Festnahmen von Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP in der Nacht zu Freitag seien rechtskonform gewesen.

 Justizminister Bozdag attackiert die deutsche Justiz

Justizminister Bozdag attackiert die deutsche Justiz

Foto: afp, nk

Erdogan hatte Deutschland am Donnerstag vorgeworfen, Terroristen Unterschlupf zu bieten, statt "rassistische Übergriffe gegen Türken" zu verhindern. "Man wird sich zeitlebens an Euch erinnern, weil Ihr den Terror unterstützt habt", sagte er an die Adresse der Deutschen.

(crwo/dpa/afp)
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