Nord Stream 2 Kalter Gaskrieg

Berlin · Nachdem US-Präsident Donald Trump die Sanktionen in Kraft setzt, eskaliert der transatlantische Streit um die Pipeline Nord Stream 2. Er droht sich zum energiepolitischen Großkonflikt auszuwachsen.

Am Pipeline-Verlegeschiff „Castoro 10“ vor der Insel Rügen arbeiten Fachleute an der Verbindung zwei bereits im Vorjahr verlegter Leitungsstücke der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2.

Am Pipeline-Verlegeschiff „Castoro 10“ vor der Insel Rügen arbeiten Fachleute an der Verbindung zwei bereits im Vorjahr verlegter Leitungsstücke der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Die deutlichsten Worte auf deutscher Seite fand Rolf Mützenich. US-Präsident Donald Trump habe sich „offenbar von der Idee verabschiedet, die EU-Staaten als verbündete Partner zu betrachten“, wetterte der SPD-Fraktionschef. „Für ihn sind wir tributpflichtige Vasallen. Diesen erpresserischen Methoden werden wir uns nicht beugen“, kündigte er an. Grund für die Empörung waren die Sanktionen gegen das russisch-westeuropäische Pipelineprojekt Nord Stream 2, die Trump kurz zuvor in Kraft gesetzt hatte. Die Bundesregierung bewertete die Entscheidung als Einmischung in innere Angelegenheiten Deutschlands und der EU.

Aus Brüssel allerdings waren ähnlich scharfe Töne nicht zu hören, und genau darauf bezog sich am Sonntag Richard Grenell. Der US-Botschafter in Berlin fuhr den amerikanischen Konter: „15 europäische Länder, die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben allesamt ihre Bedenken an dem Projekt angemeldet“, erklärte er und folgerte: „Darum handelt es sich bei den Sanktionen um eine sehr proeuropäische Entscheidung.“

Tatsächlich beschreiben die Einlassungen von Mützenich und Grenell ziemlich genau den aktuellen Frontverlauf in jenem energiepolitischen Großkonflikt, der sich mit Schlagworten wie Ukraine-Transit, Fracking und Flüssiggas verbindet. Deutschland steht in diesem transatlantischen Energie-Monopoly mit Russland sowie einigen west-, mittel- und südeuropäischen Staaten gegen die USA, die Ukraine und die Mehrheit der EU-Mitglieder, die Brüsseler Kommission und das Straßburger Parlament. Dort glaubt man, dass die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu einer „einseitigen Abhängigkeit der EU von russischem Erdgas“ führen könnte.

Dafür allerdings müsste die Pipeline, die auf dem Grund der Ostsee vom nordrussischen Wyborg nach Mecklenburg-Vorpommern führt, erst einmal fertiggestellt werden. Rund 300 von gut 1200 Leitungskilometern fehlen noch. Verlegt werden die Röhren von Spezialschiffen. Und genau gegen deren Betreiber richten sich die US-Sanktionen, allen voran gegen die Schweizer Firma Allseas. Sollten deren Schiffe weiter Nord-Stream-Röhren verlegen, drohen die USA mit finanziellen Konsequenzen. Allseas kündigte deshalb an, die Arbeiten sofort auszusetzen.

In Berlin und Moskau gibt man sich zwar zuversichtlich, den Bau mit Verzögerung dennoch vollenden zu können. Russische Schiffe stünden bereit, um Nord Stream 2 ans Netz zu bringen. Doch für den Fall steht die Drohung weiterer US-Sanktionen im Raum. Und auch der Streit innerhalb der EU dürfte sich fortsetzen. Denn vor allem in östlichen Mitgliedsländern wie Polen und den baltischen Staaten hat der Widerstand gegen Nord Stream seit dem Beschluss zum Bau einer ersten Doppelröhre im Jahr 2005 nie nachgelassen. Damals hatten der russische Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder das Projekt politisch festgezurrt.

Schröder wechselte nach seiner Amtszeit in den Aufsichtsrat des Nord-Stream-Konsortiums, an dem der russische Energieriese Gazprom die Mehrheit hält. Außerdem sind deutsche, französische, niederländische und österreichische Unternehmen beteiligt. Ein Problem war das vor allem für die östlichen EU-Staaten und die Ukraine, an denen Nord Stream vorbeiführt. Sie verloren nicht nur Einnahmen aus dem Transitgeschäft, sondern wurden auch politisch erpressbar. Schließlich konnte Russland mit der Fertigstellung von Nord Stream 1 den Osteuropäern den Gashahn abdrehen, ohne die lukrativen Kunden im Westen zu verlieren.

Worum es ging, hatte sich zwischen 2005 und 2009 in den „Gaskriegen“ zwischen Russland und der Ukraine gezeigt. Nachdem in Kiew die prowestliche Revolution in Orange triumphiert hatte, erhöhte Gazprom die Preise für Energielieferungen in die Ukraine, die daraufhin die Transitpipelines anzapfte. In östlichen EU-Staaten fielen mitten im Winter Heizungen aus. Schulen mussten schließen, Brennholz wurde knapp. Aber auch in Westeuropa leerten sich die Speicher. Dieses Szenario verlor mit Nord Stream seine Wirkungsmacht. Allerdings verschärfte sich der Ost-West-Konflikt 2014 mit der russischen Eroberung der Krim und dem Donbass-Krieg weiter.

Die EU und die USA verhängten damals gemeinsam Sanktionen gegen Russland. Die Eskalation hielt Deutschland und seine Nord-Stream-Partner allerdings nicht davon ab, die Pipeline in der Ostsee weiterzubauen. Welche Konsequenzen das für die Ukraine hat, zeigt sich jetzt. Am selben Tag, an dem Trump die Nord-Stream-Sanktionen verhängte, einigten sich Moskau und Kiew zwar unter deutscher Vermittlung auf einen neuen Gasvertrag. Die Übereinkunft gilt aber nur für fünf Jahre, und das Volumen des Transits sinkt von bisher etwa 90 auf 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Die Differenz entspricht fast exakt dem Volumen von Nord Stream 2.

Die Ukraine ist also der große Verlierer. Doch den Entscheidern in Washington geht es keineswegs nur um die Unabhängigkeit der Staaten im östlichen Europa. Die USA verfolgen zugleich eigene ökonomische Interessen. Mit dem Boom des sogenannten Frackings, bei dem Gasvorkommen unter Einsatz giftiger Chemikalien aufgebrochen werden, sind sie zum größten Gasexporteur weltweit aufgestiegen. US-Firmen stehen bereit, im großen Stil Flüssiggas nach Europa zu liefern. Doch solange preiswerteres russisches Gas durch die Nord-Stream-Röhren strömt, kommen sie kaum zum Zug. Abnehmer wie Polen und die baltischen Staaten sind im Weltmaßstab zu klein. Den USA geht es um die gesamte EU. Als Partner oder Vasall? Sicher ist: als Markt.

(krö)
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