Wirtschaftskrise in der Türkei Erdogans Kronprinz

Istanbul · Berat Albayrak ist der Schwiegersohn des Präsidenten. Ein Shootingstar in der Politik. Doch dann kam die Wirtschaftskrise.

Für den Auftritt seines Lebens hatte Berat Albayrak die Wirtschaftselite der Türkei einbestellt. Hunderte Unternehmensbosse versammelten sich am Freitag im Dolmabahce-Palast in Istanbul, Tausende Interessierte verfolgten live über Fernsehen und Internet, wie der junge türkische Finanzminister den dramatischen Verfall der Lira aufhalten wollte. Er hatte ein völlig „neues Wirtschaftsmodell“ angekündigt. Er wollte die Wirtschaft vor dem Kollaps bewahren.

Aber Albayraks Möglichkeiten sind begrenzt. Fast eine halbe Stunde musste er warten, bis der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine Rede beendet hatte, die ebenfalls live übertragen wurde. Als Albayrak dann sprach, brach ihm der Schweiß aus.

Zwar war alles, was er sagte, richtig. Dass er strenge Haushaltsdisziplin wahren, die rasende Inflation bändigen und die Unabhängigkeit der Zentralbank wahren werde. Doch alles stand im krassen Widerspruch zu den vorangegangenen Tiraden Erdogans. Albayrak hätte dem entgegentreten müssen. Aber er nannte nicht eine konkrete Maßnahme. Die Enttäuschung stand den Unternehmern ins Gesicht geschrieben.

Noch während Albayrak sprach, platzte eine gezielte Bombe. In Washington twitterte US-Präsident Donald Trump, dass er die Zölle auf türkische Aluminium- und Stahlimporte verdoppeln werde, falls die Türkei nicht den seit 20 Monaten festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson freiließe. Sekunden später verlor die Lira 16 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Albayrak sprach schwitzend weiter, wirkte aber plötzlich wie ein gemaßregelter Schuljunge. Als er fertig war, huschte er davon, ohne eine einzige Frage zuzulassen. Die Lira ging in den freien Fall über.

Spätestens mit dem Istanbuler Auftritt wurde Berat Albayrak zum Gesicht der schwersten Wirtschaftskrise seit 2001. Dabei galt der 40-Jährige noch vor Kurzem als Shootingstar. Vor drei Jahren erst stieg er in die Politik ein, wurde sofort Abgeordneter und Energieminister, und seit den Wahlen im Juni ist er als Wirtschaftslenker der zweitmächtigste Mann des Landes gleich nach dem Präsidenten. Eine solche Blitzkarriere macht man in der Türkei nur mit Protektion, und Albayrak hat die denkbar stärkste. Er ist Erdogans Schwiegersohn.

Sein Start war ein Desaster. Kaum hatte Erdogan Anfang Juli Albayraks Namen als Finanzminister genannt, stürzte die Lira gegenüber dem Dollar ab – ein deutliches Zeichen, wie die internationalen Anleger den unerfahrenen Aufsteiger einschätzten.

Falls er es mit der Rückkehr zu einer konventionellen Währungspolitik ernst meint, so kann Albayrak sie offensichtlich nicht durchsetzen. Am Montag ließ er einen Termin platzen, auf dem er einen „Aktionsplan“ gegen die Lira-Schwäche vorstellen wollte. Stattdessen reiste er nach Kuwait, um einen 1,8-Milliarden-Dollar-Kredit aufzunehmen. Als sei er gerade gut genug für Bittstellerdienste.

Dabei wirkte es bis zum Ausbruch der Krise, als wäre Berat Albayrak seit Jahren für die Rolle als Nachfolger Erdogans trainiert worden. Sein Vater Sadik Albayrak, ein bekannter islamistischer Autor, gehört zum exklusiven Zirkel des Staatschefs. Sohn Berat studierte Ökonomie in Istanbul und erwarb einen Master an der New Yorker Pace University.

In Amerika lernte er Erdogans ältere Tochter Esra kennen, die er 2004 heiratete. Zur Feier in Istanbul kamen mehr als 7000 Gäste, darunter Italiens Regierungschef Berlusconi. „Die Hochzeit war ein Familienbündnis, um sich der gegenseitigen Loyalität zu versichern”, sagt ein Freund der Familien. „Denn Sadik Albayrak kennt jedes Geheimnis Erdogans.“ Seit der Hochzeit, aus der bisher zwei Kinder hervorgingen, gilt Berat Albayrak als enger Vertrauter Erdogans.

Mit 29 Jahren stieg der Schwiegersohn zum Geschäftsführer der regierungsnahen Calik-Holding auf, einem der größten türkischen Mischkonzerne, der dem Milliardär und Erdogan-Vertrauten Ahmet Calik gehört. Unter Albayraks Leitung rückte die Holding nun noch stärker in die Nähe der Regierung und gewann zahlreiche lukrative inländische Ausschreibungen.

Seinen ersten großen Auftritt hatte Albayrak im Mai 2016. Laut Presseberichten orchestrierte er zusammen mit seinem Bruder Serhat den politischen Angriff auf den damaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, den Erdogan als lästigen Konkurrenten empfand. Davutoglu trat schließlich zurück.

Erdogans Söhne und Schwiegersohn Nummer zwei zeigen keine große politische Begabung; seine jüngste Tochter Sümeyye zwar schon, doch kommt sie als Frau in der konservativen AKP für Spitzenämter nicht in Frage. Nur Berat Albayrak bringt die Voraussetzungen mit, wenn ihm auch Charisma und Rhetorik des Schwiegervaters fehlen. Aber er hat einen unbändigen Machtinstinkt. Als zielstrebig, arrogant und gerissen beschreiben ihn Weggefährten. Und er hat das Ohr des Präsidenten. „Erdogan vertraut ihm hundertprozentig“, sagt der frühere Bloomberg-Analyst und Türkei-Experte Mark Bentley.

Im Herbst 2016 geriet der Senkrechtstarter in einen Hacker-Skandal, der seine Wirkung wohl nur deshalb nicht entfaltete, weil nach dem Putschversuch Massenentlassungen und -inhaftierungen die Nation in Atem hielten. Die linke Redhack-Gruppe hatte fast 58.000 E-Mails von Albayrak entwendet und auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht. Die Regierung ließ die Seiten sofort sperren.

Auf Kritik reagiert Albayrak ebenso empfindlich wie Erdogan. Nach der Ernennung zum Finanzminister verklagte er die Journalistin Pelin Ünker von der oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“ auf rund 90.000 Euro Schmerzensgeld. Sie hatte ihm in Tweets vorgeworfen, Geld in Steueroasen verschoben zu haben und berief sich dabei auf die veröffentlichten „Paradise Papers“ und „Malta Files“ aus Steuer-Paradiesen.

Die Unterlagen zeigten auch, wie gut sich Berat Albayrak auf jene Verbindung von Politik und Business versteht, die den Erdogan-Clan auszeichnet. In der „neuen Türkei“ des Präsidenten würde ein anderes Detail normalerweise die politische Karriere beenden: Albayrak war Schüler eines von 30 Fatih-Kollegien des Islampredigers Fethullah Gülen. Mit dem Sektenführer war Erdogan früher verbündet, macht ihn aber inzwischen für den Putschversuch verantwortlich. Während Zehntausende Menschen wegen angeblicher Gülen-Verbindungen aus dem Staatsdienst entlassen oder inhaftiert wurden, blieben AKP-Politiker, von denen viele enge Kontakte zur „Bewegung“ unterhielten, weitgehend verschont. Auch Berat Albayrak.

Offiziell ist Albayrak inzwischen ein strikter Feind von Gülen und dessen Bewegung. Er agiert im perfekten Gleichklang mit dem Schwiegervater. Überall, wo der Präsident auftaucht, ist Albayrak zu sehen. Nicht nur in Kabinettssitzungen lässt Albayrak andere Minister spüren, wie überlegen er sich ihnen fühlt.

Bereits mit seiner ersten wichtigen politischen Bewährungsprobe hatte Albayrak die Skepsis ausländischer Investoren bestätigt. Vor der mit Spannung erwarteten ersten Zentralbanksitzung nach der Wahl bemühte sich der Aufsteiger, die Anleger zu beruhigen. Die Frage war, ob er es wagen würde, sich mit seinem Mentor anzulegen und höhere Leitzinsen durchzusetzen, wie sie die Märkte verlangten.

Die Antwort gab die Zentralbank am 24. Juli. Sie ließ die erwartete Zinserhöhung ausfallen und folgte damit Erdogans unorthodoxer Auffassung, dass niedrige Zinsen niedrige Inflation bedeuten. „Die Entscheidung machte klar, dass er strikt die Politik seines Schwiegervaters verfolgt“, sagt Wirtschaftsanalyst Bentley. „Als die Krise dann eskalierte, war Albayrak meistens abwesend, wenn er am dringendsten gebraucht wurde.“

Wenn er die Krise jetzt nicht schnell in den Griff bekommt, müsste er eigentlich zurücktreten. Aber damit ist nicht zu rechnen. Und die Lira fällt weiter.

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